Dr. Daniel Paket 1 – Arztroman. Marie Francoise
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»Danke, Kurt, aber du hast eine Frau zu Hause, und ihr habt euch einen ruhigen Feierabend redlich verdient«, entgegnete er. »Ich werde noch ein bißchen arbeiten und dann nach Hause gehen.«
»Na dann…« Dr. Gebhardt stand auf und ging zur Tür, doch dort drehte er sich noch einmal um. »Glaubst du, es ist wirklich richtig, jetzt schon nach Steinhausen zurückzukehren?«
»Jetzt schon?« wiederholte Dr. Daniel. »Meine Güte, Kurt, ich habe meine Praxis fünf Jahre lang geschlossen gehalten. Es ist höchste Zeit, daß ich nach Steinhausen zurückgehe.«
Bedächtig wiegte Dr. Gebhardt seinen Kopf hin und her. »Ich weiß nicht, Robert… du hast Christines Tod längst noch nicht verwunden, und…«
»Und ich werde es nie verwinden können, daß sie mich so früh verlassen mußte«, vollendete Dr. Daniel niedergeschlagen. »Christine wird immer ein Teil von mir sein, und ich muß lernen, damit zu leben – auch in Steinhausen.«
*
Bis kurz vor Mitternacht blieb Dr. Daniel noch in der Praxis, dann machte er sich schweren Herzens auf den Heimweg, Tagsüber, im Gespräch mit seinen Patientinnen und auch in der Sorge um sie, konnte er sein privates Schicksal zurückdrängen, doch abends, da überfiel ihn die Einsamkeit wie ein drohendes Gespenst.
Mit einem tiefen Seufzer blickte er die Fassade des riesigen Mietshauses empor, in dem er nun schon seit fünf Jahren wohnte. Im Vergleich zu seiner Villa in Steinhausen war es ein winziges Appartement, trotzdem hatte er sich eine Weile sogar ein bißchen wohl gefühlt. Die Erinnerung an seine geliebte Frau, die er viel zu früh hatte hergeben müssen, war hier nicht so erdrückend gewesen.
Während Dr. Daniel noch vor dem Haus stand, runzelte er plötzlich die Stirn. Das einzige Fenster, das zu dieser späten Stunde noch hell erleuchtet war, gehörte doch zu seiner Wohnung. Dann huschte ein freudiges Lächeln über Dr. Daniels markantes Gesicht. Offensichtlich war Karina gekommen. Wenn er das nur gewußt hätte! Niemals wäre er so lange in der Praxis geblieben, wenn er auch nur geahnt hätte, daß seine Tochter ihn zu Hause erwarten würde.
In fliegender Hast schloß Dr. Daniel die Haustür auf, dann lief er – immer zwei Stufen auf einmal nehmend – die Treppe hinauf und riß die Wohnungstür auf.
»Karina?« rief er fragend.
Im selben Moment erschien eine rundliche Frau von Anfang Fünfzig im Rahmen der Wohnzimmertür. Ihr ehemals dunkles Haar war schon leicht ergraut, und ihr sympathisches Gesicht strahlte Güte und Herzenswärme aus.
»Na, Bruderherz, da staunst du, was?« erklärte sie lächelnd, als Dr. Daniel sie nur sprachlos anstarren konnte. »Irene! Wie… wie kommst du denn hierher?« brachte er nach Minuten des Schweigens endlich hervor.
Irene Hansen schmunzelte. »Es gibt schon seit etlichen Jahren… wenn nicht gar Jahrzehnten, eine gute Zugverbindung von Kiel nach München.«
Dr. Daniel schüttelte den Kopf. »Du weißt genau, was ich meine.«
»Also weißt du, Robert, ein bißchen herzlicher könntest du mich schon begrüßen«, hielt Irene ihm vor.
