Gesammelte Romane und Erzählungen von Robert Louis Stevenson. Robert Louis Stevenson
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»Man weiter, John,« sagte Morgan, »sage den anderen deine Meinung!«
»Oh, den anderen! Eine schöne Gesellschaft! Ihr sagt, diese Kreuzfahrt ist verpfuscht; oh! wenn ihr begreifen könntet, wie sie verpfuscht ist, ihr würdet Augen machen! Wir sind dem Galgen so nahe, daß mir der Hals weh tut, wenn ich bloß daran denke. Ihr habt sie vielleicht gesehen, in Ketten hängend, Vögel um sie rumfliegend, und die Schiffer zeigen mit den Fingern nach ihnen, wenn sie mit der Ebbe auslaufen. ›Wer ist das?‹ sagt einer. ›Das? Ei, das ist John Silver, ich hab’ ihn gut gekannt!‹ sagt ein anderer. Und ihr könnt die Ketten rasseln hören, wenn ihr vorbeifahrt, bis ihr zur nächsten Bake kommt. Ja, so steht’s mit uns, mit jedem Muttersohn von uns – dank ihm und Hands und Anderson und anderen von euch, die uns kaputt gemacht haben; und wenn ihr wissen wollt, was ich euch zu Nummer vier zu sagen habe und über den Jungen da – herrje, Gott verdamm mich – ist er nicht eine Geisel? Sollen wir vielleicht eine Geisel totschlagen? So dumm sind wir doch nicht! Er kann vielleicht für uns das letzte Mittel zur Rettung sein – sollte mich gar nicht wundern! Den Jungen totschlagen? Ich tu’s gewiß nicht, Kameraden! Und Nummer drei? Oh – da ist eine Masse zu sagen, zu Nummer drei! Vielleicht rechnet ihr das für nichts, daß ein richtiger Doktor, der auf Universitäten gelernt hat, jeden Tag herkommt und nach euch sieht – nach dir, John, mit deinem Loch im Kopf – oder nach dir, George Merry, den das Fieber geschüttelt hat, noch keine sechs Stunden ist es her, und dessen Augen noch in dieser Minute so gelb sind wie Zitronenschale! Und vielleicht habt ihr auch nicht gewußt, daß ein zweites Schiff kommt? Aber so ist es, und gar nicht so lange wird’s dauern, und dann werden wir sehen, wer froh sein wird, daß wir eine Geisel haben, wenn’s so weit ist. Und Nummer zwei, und warum ich mit ihnen einen Tausch gemacht habe – na, ihr lagt ja vor mir auf den Knien, daß ich ihn machen sollte – auf euren Knien kamt ihr zu mir herangerutscht, solche Angst hattet ihr – und verhungert wärt ihr außerdem, wenn ich den Vergleich nicht gemacht hätte. Aber das sind bloß Nebensachen – warum ich ihn machte? Darum!«
Und er warf ein Papier auf den Fußboden, ein Papier, das ich augenblicklich erkannte – denn es war nichts Geringeres als die Karte mit dem gelben Papier, mit den drei roten Kreuzen –, die Karte, die ich in dem Wachstuchpaket ganz unten in des Kapteins Schifferkiste gefunden hatte. Warum der Doktor sie ihm gegeben hatte, das war mehr, als ich erraten konnte.
Aber wenn es mir unerklärlich war, auf die Meuterer hatte der Anblick dieser Karte eine ganz unglaubliche Wirkung. Sie sprangen auf sie zu wie Katzen auf eine Maus, sie ging von Hand zu Hand, und einer riß sie dem andern weg. Nach den Flüchen und dem Geschrei und dem kindischen Gelächter, womit sie die Untersuchung der Karte begleiteten, hätte man glauben sollen, sie hätten nicht nur den Goldschatz schon in ihren Fingern, sondern wären sogar sicher damit auf See.
»Ja,« sagte einer, »die ist von Flint, das ist sicher. F. F. und ein Schnörkel drunter mit einem Schwanz dran – so machte er’s immer!«
»Wunderschön!« sagte George. »Aber wie sollen wir den Schatz nach Hause bringen? Wir haben ja kein Schiff?«
Plötzlich sprang Silver auf, stützte sich mit der einen Hand gegen die Wand und rief:
»Jetzt warn’ ich dich, George! Noch ein Wort von deinem Gequassel, und ich fordere dich, und du mußt dich mit mir schlagen! Wie wir damit wegkommen sollen? Tscha – woher soll ich das wissen? Das hättest du mir sagen sollen – du und die übrigen, die mich um meinen Schoner gebracht haben! Hättet ihr euch nicht eingemischt, zum Kuckuck! Aber du, du kannst mir das nicht sagen! Hast ja nicht so viel Erinnerungsgabe wie eine Küchenschabe! Aber höflich kannst du sprechen, und das sollst du, George Merry – darauf kannst du Gift nehmen!«
»Das ist nicht mehr als recht und billig,« sagte der alte Matrose, Tom Morgan.
