Gesammelte Romane und Erzählungen von Robert Louis Stevenson. Robert Louis Stevenson
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Von all der Zeit, die wir an Bord arbeiteten, ist mir nur eines in Erinnerung geblieben: Daß ich Alan, der ans Ufer hinübersah, fragte, was das für ein Land sei, und er mir antwortete, für ihn wäre es das schlimmste von allen, denn es wäre ein Land der Campbells.
Wir hatten einen der Verwundeten aufgestellt, Wache zu halten über die See und uns Warnungen zuzurufen. Nun waren wir mit dem Boot so weit, daß es ins Wasser gelassen werden konnte, als dieser Mann gellend aufschrie: »Festhalten, um Gottes Willen!« Wir erkannten an seiner Stimme, daß es etwas Außergewöhnliches sein mußte, und tatsächlich kam eine so ungeheuere Welle, daß das Schiff gerade in die Höhe gehoben und flach auf die Seite gelegt wurde. Ob der Ruf zu spät gekommen oder mein Griff zu schwach gewesen war – das weiß ich nicht. Aber bei der plötzlichen Neigung des Schiffes wurde ich glatt über das Bollwerk ins Meer geworfen.
Ich kam unter Wasser und trank mich voll, dann kam ich wieder hinauf und sah ein Stückchen Mond, und wieder ging es hinunter. Man sagt, ein Mann sinke bestimmt beim drittenmal. Dann bin ich wohl anders als andere Menschen geschaffen, denn ich will nicht niederschreiben, wie oft ich hinunterkam und wie oft ich wieder heraufgekommen bin. Die ganze Zeit wurde ich herumgewirbelt und hin- und hergeschlagen und gestoßen und dann wieder ganz verschlungen – die ganze Sache wirkte so verwirrend auf meinen Verstand, daß ich weder Angst hatte noch Schmerz empfand.
Endlich fühlte ich, daß ich eine Sparre zu fassen bekommen hatte, was mir ein wenig Erleichterung verschaffte. Und dann plötzlich befand ich mich in ruhigem Wasser und fing langsam an zu mir zu kommen.
Es war die Reservesegelstange, die ich erreicht hatte, und ich war verblüfft, zu sehen, wie weit ich vom Schiff abgekommen war. Ich schrie trotzdem, aber es war klar, daß ich bereits außer Hörweite war. Das Schiff hielt noch immer zusammen, aber ob sie das Boot schon ins Wasser gelassen hatten oder nicht, das konnte ich, der ich zu weit weg und zu tief im Wasser war, nicht mehr sehen.
Ich lag jetzt ganz still und fing allmählich an zu begreifen, daß man im Wasser ebenso gut erfrieren wie ertrinken kann. Die Ufer von Earraid waren ganz nahe. Ich konnte im Mondenschein die Flecken des Heidelands und das Schimmern des Glimmers an den Felsen sehen.
»Es wäre doch merkwürdig,« dachte ich mir, »wenn ich nicht so weit kommen könnte!«
Ich konnte nicht schwimmen, da das Wasser der Essen in unserer Gegend nur seicht ist. Aber wenn ich mich mit beiden Armen auf die Stange legte und mit beiden Füßen losstieß, konnte ich bald merken, daß ich vorwärts kam. Es war eine schwere Arbeit und es ging mörderisch langsam, aber nach ungefähr einer Stunde Stoßens und Spritzens war ich zwischen den Klippen einer sandigen Bucht, die von niedrigen Hügeln umgeben war, gut hineingekommen.
Das Meer war hier ganz ruhig, es war kein Laut einer Brandung zu vernehmen. Der Mond schien hell und ich dachte in meinem Herzen, daß ich noch niemals einen so verlassenen und öden Ort gesehen hätte. Aber es war trockenes Land; und als es endlich seicht wurde, so daß ich meine Stange auslassen und zu Fuß ans Ufer waten konnte, da war ich von Müdigkeit und Dankbarkeit erfüllt. Welches Gefühl überwog, weiß ich nicht, nur eines weiß ich: daß ich so müde war wie nie zuvor und Gott so dankbar, wie gewiß schon oft in meinem Leben, aber niemals mit mehr Grund, als in jener Nacht.
