Wie ich Livingstone fand. Henry M. Stanley
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Wie ernst die Lage für Livingstone in den Tagen unmittelbar vor dem Eintreffen Stanleys geworden war, geht aus seinen eigenen Tagebuchaufzeichnungen hervor, die in ihrer Nüchternheit zugleich ein interessantes Gegenstück zu Stanleys dramatischer Schilderung bilden:
»23. Oktober.3 – Bei Tagesanbruch nach Udschidschi aufgebrochen. Daselbst von allen Arabern … begrüßt. Ich bin bis zum Skelett abgemagert, da aber hier täglich Markt gehalten wird und alle Arten heimischer Lebensmittel feilgeboten werden, so hoffte ich, gute Verpflegung und Ruhe würden mich bald wieder herstellen; am Abend kamen jedoch meine Leute und meldeten mir, Shereef habe alle meine Waren verkauft. Diese Nachricht wurde durch Moenyeghere bestätigt, der mir sagte: ›Wir protestierten dagegen, er ließ aber von 3000 Ellen Kattun keine einzige übrig, ebenso wenig von den 700 Pfund Perlen eine Schnur.‹ Das war eine sehr niederschlagende Kunde. Ich hatte mich entschlossen, falls ich keine Leute in Udschidschi bekommen könne, daselbst zu warten, bis Begleiter für mich von der Küste her eintreffen würden, aber dass ich dort als Bettler warten sollte, hatte ich nicht mit in Berechnung gezogen, und ich fühlte mich sehr unglücklich bei diesem Gedanken …
24. Oktober. – Meine Waren sind an Shereefs Freunde für bloß nominelle Preise verkauft worden. Seyed bin Majid, ein guter Mann, schlug vor, sie sollten mir zurückgegeben und Shereef das Elfenbein abgenommen werden; sie wollten sie aber nicht wieder zurückgeben, obschon sie wussten, dass sie gestohlen waren … In meiner Verlassenheit kam ich mir vor wie der Mann, der von Jerusalem nach Jericho ging und unter die Räuber fiel; ich konnte aber nicht hoffen, dass Priester, Levit oder ein guter Samariter von irgendeiner Seite käme … Als jedoch meine Niedergeschlagenheit den höchsten Grad erreicht hatte, war der gute Samariter wirklich dicht bei mir. Eines Morgens kam Susi gerannt und rief mir, nach Atem schnappend, schon von ferne zu: ›Ein Engländer! Ich sehe ihn!‹ Damit stürzte er wieder fort und ihm entgegen. Die amerikanische Flagge an der Spitze einer Karawane verkündete die Nationalität des Fremden. Warenballen, zinnerne Badewannen, große Kessel, Kochtöpfe, Zelte usw. ließen mich denken: ›Das muss ein sehr gut ausgestatteter Reisender sein und nicht einer, der mit seinem Witz zu Ende ist wie ich.‹ (28. Oktober) Es war Henry M. Stanley, der reisende Korrespondent des New York Herald, den James Gordon Bennett jun. mit einem Kostenaufwand von über 4000 Pfund ausgesandt hatte, um genaue Erkundigungen über Dr. Livingstone einzuziehen, falls ich noch lebe, und falls ich tot sei, meine Gebeine nach Hause zu bringen. Die Neuigkeiten, die er mir, der ich zwei Jahre ohne jede Kunde von Europa gewesen war, zu erzählen hatte, machten meinen ganzen Körper erbeben … Der Appetit stellte sich wieder ein, und statt der schmalen, geschmacklosen zwei Mahlzeiten des Tages aß ich täglich viermal, sodass ich mich nach einer Woche kräftig zu fühlen begann. Ich gehöre nicht zu den demonstrativen Naturen und bin wirklich so kalt, wie es uns Insulanern als Grundzug unseres Wesens nachgesagt wird, aber die uneigennützige Güte, welche Mr. Bennett für mich hatte und zu deren ausübendem Werkzeug Mr. Stanley sich in so edler Weise gemacht, war doch überwältigend für mich. Ich fühle eine unbegrenzte Dankbarkeit …«
Diese Zeilen bleiben aber auch die einzige gefühlsbetonte Äußerung. Auf den folgenden Seiten seines Tagebuches vermeidet Livingstone dann alle persönlichen Bemerkungen. Wenn er Stanley erwähnt, dann meistens nur mit kurzen Hinweisen auf dessen Fieberanfälle. Das besagt aber keineswegs, dass er ihn nicht schätzte und seine Leistungen nicht anerkannte. Stanley selbst war wesentlich enthusiastischer und machte aus seiner tiefen Verehrung für den Älteren nie ein Hehl. Nur einmal noch spricht er später in seinen »Erinnerungen« rückblickend von seinem Pflegevater mit gleicher Wärme. –