»Recht und billig! das will ich meinen,« sagte Silver. »Ihr habt das Schiff verloren – ich habe den Schatz gefunden. Wer ist nun der bessere Mann? Aber jetzt trete ich ab, beim Donner! Wählt, wen ihr wollt, zu eurem Käpp’n! Ich hab’ es satt!«
»Silver!« riefen sie. »Barbecue auf ewig! Barbecue bleibt unser Käpp’n!«
»So? Bläst der Wind auf einmal aus dem Loch?« rief Long John. »George, ich rechne, du wirst noch etwas warten müssen, mein Freund; und es ist ein Glück für dich, daß ich nicht nachtragend bin. Aber das war nie in meiner Art. Und nun, Schiffsmaate, was ist mit diesem schwarzen Fleck? Der hat nun wohl keinen Zweck mehr! Dick hat sich um sein Glück gebracht und hat seine Bibel ausgeschändet – und weiter hat es keinen Zweck gehabt!«
»Meine Bibel ist doch noch gut genug, sie zu küssen – was?« murrte Dick, der sich offenbar unbehaglich fühlte wegen des Fluches, den er über sich gebracht hatte.
»Eine Bibel, wo was ausgeschnitten ist!« antwortete Silver höhnisch. »Keine Spur! Die bindet nicht mehr als ein Liederbuch.«
»Aber doch noch so viel also?« rief Dick mit einer gewissen Freude. »Na, ich denke, das ist immer noch etwas wert!«
»Hier, Jim – hier hast du ‘ne Kuriosität!« sagte Silver und gab mir das Papier.
Es war ein rundes Stück Papier, ungefähr von der Größe eines Kronentalers. Die eine Seite war weiß, denn es war aus dem letzten Blatt herausgeschnitten; auf der anderen Seite standen ein paar Verse aus der Offenbarung – darunter diese Worte, die mir unauslöschlich im Gedächtnis geblieben sind: »Draußen sind Hunde und Mörder.« Die gedruckte Seite war mit Holzkohle geschwärzt; die schwarze Farbe begann bereits herunterzugehen, wie ich an meinen Fingern sah. Auf der weißen Seite stand, ebenfalls mit Holzkohle geschrieben, nur das eine Wort: »Abbgesetzt!«
Dieses kuriose Papier liegt in diesem Augenblick vor mir; aber von der Schrift ist keine Spur mehr zu sehen, außer einer einzigen Schramme, wie wenn einer mit dem Daumennagel darüber hingefahren wäre.
Dies war das Ende der nächtlichen Beratung. Jeder bekam einen Schluck zu trinken, und wir legten uns alle schlafen. Silvers Rache bestand darin, daß er George Merry draußen Posten stehen ließ und daß er ihm mit dem Tode drohte, wenn er nicht seine Pflicht täte.
Es dauerte lange, bis ich ein Auge schließen konnte, und der Himmel weiß, ich hatte Gedanken genug, die mich beschäftigten: da war der Mann, den ich am Nachmittag getötet hatte; da war meine eigene gefährliche Lage; und da war vor allen Dingen das merkwürdige Spiel, das ich Silver in diesem Augenblick treiben sah: mit der einen Hand die Meuterer zusammenzuhalten und mit der anderen nach jedem möglichen und unmöglichen Mittel zu greifen, mit der Kajütspartei seinen Frieden zu machen und sein erbärmliches Leben zu retten.
Silver selbst schlief friedlich und schnarchte laut. Aber so schlecht der Mann war, er tat mir doch im Herzen leid, wenn ich an die düsteren Gefahren dachte, die ihn umgaben, und an das ehrlose Ende am Galgen, das ihn erwartete.
Dreißigstes Kapitel
Auf mein Ehrenwort
Ich wurde geweckt – oder vielmehr, wir wurden alle geweckt, denn ich konnte sogar die Schildwache sich aufraffen sehen, die an den Türpfosten gelehnt eingeschlafen war – durch eine helle laute Stimme, die uns vom Waldsaum her anrief:
»Blockhaus ahoi! Hier ist der Doktor!«
Und richtig – es war der Doktor. Obwohl