Historische Romane: Die vierzig Tage des Musa Dagh, Verdi, Das Lied von Bernadette, Eine blassblaue Frauenschrift und mehr. Franz Werfel

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Historische Romane: Die vierzig Tage des Musa Dagh, Verdi, Das Lied von Bernadette, Eine blassblaue Frauenschrift und mehr - Franz Werfel

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unverständlichen Anspielungen: »Köschkerian ... Zeitun ... Es muß ein Ende gemacht werden.« Gabriel aber verstand, ohne die Einzelheiten zu verstehen. Während der Badeknecht die Fäuste in seine Schultern bohrte, drangen ihm die Türkenstimmen überlaut in die Ohren wie Wasser. Peinliche Scham! Er, der noch vor kurzer Zeit mit Blicken des Widerwillens an den armenischen Händlern des Bazars vorübergegangen war, fühlte sich nun verantwortlich und in das Schicksal dieses Volkes hineinverwickelt.

      Der Herr auf der entferntesten Pritsche hatte sich indessen ächzend erhoben. Er raffte seinen Burnus, der als Bademantel diente, und machte auf Watschelfüßen ein paar Schritte in den Raum. Gabriel konnte nur sehn, daß er sehr groß und dick war. Seine Art, zusammenhängend zu reden, und die Art der anderen, ihn widerspruchslos anzuhören, ließ darauf schließen, daß man einen Hochmögenden vor sich hatte:

      »Man tut der Regierung unrecht. Politik läßt sich nicht mit Ungeduld allein machen. Die Verhältnisse liegen ganz anders, als sich die Unwissenden im Volke einbilden. Verträge, Kapitulationen, Rücksichten, das Ausland! Ich kann aber den Beys vertraulich mitteilen, daß vom Kriegsministerium, von Seiner Exzellenz Enver Pascha selbst, Befehle an die Militärbehörden ergangen sind, melun ermeni millet (die verräterische Armeniernation) zu entwaffnen, das heißt die Eingerückten aus dem Liniendienst zurückzunehmen und nur zu niedriger Arbeit zu verwenden. Straßenbau oder Lasttragen. Dies ist die Wahrheit! Doch es soll von ihr nicht gesprochen werden.«

      Das darf ich nicht hinnehmen, das kann ich nicht dulden, sagte sich Gabriel Bagradian. Leise mahnte die Gegenstimme: Du bist selbst der Verfolgte. Eine dunkle Kraft aber, die ihn von der Pritsche hob, entschied diesen Kampf. Er schüttelte den Badeknecht ab und sprang auf die Steinfliesen. Mit dem weißen Tuch verhüllte er sich um die Hüften. Das zornglühende Gesicht mit dem durch das Bad verwirrten Haar, der mächtige Oberkörper schienen dem Herrn im englischen Touristenanzug nicht mehr anzugehören. Er pflanzte sich vor dem Hochmögenden auf. An den schwarzbraunen Augensäcken und an der leberkranken Gesichtsfarbe erkannte er den Kaimakam. Dieser Anblick aber stachelte seine Erregung nur noch höher:

      »Seine Exzellenz Enver Pascha wurde samt seinem Stab von einer armenischen Truppe im Kaukasus gerettet. Er war von den Russen schon so gut wie gefangen. Das wissen Sie ja ebenso wie ich, Effendi. Sie wissen ferner auch, daß Seine Exzellenz daraufhin in einem Schreiben an den Katholikos von Sis oder an den Bischof von Konia die Tapferkeit der sadika ermeni millet (der treuen Armeniernation) dankbar rühmte. Dieses Schreiben wurde auf Befehl der Regierung öffentlich angeschlagen. Das ist die Wahrheit! Wer diese Wahrheit vergiftet, wer Gerüchte verbreitet, der schwächt die Kriegführung, der zersprengt die Einheit, der ist ein Feind des Reiches, ein Hochverräter! Das sage ich Ihnen, Gabriel Bagradian, Offizier in der türkischen Armee ...«

      Er brach ab und wartete auf eine Antwort. Die Beys aber, durch den wilden Ausbruch verdutzt, gaben keinen Laut von sich, auch der Kaimakam nicht, der nur den Burnus fester um seine Blöße zog. Gabriel durfte deshalb den Raum sogleich als Sieger verlassen, wenn auch bebend vor Erregung. Während er sich ankleidete, erkannte er bereits, daß er mit diesem Ausbruch eine der größten Dummheiten seines Lebens begangen hatte. Der Weg nach Antiochia war nun für ihn verschüttet. Und das war doch der einzige Aus- und Rückweg in die Welt. Er hätte, ehe er den Kaimakam beleidigte, an Juliette und Stephan denken müssen. Dennoch war er nicht ganz unzufrieden mit sich.

