Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger
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Читать онлайн книгу Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band) - Peter Rosegger страница 3
»Ist wohl kein Tröpfel im Keller gewesen, solang das Haus steht«, sagte der Wirt unmutig, »aber Holzapfelmost hätt' ich einen rechtschaffenen guten.«
Das war mir schon recht; doch als er in den Keller gehen wollte, trippelte sein Weib herbei, nahm ihm hastig den Schlüssel aus der Hand: »Geh, Lazarus, schneuz dem Herrn das Licht; fein geschwind, Lazarus, wirst schon dein Tröpfel noch kriegen.«
Ein wenig brummend kam er zum Tisch zurück, reinigte den Docht der Unschlittkerze, sah mich eine Weile so an und sagte endlich: »Der Herr ist zuletzt gar unser neuer Schulmeister? – Nicht? So, auf den grauen Zahn hinauf geht die Wander? Wird morgen wohl nicht gehen. Ist auch diesen Sommer noch kein Mensch hinaufgestiegen. Das muß einer im Frühherbst tun; zur andern Zeit ist kein Verlaß auf das Wetter. – Nu, wie man halt schon so nachgrübelt; ich hab' gemeint, der Herr dürft' der neue Schulmeister sein. Es versteigt sich sonst wunderselten einer da herein, der nicht herein gehört. Auf den neuen Schulmeister warten wir schon alle Tag. Der alte ist uns durchgegangen; – hat der Herr nichts gehört?«
»So, Lazarus, tu schön fein plaudern mit dem Herrn«, sagte die Wirtin in zärtlichem Tone zu ihrem Manne, als sie mir den Most und zugleich auch die Abendsuppe vorsetzte.
Das Weib war nicht mehr zu jung, aber es war das, was die Wäldler »kugelrund« nennen. Sie hatte ein zweifaches Kinn und unter demselben, um den vollen Hals, eine Silberkette. Ihre Äuglein guckten klug und mild hervor, wenn sie sprach und wenn sie, mit jedem Winkel und Nagel des ganzen Hauses bekannt und verwachsen, lustig in allen Ecken und Enden herumregierte. Wie im Scherze regelte sie alles und redete mit dem Gast und lachte mit dem Gesinde in der Küche und im Vorhause. Daß jetzt der Schauer wieder alles zerschlagen, sei freilich nicht gar lustig, meinte sie, aber besser sei es allerwege, das Eis falle vom Himmel auf die Erde, als wenn es von der Erde auf den Himmel fiele und da oben auch noch alles in Scherben schlüge. Da hätt' eins schon gar nichts mehr zu hoffen.
Und wie sie so die Sache auslegte, sprudelte die Fröhlichkeit ordentlich aus ihr hervor, und der ganze Kreis um sie war heiter; und jedes schien sich so gehen zu lassen in dem, was es tat, empfand und sagte; aber es ging doch alles nach der Schnur.
»Ihr habt eine treffliche Wirtin«, sagte ich zum Wirt.
»Das wohl, das wohl«, bestätigte er leise und lebhaft, »brav ist sie, meine Juliana, aber halt – aber halt –« Das Wort blieb ihm im Halse stecken, oder vielmehr, er zerbiß es, drückte und preßte es hinab; auf sprang er und, die Hände am Rücken geballt, schritt er über die Stube und wieder zurück und goß sich ein Glas Wasser in die Gurgel.
Dann setzte er sich auf die Bank und war ruhig. Aber es war noch nicht ganz gut, er hatte die Fäuste geschlossen und starrte auf den Tisch. – Ich habe einmal auf einem Jahrmarkt einen Araber gesehen, eine mächtig hohe Gestalt, knochig, hager, rauh und lederbraun, schwarz und vollbärtig, glutäugig, mit langer, scharf gebogener Nase, schneeweißen Zähnen, mit dichten Brauen und einem weichen, wollartigen Haarfilze – völlig so sah der Mann aus, der jetzt schier unheimlich vor mir brütete.
»'s gibt kein Weibel mehr, so herzensgut und getreu«, murmelte er plötzlich; weitere Worte zermalmte er zwischen den Zähnen.
Ich sah, der Mann war in einer peinlichen Stimmung; ich suchte ihn daraus zu erlösen,
»Also durchgegangen, sagt Ihr, ist der alte Schulmeister?«
Da hob der Wirt seinen Kopf: »Man kann just nicht sagen, daß er durchgegangen ist; es hat ihm nichts weh getan bei uns. Ich denk', wer fünfzig Jahr in Winkelsteg Schullehrer oder was weiß ich alles ist, der läuft im einundfünfzigsten nicht davon wie ein Roßdieb.«
»Fünfzig Jahre dahier Schullehrer!« rief ich.
