Wilhelm Hauff: Märchen, Romane, Erzählungen & Gedichte. Wilhelm Hauff
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Um nun meiner guten Großmutter eine Ehre zu erweisen, hielt ich es auch schon seit mehreren Jahrhunderten so. Im Fegefeuer, wo sie sich gewöhnlich aufhält, ist immer an diesem Tage allgemeine Seelenfreiheit. Die Seelen bekommen diesen Tag über den Körper, den sie auf der Oberfläche hatten, ihre Kleider, ihre Gewohnheiten, ihre Sitten. Was von Adel da ist, muß Deputationen zum Handkuß der Alten schicken (in pleno können sie nicht vorgelassen werden, weil sonst die Prozession einige Tage lang dauerte). Ehemalige Hofmarschälle, Kammerherren usw. haben den großen Dienst, und schätzen es sich zur Ehre, die Honneurs zu machen, die Festlichkeiten zu leiten, die Touren bei den Bällen, welche abends gegeben werden, zu arrangieren usw.
Ich erfülle durch diese Festlichkeiten einen doppelten Zweck; einmal fühlt sich chère Grande-Mama ungemein geschmeichelt durch diese Aufmerksamkeit, zweitens gelte ich unter den Seelen für einen honetten Mann, der ihnen auch ein Vergnügen gönnt, drittens macht dieser einzige Tag, in Freude und alten Gewohnheiten zugebracht, daß die Seelen sich nachher um so unglücklicher fühlen; was ganz zu dem Zweck einer solchen Anstalt, wie das Fegefeuer ist, paßt.
An einem solchen Festtag gehe ich dann verkleidet durch die Menge; manchmal erkennt man mich zwar, ein tausendstimmiges: »Vivat der Herr Teufel! vive le diable!« erfreut dann mein landesväterliches Herz, doch weiß ich wohl, daß es nicht weniger erzwungen ist, als ein Hurra auf der Oberwelt, denn sie glauben, ich drücke sie noch mehr, wenn sie nicht schreien.
In meinem Inkognito besuche ich dann die verschiedenen Gruppen; tout comme chez vous, meine Herren, nur etwas grotesker, Kaffeegesellschaften, Tee von allen Sorten, diplomatische, militärische, theologische, staatswirtschaftliche, medizinische Klubs finden sich wie durch natürlichen Instinkt zusammen, machen sich einen guten Tag und führen ergötzliche Gespräche, die, wenn ich sie mitteilen wollte, auf manches Ereignis neuerer und älterer Zeit ein hübsches Licht werfen würden.
Einst trat ich in einen Saal des Café de Londres (denn, nebenbei gesagt, es ist an diesem Tag alles auf großem Fuß und höchst elegant eingerichtet) ich traf dort nur drei junge Männer, die aber durch ihr Äußeres gleich meine Neugierde erweckten und mir, wenn sie ins Gespräch miteinander kommen sollten, nicht wenig Unterhaltung zu versprechen schienen. Ich verwandelte daher meinen Anzug in das Kostüm eines flinken Kellners und stellte mich in den Saal, um die Herrschaften zu bedienen.
Zwei dieser jungen Leute beschäftigten sich mit einer Partie Billard; ich markierte ihnen und betrachtete mir indes den dritten. Er war nachlässig in einen geräumigen Fauteuil zurückgelehnt, seine Beine ruhten auf einem vor ihm stehenden kleineren Stuhl, seine linke Hand spielte nachlässig mit einer Reitgerte, sein rechter Arm unterstützte das Kinn. Ein schöner Kopf! das Gesicht länglich und sehr bleich; die Stirne hoch und frei, von hellbraunen, wohlfrisierten Haaren umgeben, die Nase gebogen und spitzig wie aus weißem Wachs geformt, die Lippen dünn und angenehm gezogen, das Auge blau und hell, aber gewöhnlich kalt und ohne alles Interesse langsam über die Gegenstände hingleitend; dies alles und ein feiner Hut enger oben als unten, nachlässig auf ein Ohr gedrückt, ließen mich einen Engländer vermuten. Sein sehr feines blendend weißes Linnenzeug, die gewählte, überaus einfache Kleidung konnte nur einem Gentleman, und zwar aus den höchsten Ständen gehören. Ich sah in meiner Liste nach, und fand, es sei Lord Robert Fotherhill. Er winkte, indem ich ihn so betrachtete, mit den Augen, weil es ihm wahrscheinlich zu unbequem war, zu rufen, ich eilte zu ihm, und stellte auf seinen Befehl ein großes Glas Rum, eine Havannazigarre und eine brennende Wachskerze vor ihn hin.