Und jetzt konnte Dr. Daniel plötzlich lächeln. »Irischen.« Liebevoll schloß er sie in die Arme. »Du hast ganz recht. Ich bin ein richtiger Flegel geworden.« Er schwieg kurz, dann bekannte er: »Es ist schön, daß du hier bist.«
Arm in Arm betraten sie das Wohnzimmer und setzten sich. »Sag mal, kommst du jeden Tag so spät aus der Praxis?« wollte Irene wissen. »Ich dachte schon, du würdest dort übernachten.«
Dr. Daniel seufzte, dann fuhr er sich mit einer müden Handbewegung durch das dichte blonde Haar. »Was soll ich denn zu Hause tun? Die Wände anstarren?« Er schüttelte den Kopf. »Da arbeite ich schon lieber.«
»Karina hat recht«, entgegnete Irene energisch. »Es ist höchste Zeit, daß sich jemand um dich kümmert.«
In diesem Moment sah Dr. Daniel klar. »Ach so, Karina hat dich also alarmiert.«
»Ja, und zwar genau zum richtigen Zeitpunkt.« Irene hob drohend den Zeigefinger. »Mein lieber Robert, du läßt dich ganz schön gehen.«
Dr. Daniel winkte ab. »Ach, was weißt du denn…« Dann fiel ihm ein, daß Irene vor etlichen Jahren dasselbe durchgemacht hatte. Schon in jungen Jahren war sie Witwe geworden, und obwohl ihre Ehe kinderlos gewesen war und sie nach dem Tod ihres Mannes völlig allein dagestanden hatte, hatte sie sich nie aufgegeben.
»Entschuldige, Irene«, murmelte Dr. Daniel. »Du weißt natürlich am allerbesten, wovon du sprichst.« Er seufzte wieder. »Alles war nur halb so schlimm, als Stefan und Karina noch hier waren, aber…« Er zuckte die Schultern.
Tröstend griff Irene nach der Hand ihres Bruders und drückte sie sanft. »Ich weiß schon, Robert, nach Christines Tod waren die Kinder dein ein und alles, aber du mußt einsehen, daß sie jetzt erwachsen werden. Sie können nicht ewig bei dir bleiben – auch wenn es dir noch so weh tut.« Dann lächelte sie. »Und jetzt hast du ja mich. Ich habe meine Zelte in Kiel endgültig abgebrochen und werde bei dir bleiben – vorausgesetzt, du willst mich überhaupt hier haben.«
Impulsiv nahm Dr. Daniel seine Schwester in die Arme. »Ob ich dich hier haben will? Wie wagst du es, eine solche Frage überhaupt zu stellen? Ich bin doch glücklich, daß du bei mir bist – vor allem jetzt.« Für einen Augenblick senkte er den Kopf, dann sah er Irene wieder an. »Ich werde nach Steinhausen zurückkehren.«
Irene lächelte. »Das ist eine gute Entscheidung, Robert. Du hast deine Praxis schon viel zu lange allein gelassen. Und glaub mir – gemeinsam werden wir einen neuen Anfang schaffen.«
*
Schon seit Stunden lag Kerstin Wenger wach im Bett. Neben sich hörte sie die gleichmäßigen Atemzüge ihres Mannes, und für einen Augenblick bereute sie, daß sie ihm nichts von dem Gespräch mit Dr. Daniel erzählt hatte. Jetzt war sie mit ihrer Angst völlig allein.
Andererseits brauchte Helmut seine ungestörte Nachtruhe. Er hatte es in der CHEMCO schwer genug, vor allem seit er Vorsitzender des Betriebsrates war.
Mit einem leisen Seufzer wälzte sich Kerstin auf die andere Seite. Im nächsten Moment spürte sie Helmuts tastende Hand.
»Was ist los, Liebling? Kannst du nicht schlafen?« fragte er leise.
Mit einem heftigen Aufschluchzen warf sich Kerstin in seine Arme.
»Helmut, ich… ich glaube, ich habe Krebs«, platzte sie unter Tränen heraus.
Helmut Wenger erschrak zutiefst. War er zuvor noch ein wenig schläfrig gewesen, so hatten Kerstins Worte ihn jetzt mit brutaler Grausamkeit wachgerüttelt.
»Krebs?« wiederholte er fassungslos. »Aber… ich verstehe nicht… wieso glaubst du…«
»Ich war heute bei Dr. Daniel«, begann Kerstin leise zu erzählen. »Er hat einen Abstrich genommen… die normale Krebsvorsorgeuntersuchung. Und bisher war auch nie etwas, aber heute… er hat gesagt, er muß es ins Labor schicken.«
»Dann… ist es also noch nicht sicher.« Aus Helmuts Worten klang Hoffnung.
»Nein, aber… ich