Historische Romane: Die vierzig Tage des Musa Dagh, Verdi, Das Lied von Bernadette, Eine blassblaue Frauenschrift und mehr. Franz Werfel
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Читать онлайн книгу Historische Romane: Die vierzig Tage des Musa Dagh, Verdi, Das Lied von Bernadette, Eine blassblaue Frauenschrift und mehr - Franz Werfel страница 11
»Wie meinst du das? Warum? In Stambul besitze ich viele Freunde in allen Kreisen, auch unter den Regierungsleuten. Dort hat unser Handelshaus seine Zentrale. Mein Name ist sehr bekannt.«
Die Hand auf Gabriels Knie wurde schwerer:
»Gerade deshalb, weil dein Name sehr bekannt ist, möchte ich dich auch nur vor einem kurzen Aufenthalt in der Hauptstadt warnen.«
»Wegen des Dardanellenkrieges?«
»Nein, deshalb nicht!«
Das Gesicht des Agha verschloß sich. Er lauschte nach innen, ehe er wieder das Wort nahm:
»Niemand kann wissen, wie weit die Regierung gehen wird. Aber, daß zuallererst die Großen und Angesehenen eures Volkes zu leiden haben werden, das ist sicher. Und ebenso sicher ist es, daß man in einem solchen Fall mit Anklagen und Verhaftungen gerade in der Hauptstadt beginnen wird.«
»Sprichst du nur Vermutungen aus oder hast du Anhaltspunkte für deine Warnung?«
Der Agha ließ den Bernsteinkranz in seinem weiten Ärmel verschwinden:
»Ja, ich habe Anhaltspunkte.«
Nun konnte Gabriel sich nicht mehr halten und sprang auf:
»Was sollen wir tun?«
Da der Gast stand, erhob sich auch der Hausherr:
»Wenn ich dir raten darf, so kehre in dein Haus in Yoghonoluk zurück, verweile dort in Frieden und warte ab! Du hättest unter diesen Umständen für dich und deine Familie keinen angenehmeren Ort wählen können.«
»Frieden?« schrie Gabriel höhnisch auf, »das ist schon ein Gefängnis!«
Rifaat Bereket wandte sein Gesicht ab, durch die laute Stimme in dem gedämpften Selamlik verletzt:
»Du sollst deine Besonnenheit nicht verlieren. Es tut mir leid, daß ich dich durch meine aufrichtigen Worte beunruhigt habe. Du hast zu irgendeiner Sorge nicht den geringsten Grund. Wahrscheinlich wird alles im Sande verlaufen. In unserem Vilajet kann sich nichts Böses ereignen, denn Djelal Bey ist Gott sei Dank der Wali. Er duldet keinen Übergriff. Was aber auch immer geschehen mag, es ist bedingt und eingeschlossen in sich selbst wie Knospe, Blüte und Frucht im Samenkorn. In Gott ist schon geschehen, was wir erst erleben werden.«
Geärgert durch die blumigen Allgemeinheiten dieser Theologie, lief Bagradian, nun alle Form außer acht lassend, auf und ab:
»Das Schrecklichste ist: man kann es nicht greifen, man kann nicht kämpfen dagegen.«
Der Agha näherte sich dem Verstörten und hielt seine Hände fest:
»Vergiß nicht, o Freund, daß die Lästerer aus deinem Komitee nur eine kleine Minderzahl sind. Unser Volk ist ein sehr gütiges Volk. Wenn auch immer wieder im Zorn Blut vergossen wurde, so habt ihr nicht weniger Schuld daran getragen. Und dann: Es leben Gottesmänner genug in den Tekkehs, in den Klöstern, und kämpfen in heiligen Zikr-Übungen um die Reinheit der Zukunft. Entweder werden sie siegen oder alles wird untergehn. Ich verrate dir auch, daß ich meine Reise nach Anatolien und Stambul in der armenischen Sache unternehme. Ich bitte dich um Gottvertrauen.«
Die kleinen Hände des Alten hatten die Kraft, Gabriel zu beruhigen:
»Du hast recht, ich werde dir gehorchen. Am besten, wir verkriechen uns in Yoghonoluk und rühren uns nicht fort, bis der Krieg vorüber ist.«
Der Agha ließ ihn noch immer nicht los:
»Versprich mir, zu Hause bei euch über alle diese Dinge nichts zu reden! Wozu auch! Bleibt alles beim alten, wirst du die Leute nur unnötig in Schreck versetzt haben. Kommt es zu irgendwelchen Unannehmlichkeiten, hat ihnen die Besorgnis nichts genützt. Du verstehst mich. Vertraue und schweige!«