      Sein Herz ging noch immer schnell, als ihn der Diener des Agha Rifaat Bereket in den Empfangssalon, den Selamlik des kühlen Türkenhauses führte. Auf dem schwebend weichen Riesenteppich des halbdunklen Zimmers schritt Gabriel auf und ab. Seine Uhr, die er unsinnigerweise doch immer nach westeuropäischer Zeit richtete, zeigte die zweite Nachmittagsstunde. Geheiligte Hauszeit also, Zeit des Kef, der unantastbaren Mittagsruhe, in der jeder Besuch einen schweren Verstoß gegen die Sitte bedeutete. Er war viel zu früh gekommen. Der Agha, ein unbestechlicher Hüter alttürkischer Förmlichkeit, ließ ihn auch warten. Bagradian durchmaß immer wieder den nahezu leeren Raum, in dem außer zwei langen, niedrigen Diwans nichts vorhanden war als ein Kohlenbecken und ein kleines Serviertischchen. Er rechtfertigte seine Unhöflichkeit vor sich selbst: Etwas geht vor, ich weiß nicht genau was, aber ich darf keine Minute verlieren, um mir Klarheit zu verschaffen.– Rifaat Bereket war ein Freund des Hauses Bagradian noch aus dessen Urzeit, aus den glorreichen Tagen des alten Awetis. Er bedeutete eine der klarsten und ehrfürchtigsten Erinnerungen Gabriels, der ihm seit seinem Aufenthalt in Yoghonoluk schon zwei Besuche abgestattet hatte. Der Agha erwies sich ihm nicht nur bei notwendigen Einkäufen behilflich, sondern sandte auch von Zeit zu Zeit Leute, die ihm für seine Antikensammlung kostbare Ausgrabungen anboten, und zwar zu lächerlich billigen Preisen.

      Gabriel wurde durch den Eintritt des Hausherrn, der in dünnen Schuhen aus Ziegenleder unhörbar kam, in einem Selbstgespräch überrascht. Der Agha Rifaat Bereket, ein mehr als siebzigjähriger Mann mit weißem Spitzbart, fahlen Zügen, halbgeschlossenen Augen und kleinen, leuchtenden Händen, trug um den Fez ein gelbliches Seidentuch gewickelt. Es war das Zeichen des Moslems, der seine religiösen Pflichten genauer und regelmäßiger erfüllt als die breite Menge. Mit seiner kleinen Hand holte der Alte langsam, feierlich zum Gruße aus, berührte Herz, Mund und Stirn. Ebenso feierlich erwiderte Gabriel den Gruß, als bedränge keine Ungeduld seine Nerven. Daraufhin trat der Agha näher und streckte seine Rechte gegen das Herz des Gastes aus, so daß er mit den Fingerspitzen Gabriels Brust leicht berührte. Damit war der »Herz-Kontakt« angedeutet, die innigste Form persönlicher Fühlungnahme, ein mystisches Brauchtum, das fromme Leute von einem bestimmten Derwischorden übernommen haben. Dabei leuchtete die winzige Hand in der angenehmen Finsternis des Selamliks immer weißer. Gabriel kam es so vor, als sei diese Hand auch ein Gesicht, vielleicht sogar noch feiner und empfindsamer als das eigentliche.

      »Freund und Sohn meines Freundes« – diese weit ausholende Ansprache war immer noch ein Teil der Empfangszeremonie –, »mit deiner Visitkarte hast du mir vorhin das Geschenk einer freudigen Überraschung gemacht. Und nun verschönert mir deine Gegenwart den Tag.«

      Gabriel wußte, was sich geziemte, und fand für seine Antwort die richtige Responsorienform:

      »Meine seligen Eltern haben mich sehr früh allein gelassen. In dir aber lebt mir ein lebendiger Zeuge ihres Andenkens und ihrer Zuneigung. Wie glücklich bin ich, in dir einen zweiten Vater zu besitzen.«

      »Ich bin in deiner Schuld.« Der Alte führte den Gast zu einem Diwan. »Du erweisest mir heute zum dritten Male die Ehre. Schon längst wäre ich verpflichtet gewesen, dir in deinem Hause meine Aufwartung zu machen. Aber du siehst, ich bin ein alter, gebrechlicher Mann. Der Weg nach Yoghonoluk ist lang und schlecht. Auch steht mir eine große und dringende Reise bevor, für die ich meine Glieder schonen muß. Vergib mir also!«

      Damit war der Ritus des Empfanges zu Ende. Man ließ sich nieder. Ein kleiner Junge brachte Kaffee und Zigaretten. Der Hausherr trank und rauchte schweigend. Die Sitte befahl, daß der jüngere Besucher mit seinem Anliegen warten müsse, bis der alte Mann die Möglichkeit gebe, das Gespräch in die gewünschte Richtung zu lenken. Der Agha aber schien noch nicht gesonnen zu sein, aus seiner halbdunklen Welt in irgendeine Wirklichkeit dieses Tages zu tauchen. Er gab dem Diener ein Zeichen, worauf dieser seinem Herrn eine kleine Lederkassette überreichte, die er schon bereitgehalten hatte. Rifaat Bereket ließ sie aufspringen und streichelte mit seinen beseelten Greisenfingern über den Sammet, auf dem zwei uralte Münzen lagen, eine silberne und eine goldene:

      »Du bist ein sehr gelehrter Mann, der an der Universität von Paris studiert hat, ein Schriftenkenner und Schriftendeuter. Ich bin nur ein ungebildeter Liebhaber des Altertums, der sich mit dir nicht messen kann. Hier aber habe ich schon seit ein paar Tagen diese beiden Kleinigkeiten für dich vorbereitet. Die eine Münze, die silberne, hat vor tausend Jahren jener armenische König schlagen lassen, der einen ähnlichen Namen trug wie deine Familie: Aschot Bagratuni. Sie stammt aus der Gegend des Wan-Sees und man findet sie selten. Die andere, die goldene, ist hellenischen Ursprungs. Du kannst die schöne und tiefsinnige Inschrift auch ohne Vergrößerungsglas entziffern:

      Dem

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