Die wichtigsten Werke von Leo Tolstoi. Leo Tolstoi
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Читать онлайн книгу Die wichtigsten Werke von Leo Tolstoi - Leo Tolstoi страница 36
Fürst Andree schloß aus diesem Benehmen, daß die Tätigkeit von Kutusows Armee den Kriegsminister weniger als alles übrige interessierte, und daß er für nötig fand, den russischen Kurier dies fühlen zu lassen.
»Aber das ist mir ganz gleichgültig«, dachte er.
Der Kriegsminister schob die übrigen Papiere zusammen und hob den Kopf auf. Er hatte ein kluges, charaktervolles Gesicht.
»Vom Generalfeldmarschall Kutusow?« fragte er. »Gute Nachrichten, wie ich hoffe?«
»Es hat ein Zusammenstoß mit Mortier stattgefunden.«
»War er siegreich? Es wäre Zeit!« Er ergriff die Depesche, die an ihn gerichtet war, und las sie mit kummervoller Miene.
»Ach, mein Gott! Mein Gott! Schmidt!« sagte er auf deutsch. »Welches Unglück!« Nachdem er die Depesche gelesen hatte, legte er sie auf den Tisch und blickte Fürst Andree gedankenvoll an.
»Ach, welches Unglück. Die Sache war entscheidend, sagen Sie? Aber Mortier ist nicht gefangengenommen worden? – Nun, ich bin sehr erfreut, daß Sie gute Nachrichten brachten, obgleich der Sieg durch den Tod Schmidts teuer erkauft ist. Seine Majestät wird Sie wahrscheinlich zu sehen wünschen, aber nicht heute. Ich danke Ihnen. Erholen Sie sich! Seien Sie morgen beim Eingang nach der Parade! Übrigens werde ich Ihnen Nachricht geben. Auf Wiedersehen! Ich danke Ihnen sehr.«
Fürst Andree verließ das Schloß mit dem Gefühl, als ob alles Interesse und Glück, das ihm der Sieg verliehen hatte, jetzt in den gleichgültigen Händen des Kriegsministers und bei dem höflichen Adjutanten zurückgeblieben sei. Seine Gedanken nahmen eine andere Richtung. Das Gefecht erschien ihm wie eine Erinnerung aus längst vergangener Zeit.
32
Fürst Andree wohnte in Brünn bei dem russischen Diplomaten Bilibin, mit dem er befreundet war. Am andern Morgen erwachte er spät und rief sich die Eindrücke der Vergangenheit zurück. Er erinnerte sich vor allem, daß er sich heute dem Kaiser Franz vorstellen sollte, dann dachte er an den Kriegsminister und den höflichen, österreichischen Flügeladjutanten. Nachdem er sich zur Audienz seine Paradeuniform angelegt hatte, die er schon seit langer Zeit nicht mehr getragen hatte, begab er sich frisch und heiter mit verbundenem Arm in das Kabinett Bilibins. Dort befanden sich vier Herren vom diplomatischen Korps mit dem Fürsten Hippolyt Kuragin, welcher Gesandtschaftssekretär geworden war. Diesen kannte Bolkonsky bereits, mit den anderen machte ihn Bilibin bekannt.
Diese Herren waren junge, reiche Lebemänner, welche sowohl hier wie in Wien einen besonderen Kreis bildeten, dessen Haupt Bilibin war. In diesen Kreis wurde Fürst Andree gern aufgenommen. Man erkundigte sich nach den Ereignissen bei der Armee, nach den Gefechten, bald aber verbreitete sich das Gespräch über Tagesneuigkeiten, welche mit Krieg und Politik nichts zu scharfen hatten, und zerfloß in leichtfertige Scherze. Am lautesten lachte Hippolyt.
»Meine Herren«, sagte Bilibin, »Bolkonsky ist mein Gast, und ich möchte ihn gern mit allen Freuden des hiesigen Lebens bekannt machen. Sie übernehmen das Theater, ich die Gesellschaft und Sie, Hippolyt, natürlich die Damen.«
»Man muß ihm Amélie zeigen, entzückend!« bemerkte einer der Herren, indem er seine Fingerspitzen küßte.
