Gesammelte Romane und Erzählungen von Robert Louis Stevenson. Robert Louis Stevenson
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Ich hielt eine so große Schlechtigkeit für unmöglich und lief am Ufer entlang, von einem Felsen zum anderen, und rief ihnen flehend zu. Sogar nachdem sie schon außer Hörweite waren, rief und winkte ich immer noch, und als sie ganz verschwunden waren, da glaubte ich, das Herz wollte mir brechen. Während der ganzen Zeit meines Elends weinte ich nur zweimal: Einmal als ich die Segelstange nicht erreichen konnte, und das zweitemal, als diese Fischer meinen Rufen kein Gehör schenkten. Aber diesesmal weinte und brüllte ich wie ein ungezogenes Kind, wühlte den Boden mit meinen Fingernägeln auf und grub mein Gesicht in die Erde. Könnte der bloße Wunsch einen Menschen töten, so hätten diese beiden Fischer den kommenden Morgen nicht mehr gesehen, und ich wäre höchstwahrscheinlich auf meiner Insel gestorben.
Als meine Wut sich ein wenig gelegt hatte, mußte ich wieder essen, aber ich tat es mit so groben Flüchen, wie ich es jetzt kaum für möglich halten würde. Es wäre sicherlich besser gewesen, ich hätte gefastet, denn meine Muscheln vergifteten mich wieder einmal. Ich litt alle Qualen, wie das erstenmal. Mein Hals war so wund, ich konnte kaum schlucken. Ich hatte einen Schüttelfrost, daß meine Zähne klapperten, und es befiel mich jenes schreckliche Gefühl der Übelkeit, wofür weder die englische noch die schottische Sprache einen Namen hat. Ich glaubte sterben zu müssen und schloß Frieden mit Gott, vergab allen Menschen, sogar meinem Onkel und den beiden Fischern. Nachdem ich mich solcherart auf das Schlimmste vorbereitet hatte, wurde es wieder klar in meinem Kopfe. Ich bemerkte, daß es in der Nacht nicht regnen würde, meine Kleider waren zum größten Teil getrocknet – wirklich, ich befand mich in weit besserer Verfassung als je zuvor, seitdem ich auf dieser Insel gelandet war, und so ging ich endlich mit einem Gefühl der Dankbarkeit schlafen.
Nächsten Tages, dem vierten dieser schrecklichen Lebensweise, fand ich meine körperlichen Kräfte sehr herabgemindert. Aber die Sonne schien, die Luft war sanft, auch vertrug ich meine Portion Muscheltiere gut und so faßte ich wieder Mut.
Kaum war ich wieder auf meinem Felsen angelangt (wohin ich immer gleich nach dem Essen ging), erblickte ich ein Boot, das den Sund herabkam, den Schnabel wie es schien, in meiner Richtung.
Sofort fing ich zu hoffen und zu fürchten an, denn ich dachte, jene Männer hätten sich ihre Grausamkeit überlegt und kämen vielleicht zurück, um mir zu helfen. Aber eine zweite Enttäuschung, wie die des gestrigen Tages, wäre mehr gewesen, als ich ertragen hätte können. Daher wendete ich dem Meere den Rücken zu und sah mich nicht eher wieder um, als bis ich einige hundert gezählt hatte. Das Boot steuerte immer noch der Insel zu. Das nächstemal zählte ich so langsam ich nur konnte mit klopfendem Herzen bis tausend. Dann war es außer Frage: sie kamen geradewegs auf Earraid zu.
Ich konnte mich nicht länger zurückhalten, lief zum Meere hinunter und hinaus von einem Felsen zum andern, so weit ich nur konnte.
Während dieser ganzen Zeit kam das Boot immer näher, und jetzt konnte ich erkennen, daß es dasselbe Boot und dieselben Männer waren, wie gestern. Ich erkannte sie an ihrer Haarfarbe, der eine war hellgelb und der andere schwarz. Aber diesmal war ein dritter Mann mit ihnen, der vornehmer aussah.
Sobald sie nahe genug herangekommen waren, um sich leicht verständlich machen zu können, ließen sie das Segel herunter und lagen still. Trotz meinem Flehen kamen sie nicht näher, und was mich am meisten erschreckte war, daß der neue Mann vor Lachen quiekte, während er sprach und nach mir hinsah.
