Kurt Tucholsky - Gesammelte Werke - Prosa, Reportagen, Gedichte. Kurt Tucholsky
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Kurt Tucholsky - Gesammelte Werke - Prosa, Reportagen, Gedichte - Kurt Tucholsky страница 40
»Is niemand in mein klein Bettchen, und soll aber jemand da sein, und Klein-Clärchen is ganz allein…«
Er trug sie zurück.
Als er früh am Morgen vom Friseur zurückkam, war die Claire am Aufstehen. Es war das so eine Sache: die erste Viertelstunde pflegte sie mit feiner Stimme ein entzückend klingendes Gemurmel zu stammeln, unzusammenhängende Silben hervorzubringen und in den verschiedensten Nachahmungen von Tierstimmen zu paradieren. Kaum hatte er die Tür hinter sich zugezogen, so begrüßte ihn das Winseln und Mauen einer neugeborenen Katze.
»Aufstehen! Claire! Aufstehen! Alle Leute sind schon nach Tisch.«
Man mußte ein wenig übertreiben – es half sonst nichts.
»Buh!«
»Ja, ich weiß. Komm!«
Und zog ihr die Bettdecke fort.
Später:
»Wölfchen, zieh ich nu das Grüne oder das Weiße an?«
»Hm, welches möchtest du denn gerne anziehen?«
»Das… das weiß ich nicht. C’est pourquoi ich dich frage.«
»So zieh denn das Weiße an.«
»Schön. Was dieser Junge mich tyrannisiert, das ist nicht zu sagen. Haach!«
Pause.
»Wolfgang?«
»Claire?«
»Meinst du würklich, daß ich das Weiße anziehen soll? Seh mal… ich meine, mit den Fleckens un so…«
»Also: das Grüne.«
»Schön.«
Nach einer kleinen Weile:
»Ja, haber – ich möchte doch aber gern…«
»Was möchst du gern?«
»Das Grüne–«
»Aber ich sage dir ja, zieh’s an!«
»Ja… aber… wenn du’s mir sagst, macht’s mir gar keinen Spaß. Du mußt sagen: Zieh’s nich an, mußt du sagen, oder: zieh das Weiße an, tja.«
Und bevor er sich noch erholt hatte, fing sie an, ein wundervolles Gezänk von sich zu geben, nach Art gewisser Frauen, die sich beleidigt glauben und ihren Gefühlen auch dem Dienstmädchen gegenüber keinen Hehl zu machen pflegen. Das Ganze paßte nicht recht her, aber sie war im Zuge, da war nichts zu machen.
»So? – Also in meinem Hause lasse ich mir das nicht sagen, ich nicht! Sie stauben meine kostbaren Seidenmöbel nicht ab, Sie… Geschöpf! – Aber mein Mann, der Bergassessor…«
Er floh. Noch auf dem Korridor hörte er sie wie einen Schusterjungen pfeifen.
Auf den Kaffeetisch schien die Sonne: hier roch es stark und ländlich nach Milch, Butter und einer frischgewaschenen Decke. Bienen und dicke Fliegen schwammen in einem alten Honigglas, das der vorsorgliche Wirt mit Zuckerwasser gefüllt hatte.
Sie kam herunter, eine Weile sprachen sie nichts. Sie aß. mein Gott, sie aß und hatte Hunger, den richtigen Morgenhunger des Langschläfers.
»Claire?«
»Wolf?«
»Ich denke, wir fahren heute morgen ein wenig spazieren.«
»So, und ich? – Mich nimmt er gar nicht mit! – Ich will auch mit!«
»Ich sagte: wir.«
»Buh, buh!«
»Ja, du kannst auch mit. Nu weine man nich und eß.«
»Wolfgang, ein so wunderschönes Deutsch sprichst du ja auch nicht, nein, das kann man nicht sagen. Aber keine Sorge: Meine Bemühungen werden mich das Ziel schon erreichen lassen.«
Sie konnte ganz gewählt sprechen, wie es wohl alte Erzieherinnen manchmal tun, mit übermäßig stark betonten Endsilben und weit nach hinten gerutschten Gaumen-Rs.
»Mein Papa sagt immer, Wölfschen, ich spräche keinen guten Deutsch. Wie? – Ja, er ist ein erfahrener Greis, aber wie steht es ihm an zu sprechen ›Stoße nicht in das Horn des Leichtsinns, mein Kind, und witzele nicht über so schwerwiegende Dinge!‹ Ich frage dich: Hat er unrecht oder hat er unrecht? Zwei Möglichkeiten kommen nur in Betracht.«
»Er hat recht. Da kommt der Wagen.«
Es war sein Glück. Denn schon hatte sie sich hochaufgerichtet und stand da, die Hände fest auf den Tisch gedrückt und schielte…
Leicht und schnell rollte der Wagen durch die grüne Allee.
»Wolfgang?«
»Claire?«
»Merks du nichs?«
»Wie bitte?«
»Obs du nichs merks?«
»Nein.«
»Na, aber süh mir mal an!« »Bei Gott, nichts. Zuckt die Achseln.«
»Du mußt das nicht mitsprechen, was in Klammern steht. Zuckt die Achseln, das steht in Klammern, weißt du? – Aber rnerkst du nichts?«
»Du hast dich gewaschen.«
»P! – Aber… ein blaues Band hatt’ ich gestern durch mein Hemd gezogs, un nu nich mehr. Du erlaubs mirs ja nich. Du ja nich.«
Bot sie nicht das Aussehen einer sichtlich Gekränkten, die schmollend die bessern Gefühle des Geliebten anrief?
»Du hast ja ’n Freund, der wo sagt, bunte Bänders in der Wäsche tragen nur Kellnerinnen! Konnst deinem Freund gesagt haben, er konnt bei mir gegangen gewesen sein, ob ich vielleicht ’ne Kellnerin war.«
Ja, er wolle das bestellen.
Aber nun mußten sie in das Grüne sehen, das sich an ihnen vorüberbewegte. Nicht, als ob dieser Wald jene gerühmte Schönheit besessen hätte, wie wir sie auf Bildern und Postkarten zu sehen Gelegenheit haben. Er wies keine »Partien« auf, keine Durchblicke. Aber er machte sie froh. Es war wohl mehr ihre allgemeine Freude, am Leben zu sein. Zwischen den Vergangenen und denen, die noch kommen würden – jetzt waren sie an der Reihe – hurra!–
An einer Biegung der Chaussee machte der Kutscher halt, murmelte und verschwand