Die beiden andern Herren hatten indes ihr Spiel geendigt und nahten sich dem Tische, an welchem der Engländer saß; ich warf schnell einen Blick in meine Liste und erfuhr, der eine sei ein junger Franzose, Marquis de Lasulot, der andere ein Baron von Garnmacher, ein Deutscher.
Der Franzose war ein kleines untersetztes, gewandtes Männchen. Sein schwarzes Haar und der dichtgelockte schwarze Backenbart standen sehr hübsch zu einem etwas verbrannten Teint, hochroten Wangen und beweglichen, freundlichen schwarzen Augen; um die vollen roten Lippen und das wohlgenährte Kinn zog sich jenes schöne unnachahmliche Blau, welches den Damen so wohl gefallen soll, und in England und Deutschland bei weitem seltener, als in südlichern Ländern gefunden wird, weil hier der Bartwuchs dunkler, dichter und auch früher zu sein pflegt, als dort.
Offenbar ein Incroyable von der Chaussee d’Antin! Das elegante Negligé, wie es bis auf die geringste Kleinigkeit hinaus der eigensinnige Geschmack der Pariser vor vier Monaten (so lange mochte der junge Herr bereits verstorben sein) haben wollte. Von dem, mit zierlicher Nachlässigkeit umgebundenen ostindischen Halstuch, dem kleinen blaßroten Shawl mit einer Nadel à la Duc de Berry zusammengehalten, bis herab auf die Kamaschen, die man damals seit drei Tagen nach innen zuknöpfte, bis auf die Schuhe, die, um als modisch zu gelten, an den Spitzen nach dem großen Zehen sich hinneigen, und ganz ohne Absatz sein mußten, ich sage bis auf jene Kleinigkeiten, die einem Ungeweihten, geringfügig und miserabel, einem, der in die Mysterien hinlänglich eingeführt ist, wichtig und unumgänglich notwendig erscheinen, war er gewissenhaft nach dem neuesten »Geschmack für den Morgen« angezogen.
Er schien soeben erst seinem Jean die Zügel seines Cabriolets in die Hand gedrückt, die Peitsche von geglättetem Fischbein kaum in die Ecke des Wagens gelehnt zu haben und jetzt in meinen Kaffee hereingeflogen zu sein, um mehr gesehen zu werden, als zu sehen, mehr zu schwatzen, als zu hören.
Er lorgnettierte flüchtig den Gentleman im Fauteuil, schien sich an dem ungemeinen Rumglas und dem Rauchapparat, den jener vor sich hatte, ein wenig zu entsetzen, schmiegte sich aber nichtsdestoweniger an die Seite Seiner Lordschaft: und fing an zu sprechen:
»Werden Sie heute abend den Ball besuchen, mein Herr, den uns Monseigneur le diable gibt? Werden viel Damen dort sein, mein Herr? ich frage, ich bitte Sie, weil ich wenig Bekanntschaft hier habe.
Mein Herr, darf ich Ihnen vielleicht meinen Wagen anbieten, um uns beide hinzuführen; es ist ein ganz honettes Ding, dieser Wagen, habe ich die Ehre, Sie zu versichern, mein Herr; er hat mich bei Latonnier vor vier Monaten achtzehnhundert Franken gekostet. Mein Herr, Sie brauchen keinen Bedienten mitzunehmen, wenn ich die Ehre haben sollte, Sie zu begleiten, mein Jean ist ein Wunderkerl von einem Bedienten.«
So ging es im Galopp über die Zunge des Incroyable. Seine Lordschaft schien sich übrigens nicht sehr daran zu erbauen. Er sah bei den ersten Worten den Franzosen starr an, richtete dann den Kopf ein wenig auf, um seine rechte Hand frei zu machen, ergriff mit dieser – die erste Bewegung seit einer halben Stunde – das Kelchglas, nippte einige Züge Rum, rauchte behaglich seine Zigarre an, legte den Kopf wieder auf die rechte Hand, und schien dem Franzosen mehr mit dem Auge als mit dem Ohr zuzuhören und auch auf diese Art antworten zu wollen, denn er erwiderte auch nicht eine Silbe auf die Einladung des redseligen Franzosen und schien, wie sein Landsmann Shakespeare sagt:
»der Zähne doppelt Gatter«
vor seine Sprachorgane gelegt zu haben.
Der Deutsche hatte sich während dieses Gespräches dem Tische genähert, eine höfliche