Dann stand er auf im Boot und redete mich in einer langen, umständlichen Rede an, sprach sehr schnell und winkte mit den Händen hin und her. Ich sagte ihm, daß ich nicht gälisch verstehe, worüber er sehr zornig wurde und ich zu argwöhnen begann, daß er der Meinung wäre, er spräche englisch. Ich horchte aufmerksam hin und fing einigemal das Wort »jedesmal« auf, aber alles übrige war gälisch und hätte für mich ebensogut griechisch oder hebräisch sein können.
»Jedesmal?« sagte ich, um ihm zu zeigen, daß ich ein Wort aufgefangen hätte.
»Ja, ja – ja, ja,« sagte er, und dann sah er die anderen Männer an, als wollte er sagen, »ich habe euch ja gesagt, daß ich englisch spreche,« und fing von Neuem an, so gälisch wie nur je.
Diesmal hörte ich ein zweites Wort »Flut« heraus. Dann hatte ich einen Hoffnungsschimmer. Ich erinnerte mich, daß er immer mit der Hand nach dem Lande Roß hin winkte.
»Wollt Ihr sagen, wenn die Flut vorüber ist –?« rief ich und konnte nicht zu Ende sprechen.
»Ja, ja,« sagte er, »Flut.«
Daraufhin wandte ich ihrem Boot (in dem mein Ratgeber wieder zu lachen anfing) den Rücken zu, sprang von einem Stein zum andern den Weg zurück, den ich gekommen war und rannte weiter quer über die Insel, wie nie zuvor. In ungefähr einer halben Stunde kam ich am Ufer der Bucht heraus und wahrhaftig, das Wasser war zu einem kleinen Tümpel zusammengeschrumpft, das mir kaum bis über die Knie reichte, als ich hineinsprang und mit einem Schrei landete ich drüben am Ufer der Hauptinsel.
Ein am Meere aufgewachsener Bursche wäre keinen Tag auf Earraid geblieben. Zweimal innerhalb vierundzwanzig Stunden kann man trockenen Fußes, oder zumindest watend, ans andere Ufer gelangen, und nur zur Zeit der Flut ist es eine Insel. Sogar ich, der Flut und Ebbe kommen und gehen sah in der Bai, und auf die Zeit der Ebbe gewartet hatte, um die Muscheltiere leichter zu fangen, sogar ich – hätte ich mich hingesetzt und ruhig nachgedacht, anstatt gegen mein Schicksal zu wüten – wäre bald hinter das Geheimnis gekommen und hätte meine Freiheit wieder erlangt. Kein Wunder, daß mich die Fischer nicht verstanden hatten. Es ist vielmehr ein größeres Wunder, daß sie meine jammervolle Einbildung erraten und sich die Mühe genommen hatten, wieder zu kommen. Ich hatte auf dieser Insel beinahe hundert Stunden Hunger und Kälte gelitten. Und wären die Fischer nicht gewesen, ich hätte dort aus lauter Dummheit den Tod finden können. Aber auch so, wie es nun gekommen war, habe ich nicht nur durch vergangenes Leiden sondern auch durch meinen gegenwärtigen Zustand meine Dummheit hübsch teuer bezahlen müssen: meine Kleider waren wie die eines Bettlers, ich konnte kaum gehen und mein wunder Hals schmerzte mich sehr.
Ich habe schlechte und dumme Menschen gesehen, und ich glaube, daß sie beide am Ende bezahlen müssen. Aber die Dummen vor allen.
Kapitel XV
Der Bursche mit dem Silberknopf: Auf der Insel Mull
Der Boden von Mull, den ich nun betreten hatte, war ebenso holperig und unwegsam wie der meiner Insel, die ich eben verlassen hatte, voll Sumpf und Gestrüpp und großen Steinen. Für jene, die das Land genau kannten, mag es dort vielleicht Wege gegeben haben, aber ich für mein Teil hatte keinen besseren Führer als meine eigene Nase, und keinen anderen Wegweiser als den Ben More.
Ich ging so gut ich konnte, auf den Rauch zu, den ich so oft von meiner Insel aus gesehen hatte und kam trotz aller Müdigkeit und Schwierigkeit des Weges gegen fünf oder sechs Uhr abends zu einem Haus am Grunde eines kleinen Tales. Es war niedrig und länglich, das Dach mit Moos bedeckt und die Mauern aus roh aufgeschichteten Steinen ohne Mörtel. Vor der Tür saß ein alter Herr in der Sonne und rauchte seine Pfeife.
So wenig Englisch er auch konnte, es genügte, um mir begreiflich zu machen,