Kapitel XIV
Die Insel
Mit dem Augenblick, da ich meinen Fuß ans Land setzte, beginnt der unglücklichste Teil meiner Abenteuer. Es war halb ein Uhr nachts, und obwohl der Wind nachgelassen hatte, war es doch eine sehr kalte Nacht. Ich wagte nicht, mich niederzusetzen (aus Angst zu erfrieren), sondern zog meine Schuhe aus und ging barfuß auf dem Lande auf und ab, schlug mir die Brust und war unsäglich müde. Es war kein Laut zu hören, weder von Menschen noch von Tieren. Es krähte kein Hahn, obwohl es ungefähr die Stunde ihres ersten Schreies sein mußte. Nur die Wellen brachen sich draußen am weiten Meer, und riefen mir meine und meines Freundes Gefahren wieder in Erinnerung. In so früher Morgenstunde an einem so verlassenen und einsamen Ort allein am Meer entlang zu gehen, erfüllte mich mit Furcht und Grauen.
Sobald es anfing zu tagen, zog ich meine Schuhe an und erklomm einen Hügel – wohl die anstrengendste Kletterei, die ich je unternommen hatte. Als ich die Spitze erreichte, dämmerte es bereits. Von unserem Schiff war keine Spur zu sehen, es mußte vom Riff weggeschwemmt worden sein und war wohl untergegangen. Auch das Boot konnte ich nirgends finden. Auf dem Ozean war kein einziges Segel zu erblicken und auf dem Lande, soviel ich davon sehen konnte, weder Haus noch Mensch.
Grauen erfaßte mich bei dem Gedanken, was aus meinen Schiffsgenossen geworden sein mochte, und bei dem Anblick dieser Leere. Im übrigen hatte ich auch ohnedies mit meinen durchnäßten Kleidern, meiner Müdigkeit und dem Hunger, der mich nun zu quälen anfing, Sorgen genug. So machte ich mich auf und ging die Südküste in östlicher Richtung entlang, in der Hoffnung, ein Haus zu finden, in dem ich mich wärmen könnte und vielleicht Nachrichten erhielte über die, die ich verloren hatte. Und schlimmstenfalls, überlegte ich, würde die Sonne bald aufgehen und meine Kleider trocknen.
Eine kleine Bucht oder ein Meereseinschnitt, der ziemlich tief ins Festland hineinführte, versperrte mir bald den Weg. Da ich keine Möglichkeit hatte, hinüberzukommen, mußte ich meine Richtung ändern und die Bucht umgehen. Zuerst verengte sie sich, wie ich es erwartet hatte, aber dann fing sie zu meiner Verwunderung an, sich wieder zu erweitern. Ich kratzte mir den Kopf, hatte aber noch keineswegs eine richtige Vorstellung von der Sache. Erst als ich auf eine kleine Anhöhe gekommen war, wurde es mir plötzlich klar, daß ich auf einer kleinen, kahlen Insel gestrandet, und von allen Seiten vom Meere eingeschlossen war.
Statt daß die Sonne aufging und mich erwärmte, fiel ein dichter Nebel und es fing an zu regnen: meine Lage war trostlos.
Ich stand zitternd im Regen und überlegte, was ich tun solle; es fiel mir ein, daß man die Bucht vielleicht durchwaten könne. So ging ich bis zur schmalsten Stelle zurück und watete ins Wasser. Aber nicht drei Ellen weit vom Ufer fiel ich Hals über Kopf hinein und wenn die Welt jemals wieder etwas von mir zu sehen bekam, verdanke ich es eher Gottes Gnade als meiner eigenen Klugheit. Ich war durch dieses Mißgeschick zwar nicht näßer geworden, denn das war schwer möglich, aber ich fror noch mehr und war um so unglücklicher, da ich wieder um eine Hoffnung ärmer war.
Jetzt fiel mir plötzlich die Segelstange ein. Was mich durch das schäumende Meer getragen hatte, würde mir doch sicherlich genügen, heil über diese kleine, stille Bucht zu gelangen. Unerschrocken machte ich mich also auf, um, quer über die Höhe der Insel schreitend, die Stange zu holen und wieder zurück zu tragen. Es war in jeder Beziehung ein ermüdender Marsch und hätte mich nicht die Hoffnung aufrecht gehalten, ich hätte mich hingeworfen und alles aufgegeben. Ob nun die salzige Meeresluft oder das Fieber, das in mir steckte, die Ursache war, jedenfalls wurde ich von einem so schrecklichen Durste geplagt, daß ich während des Gehens stehen bleiben und das sumpfige Wasser vom Boden trinken mußte.
Endlich kam ich, mehr tot als lebendig, zur Bai zurück. Auf den ersten Blick schien es mir, daß die Stange ein wenig weiter draußen war, als wo ich sie gelassen hatte. Ich ging also zum drittenmal ins Meer. Der Sand war glatt und fest und fiel allmählich ab, so daß ich so weit hinauswaten konnte, bis mir das Wasser beinahe bis an den Hals reichte und mir