»Schullehrer und Arzt und Amtmann und eine Weil' auch Pfarrer ist er gewesen.«
»Und ein Halbnarr ist er auch gewesen!« schrie einer vom Nebentische her, wo sich mehrere schwarze Gesellen, etwa Holzer und Kohlenbrenner, bei Schnapsgläsern niedergelassen hatten. »Ja freilich«, rief die Stimme, »da draußen bei der Wacholderstauden ist er die längste Zeit gehockt und hat mit dem Wisch geschwätzt, und ich vermein', den Gimpeln hat er das Singen lehren wollen nach Noten. Hat er wo einen scheckigen Falter erspäht, so ist er ihm nachgeholpert den ganzen halben Tag; – ein Halterbübl könnt' nicht kindischer sein. Hat ihn 'leicht gar so ein Tier fortgelockt, hat der Alte nimmer heimgefunden, ist liegenblieben im Wald.«
»Zur Weihnachtszeit fliegen keine Falter herum, Josel«, sagte der Wirt halb berichtigend, halb verweisend, »und daß er in der Christnacht ist in Verlust geraten, das wirst wissen.«
»Der Teufel hat ihn geholt, den alten Sakermenter!« grölte eine andere Stimme in dem finsteren Winkel der Stube am großen Kachelofen. Als ich hinblickte, sah ich in der Dunkelheit die Funken eines Feuersteines sprühen.
»Mußt nit, Schorschl, mußt nit so reden!« sagte einer der Köhler, »mußt bedenken, der alte Mann hat schneeweißes Haar gehabt!«
»Ja, und Hörner unter demselben«, rief's vom Ofen her, »'leicht hat ihn keiner so gekannt, den alten Schleicher, wie der Schorschl! Meint Ihr, er hätt's nit abgemacht gehabt mit den großen Herren, daß wir keiner was haben gewonnen beim Lotterg'spiel (Lotterie)! Wesweg hat denn der Kranabetsepp gleich in der zweiten Woch', da der Schulmeister ist weggewesen, einen Terno gemacht? Der bucklig' Duckmauser selber hat freilich Geld gehabt; hat's vergraben, auf daß, was er selber nit braucht, die armen Leut' auch nit brauchen sollen. O – 'leicht könnt' einer noch andere Geschichten erzählen, wären nicht so gewisse Leut' in der Stuben.«
Die Stimme schwieg; man hörte nur das Paffen der rauchsaugenden Lippen und das Zuklappen eines Pfeifendeckels.
Der Wirt stand auf, warf sein Lodenwams weg und ging in flatternden Hemdärmeln einige Schritte gegen den Ofen. Mitten in der Stube stand er still. »So, gewisse Leut' sind in der Stuben«, sagte er gedämpft, »Schorschl, dasselb' deucht mich selber; aber nit beim redlichen Tisch sitzen sie vor aller Leut' Augen; im stockfinsteren Winkel ducken sie sich wie nichtsnutzige Schelm' –« Er brach ab, man merkte es, wie er sich Gewalt antat, gelassen zu bleiben; er zog sich schier krampfhaft zusammen, aber er blieb stehen mitten in der Stube.
»Freilich, freilich, die Branntweinbrenner haben den Alten nicht leiden mögen«, sagte einer der Köhler. Dann zu mir gewendet: »Bester Herr, der hat's gut gemeint! Gott tröst' seine arme Seel'! Hat noch die Orgel gespielt in der Heiligen Nacht, aber in der Christtagsfrüh ist kein Gebetläuten gewesen. Den Reiter-Peter – das ist halt unser Musikant – hatt' er in der Nacht noch angeredet, daß der sollt' die Musik für den Christtag übernehmen; das ist sein letztes Wort gewesen, und weg ist der Schulmeister. – Du heiliger Antoni, was haben wir den Mann nicht gesucht! Spüren hat man ihn nicht können, der Schnee ist weit und breit, und gar im Wald drin, steinhart gewesen; hat jeden tragen, so weit er hat wollen gehen. Ganz Winkelsteg ist auf gewesen, ist alle Wälder abgegangen und alle Straßen draußen im Land.«
Der Mann schwieg; ein Achselzucken und eine Handbewegung deuteten an, sie hätten den Schulmeister nicht gefunden.
»Und so haben wir Winkelsteger keinen Schulmeister«, sagte der Wirt. »Ich für mich brauch' keinen; ich hab' nichts gelernt und werd' nichts mehr lernen – ich leb' so. Aber einsehen tu' ich's wohl, ein Schulmeister