Butler Parker 184 – Kriminalroman. Günter Dönges
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Chief-Superintendent McWarden, erfahrener Kriminalist mit guten Nerven, fuhr wie unter einem elektrischen Schlag zusammen, als er den spitzen Schrei hörte. Der Sherry in seinem Glas schwappte über und ergoß sich über seine Hose. Mit Amtsmiene musterte der Yard-Beamte den Butler, doch Josuah Parker schien nichts gehört zu haben. Er ordnete gemessen und würdevoll das Gedeck auf dem Tisch und merkte, daß der Besucher des Hauses offensichtlich irritiert war.
»Was war denn das?« fragte McWarden, der sich inzwischen wieder unter Kontrolle hatte. Doch bevor Parker antworten konnte, ertönte bereits der nächste, ungemein schrille Aufschrei. Prompt versorgte der Chief-Superintendent erneut seine Hose mit Sherry. Myladys Gast stellte deshalb vorsichtig sein Glas ab und deutete nach oben.
»Wird da jemand umgebracht?« fragte er dann in Richtung Parker.
»Der Mord dürfte bereits geschehen sein, Sir«, lautete Parkers Antwort.
»Der Mord dürfte bereits geschehen sein?« Der etwa fünfundfünfzigjährige, untersetzte und mit einem Bauchansatz ausgestattete McWarden erinnerte wegen der Basedowaugen an eine stets gereizte Bulldogge.
»Mylady beklagt bereits einen teuren Toten, Sir«, berichtete Parker, ohne sich aus seiner würdevollen Ruhe bringen zu lassen. »Darf man Ihnen noch einen Sherry anbieten, Sir?«
»Sie beklagt einen teuren Toten?« Der Chief-Superintendent war aufgesprungen.
»Sie haben zur Zeit die Ehre, Sir, Mylady als dramatische Sopranistin bewundern zu dürfen«, lautete Parkers Erklärung. »Mylady hat sich entschlossen, Sängerin zu werden.«
»Sängerin, Mister Parker?« McWarden holte tief Luft. »Das sind doch ... Urschreie.«
»Die an Wirksamkeit kaum zu überbieten sein dürften«, meinte der Butler. »In Myladys Studio mußten in jüngster Vergangenheit bereits sechsmal die Glühbirnen ausgetauscht werden.«
»Wieso denn das?« wunderte sich der Chief-Superintendent umgehend.
»Myladys Koloraturen ließen die Beleuchtungskörper zerspringen, Sir.« In Parkers Gesicht rührte sich kein Muskel.
»Koloratur?« staunte McWarden und schüttelte den Kopf. »Mylady hat doch, sagen wir mal, eine dunkle Altstimme, oder? Schafft sie tatsächlich Koloraturen?«
»Mylady ist fest davon überzeugt, Sir.« Parker hatte seinen Satz gerade beendet, als ein dritter Schrei zu hören war. McWardens Sherryglas auf dem Couchtisch wurde von den Schallwellen getroffen und klirrte leicht. Der Chief-Superintendent verzog schmerzhaft das Gesicht. Seine Trommelfelle vibrierten.
»Wie halten Sie das nur aus, Mister Parker?« fragte McWarden nach einer kleinen Pause.
»Gleichmut gehört zu den Tugenden eines Butlers, Sir«, entgegnete Josuah Parker. McWarden wollte noch etwas sagen, doch in diesem Augenblick erschien Agatha Simpson oben auf der Galerie und blickte in die große Wohnhalle hinunter.
Sie war eine majestätische Erscheinung, groß, füllig und beherrschte die tragischen Gesten einer Heroine. Sie hatte bereits das sechzigste Lebensjahr überschritten, wirkte aber noch ungemein dynamisch.
»Sie, mein lieber McWarden?« Ihre Stimme dröhnte nach unten und füllte die große Wohnhalle des Hauses. Sie lächelte gewinnend und schritt wie eine regierende Monarchin über die Treppe. »Sie haben mich vielleicht zufällig gehört?«
»Es war ... beeindruckend, Mylady«, schwindelte McWarden.