Die vier Monate des Zusammenseins wurden für Stanley zur wichtigen Lehrzeit. Er durfte mit Livingstone den Nordteil des Tanganika erkunden. Auch bei den Berichten über dieses Unternehmen scheiden sich die Geister. Während Stanley die Reise ausführlich schildert und die Entdeckung, dass der Rusizi einen Zufluss in den See bildet und diesen nicht in das Quellgebiet des Nils entwässert, geradezu dramatisierte, ging Livingstone auf die Entdeckung in seinen Tagebüchern nur ganz knapp und am Rande ein, weil sie ihm nicht bedeutsam genug war. Trotzdem prägten die gemeinsam verbrachten Wochen den jungen hitzköpfigen Journalisten und beeinflussten seinen weiteren Lebensweg ganz entscheidend. Am 14. März 1872 trennten sich die beiden. Livingstone blieb in Unyanyembé zurück, um auf die versprochenen Hilfsgüter zu warten, während Stanley wieder nach Osten zog. Die beiden sollten sich nie mehr wiedersehen. Sobald Livingstone seinen Nachschub erhalten hatte, zog er an der Ostseite des Tanganikasees südwärts erneut bis zum Bangweolosee und umwanderte, stets nach der Nilquelle suchend, dessen Osthälfte. Aber die Strapazen dieser Reise waren zu viel für den geschwächten Körper. Am Morgen des 1. Mai 1873 fanden ihn seine schwarzen Diener in der Hütte eines Eingeborenendorfes, in dem er Rast gemacht hatte, vor dem Bett kniend, der Kopf ruhte auf den gefalteten Händen. Der Tod hatte ihn im Gebet überrascht. –
Die treuen Diener unter der Führung von Susi und Chuma begruben sein Herz unter einem Baum und balsamierten den Leichnam auf primitive Weise ein. Dann transportierten sie ihn heimlich und unter größten Strapazen bis zur Küste; eine Tat tiefster Treue, die noch ein letztes Mal bewies, wie beliebt Livingstone bei seinen Leuten gewesen war! Die kleine Karawane erreichte den Indischen Ozean, und ein Schiff brachte den toten Forscher in die Heimat, wo er am 18. April 1874, ein Jahr nach seinem Tod und zwei Jahre nach dem Abschied von Stanley, in der Westminster-Abtei beigesetzt wurde.
Zu den Männern, die bei dem feierlichen Leichenkondukt die Schnüre des Bahrtuches hielten, gehörte auch Stanley. Er hatte in den Monaten nach seiner Rückkehr gleichermaßen heftige Anfeindungen wie begeisterte Anerkennung geerntet. Er hatte bewusst darauf verzichtet, sich im Gefolge Livingstones als Autorität in geographischen Fragen aufzuwerfen. Nun aber, nach dem Tod seines Lehrmeisters, sah er auch seine Stunde für gekommen, und er beschloss, die von Livingstone nicht mehr bewältigten Probleme anzugehen und das Rätsel der Nilquellen endgültig zu lösen.
Ähnlich wie in Nord- und Südamerika hat die Erforschung der großen Ströme und ihrer Einzugsgebiete sowie die Nutzung der Wasserwege zum Eindringen ins Innere auch bei der Entschleierung Afrikas eine bestimmende Rolle gespielt. Livingstone, dem die Sambesiforschung entscheidende Anstöße verdankt, irrte jedoch bei der Zuordnung des von ihm im März 1871 entdeckten Lualaba zum Stromsystem des Nils. Stanley, dem er von diesem Fluss berichtete, hat auf seiner 1874 angetretenen zweiten Afrikareise den Lualaba befahren und ihn durch seinen Vorstoß bis zum Atlantik als Quellfluss des Kongo identifiziert. 1879–84 war er dann noch einmal im Kongobecken – diesmal mit direktem Kolonisationsauftrag des belgischen Königs Leopold II. Die Gründung des Kongo-Staates und ihre Sanktionierung durch alle Kolonialmächte in der Berliner Kongo-Akte von 1885 ist ein direktes Ergebnis dieser Tätigkeit. In Stanley begegnet uns damit ein neuer Entdeckertyp, ein moderner Konquistador, der sich den Weg voran freipeitscht und freischießt. Die Menschenverachtung bei der Aufteilung Afrikas durch die europäischen Mächte vor hundert Jahren stand der arabischer Sklavenhändler in nichts nach.
Stanleys ursprüngliche Legitimation als Afrikakenner ist in der erfolgreich verlaufenen Suchexpedition nach dem verschollenen Menschenfreund Livingstone begründet. Immer wieder hat er sich als dessen Schüler bezeichnet, und doch gibt es kaum ein sinnfälligeres Symbol für den Wandel im Stil der Entdeckungsreisen