»Man muß überhaupt diesen blutdürstigen Krieger zu menschlichen Gefühlen bekehren«, bemerkte Bilibin. Bald verabschiedete sich Fürst Andree, um sich an den Hof zu begeben.
»Auf Wiedersehen, Bolkonsky! Auf Wiedersehen, Fürst!« riefen die Anwesenden. »Kommen Sie frühzeitig zu Mittag! Wir stellen uns Ihnen zur Verfügung.«
»Wenn Sie mit dem Kaiser sprechen«, bemerkte Bilibin, indem er Bolkonsky begleitete, »rühmen Sie so viel als möglich die Ordnung in der Lieferung des Proviants.«
»Das möchte ich gern tun, aber meines Wissens ist es unmöglich«, erwiderte Bolkonsky lächelnd.
»Nun, überhaupt sprechen Sie so viel als möglich. Seine Leidenschaft sind Audienzen, selbst aber liebt er nicht zu sprechen und versteht es auch nicht, wie Sie sehen werden.«
33
Als Kaiser Franz heraustrat, blickte er Fürst Andree durchdringend an, welcher an dem ihm angegebenen Ort zwischen den österreichischen Offizieren stand, und nickte ihm mit seinem langen Kopf zu. Dann teilte der höfliche Flügeladjutant Bolkonsky mit, der Kaiser wünsche ihm eine Audienz zu geben.
Kaiser Franz empfing ihn mitten im Zimmer stehend. Noch ehe Fürst Andree sprach, war er erstaunt über die Verwirrung des Kaisers, welcher nicht zu wissen schien, was er sagen wollte, und errötete.
»Wann begann das Gefecht?« fragte er hastig.
Fürst Andree antwortete darauf. Dann folgten noch andere, ebenso einfache Fragen. »Ist Kutusow gesund? Wann ist er aus Krems abmarschiert?« und so weiter. Der Kaiser sprach so, als ob er nur die Absicht habe, eine gewisse Anzahl Fragen zu stellen, die Antworten auf diese Fragen interessierten ihn allem Anschein nach nur wenig.
»Um wieviel Uhr begann das Gefecht?« fragte der Kaiser.
»In Dürrenstein, wo ich mich befand, begannen die Truppen den Angriff um sechs Uhr abends«, sagte Bolkonsky. Er wurde lebhafter und glaubte, er werde jetzt eine Schilderung alles dessen, was er wußte und gesehen hatte, die er im Kopfe schon bereit hatte, ausführen können. Aber der Kaiser unterbrach ihn lächelnd.
»Wieviel Meilen?«
»Woher und wohin, Majestät?«
»Von Dürrenstein nach Krems?«
»Drei und eine halbe Meile, Majestät!«
»Haben die Franzosen das linke Ufer geräumt?«
»Wie die Kundschafter meldeten, sind in der Nacht die Letzten auf Flößen übergegangen.«
»Ist genug Furage in Krems?«
»Furage wurde nicht in der Menge geliefert …«
Der Kaiser unterbrach ihn. »Um wieviel Uhr fiel General Schmidt?«
»Ich glaube, um sieben Uhr.«
»Um sieben Uhr! Sehr traurig! Sehr traurig!«
Der Kaiser sagte, er danke und verneigte sich ein wenig. Fürst Andree ging und wurde sogleich von Höflingen umgeben. Von allen Seiten kamen freundliche Blicke und freundliche Worte. Der höfliche Flügeladjutant machte ihm Vorwürfe, daß er nicht im Schloß geblieben sei, und bot ihm sein Haus an, der Kriegsminister trat auf ihn zu und gratulierte ihm zum Maria-Theresia-Orden dritter Klasse, welchen ihm der Kaiser verliehen hatte. Ein Kammerherr der Kaiserin lud ihn zu Ihrer Majestät ein, auch eine Erzherzogin wünschte ihn zu sehen. Er wußte nicht, wem er antworten sollte und brauchte einige Augenblicke, um sich zu fassen. Der russische Gesandte ergriff ihn an