Und auch beim Abschied wiederholte er dringlich:
»Vertrauen und schweigen! ... Du wirst mich viele Monate nicht sehn. Bedenke aber, daß ich in dieser Zeit für euch arbeiten werde. Ich habe von deinen Vätern viel Güte empfangen. Und nun läßt es Gott in meinem Alter zu, daß ich dankbar sein darf.«
Drittes Kapitel
Die Notabeln von Yoghonoluk
Der Heimritt nahm viel Zeit in Anspruch, denn Gabriel Bagradian setzte sein Pferd nur selten in Trab und ließ es immer wieder in die langsamste Gangart verfallen. So geschah es auch, daß er vom kürzeren Wege geriet und auf der Straße blieb, die den Orontes entlang führt. Erst als jenseits der Häuserkuben von Suedja und El Eskel der ferne Meereshorizont in Sicht kam, schrak der Reiter aus seiner Versunkenheit auf und wandte sich scharf gegen Norden, dem Tal der armenischen Dörfer zu. Zu Beginn der langlebigen Frühjahrsdämmerung erreichte er die Straße – wenn man den elenden Karrenweg so nennen darf –, welche die sieben Dörfer miteinander verbindet. Yoghonoluk lag ungefähr in der Mitte. Er mußte daher die südlichen Ortschaften Wakef, Kheder Beg, Hadji Habibli durchqueren, um nach Hause zu kommen, was vor Einbruch der Dunkelheit kaum mehr möglich war. Er aber hatte keine Eile.
Um diese Stunde waren die Ortschaften am Musa Dagh reich belebt. Alles stand vor den Häusern. Die Zärtlichkeit des Sonntag-Endes trieb die Menschen zusammen. Die Körper, die Augen, die Worte suchten einander, um das Behagen des Daseins durch Familienklatsch und allgemeine Klagen über die Zeit zu bekräftigen. Die Geschlechter und die Altersstufen bildeten getrennte Gruppen. Scheel standen die Matronen beisammen, gelassen die jüngeren Frauen in ihren Feiertagskleidern und spöttisch die jungen Mädchen. Ihr Münzenschmuck klapperte. Sie zeigten die herrlichen Zähne. Gabriel fiel die große Menge kriegstauglicher Burschen auf, die noch nicht eingerückt waren. Sie lachten und tollten, als ob es für sie keinen Enver Pascha gäbe. Aus den Wein- und Obstgärten näselten die Saiten des Tar, der armenischen Gitarre. Ein paar überfleißige Männer bereiteten ihr Handwerkszeug vor. Der türkische Tag geht mit der Dämmerung zu Ende und somit auch die Sonntagsruhe. Gesetzte Arbeitsmänner hatten Lust, vor dem Schlafengehen noch ein bißchen herumzubasteln.
Anstatt mit ihren türkischen Namen hätte man die Dörfer auch nach dem Handwerk benennen können, das sie auszeichnete. Wein und Obst pflanzten sie alle. Getreide wurde fast nicht angebaut. Doch ihr Ruhm lag in der Kunstfertigkeit. Da war Hadji Habibli, das Holzdorf! Seine Männer verfertigten nicht nur aus hartem Holz und Bein die besten Kämme, Pfeifen, Zigarettenspitzen und ähnliche Gegenstände des täglichen Gebrauches, sondern sie schnitzten auch Kruzifixe, Madonnen, Heiligenfiguren, die bis nach Aleppo, Damaskus und Jerusalem ausgeführt wurden. Diese Schnitzereien, keine grobe Bauernware, besaßen ihre Eigenart, wie sie nur im Schatten des heimatlichen Berges zu gedeihen vermochte. Wakef aber war das Spitzendorf! Denn die feinen Decken und Taschentücher der dortigen Frauen fanden ihre Kundschaft sogar bis Ägypten, ohne daß die Künstlerinnen freilich etwas davon wußten, die mit ihrer Ware nur bis auf den Markt von Antiochia gelangten, und dies kaum zweimal jährlich. Von Azir, dem Raupendorf, muß nicht mehr gesprochen werden. In Kheder Beg wurde die Seide gesponnen. In Yoghonoluk und Bitias, den beiden größten Flecken, fanden sich all diese Handwerksarten zusammen. Kebussije aber, der nördlichste, der verlorenste Ort, war das Bienendorf. Der Honig von Kebussije, so behauptete Gabriel Bagradian, finde auf der ganzen Welt nicht