»Nicht wahr?« Sie nickte wohlwollend. »Ich habe mich ein wenig eingesungen. Übrigens, Mister Parker, Sie müssen zwei Glühbirnen auswechseln. Unerklärlicherweise sind sie schon wieder zersprungen.«
»Es dürfte sich um Materialfehler handeln, Mylady.« Parkers Gesicht blieb ausdruckslos wie das eines cleveren Pokerspielers.
»Sie singen neuerdings?« fragte der Chief-Superintendent höflich, als Mylady ihm huldvoll die Hand reichte.
»Ich bin für die Kunst geboren«, gab sie zurück. »Vor einiger Zeit hatte ich zwar vor, Schauspielerin zu werden, mein lieber McWarden, doch nun weiß ich um meine wirkliche Berufung.«
»Sie werden eine Sensation sein, Mylady«, prophezeite der Yard-Beamte.
»Natürlich, natürlich«, pflichtete sie ihm bei. »Ich denke, ich werde neue Maßstäbe setzen.«
»Sie wollen sich nicht mehr mit dem Verbrechen befassen, Mylady?« fragte der Chief-Superintendent. Er war mehr als nur überrascht.
»Nur noch zwischen meinen Verpflichtungen an den Opernhäusern dieser Welt«, gab sie zurück. »Man muß Opfer bringen können.«
»Schade«, bedauerte McWarden. »Ich war eigentlich gekommen, um Sie zu einer interessanten Mitarbeit einzuladen.«
»Mit anderen Worten, mein lieber McWarden, Sie brauchen wieder mal meine, Hilfe?«
»Durchaus«, räumte McWarden ein, doch er blickte jetzt den Butler an, dessen detektivische Fähigkeiten er nicht nur schätzte, sondern sogar bewunderte.
»Und um welche Bagatelle geht es diesmal?« fragte die ältere Dame, die deutliches Interesse zeigte.
»Es geht um Erpressung, Schutzgelder und Drogen«, erwiderte der Chief-Superintendent. »Es machen sich da in der Künstler-Szene Gangster breit, die sich Golden-Boys nennen.«
*
Sie war eingenickt.
Agatha Simpson saß in der ersten Stuhlreihe des kleinen Konzertsaals und träumte wahrscheinlich von ihrer internationalen Anerkennung. Parker, der neben ihr Platz genommen hatte, wahrte die Würde. Er lauschte dem fingerfertigen Klavierspiel des Pianisten, der sich mit einem gewissen Chopin auseinandersetzte.
Dieser Klavierabend war gut besucht.
Der Pianist, ein weltweit bekannter Künstler, ließ die Läufe perlen und zeichnete sich durch große Musikalität aus. Das Publikum war hingerissen, denn es gab so gut wie keinen der üblichen Hustenanfälle. Auch wurde nicht mit Papier geraschelt. Der Abend konnte nur zu einem großen Triumph für den Künstler werden.
Mylady und Parker waren nicht absichtslos gekommen.
Chief-Superintendent McWarden hatte durch einen V-Mann erfahren, daß dieser Solisten-Abend empfindlich gestört werden sollte. Genaue Einzelheiten kannte er allerdings nicht. Der Solist war ahnungslos und wurde von einigen Leuten McWardens überwacht und abgeschirmt. Diese Beamten saßen verteilt im Saal und warteten auf die angekündigte Störung.
Als Mylady allerdings einen ersten, wenn auch noch diskreten Schnarchlaut produzierte, fühlte Parker sich gefordert, einzugreifen. Er stieß seine Herrin mit größter Vorsicht an. Sie fuhr mit einem zweiten Schnarchlaut hoch und reagierte auf ihre spezielle Weise. Sie blickte ihren linken Nebenmann empört an.
»Wie können Sie es wagen, zu dieser göttlichen Musik zu schnarchen«, herrschte sie den entgeisterten Musikliebhaber an. »Schämen Sie sich!«
Bevor der Mann reagieren konnte, kam es zu der eigentlichen Störung, die man McWarden zugetragen hatte.
Zwei noch recht junge Zuhörer männlichen Geschlechts, die dunkle, korrekte Anzüge trugen, gingen einfach auf das Podest, wo der Flügel stand. Der Virtuose blickte