Gewachsen im Schatten. Annemarie Regensburger
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Die Orgel ertönt laut, die Glocken läuten, alle stehen auf. „Dominus vobiscum.“ – „Et cum spiritu tuo.“ – „Oremus …“ Die fremde Sprache klingt im Ohr des Kindes. So hat der Abt bestimmt nicht mit der Mama geredet, als sie mit dem Kündigungsschreiben ins Kloster gelaufen ist und ihm „das Maul“ angehängt hat. Das Kind schüttelt den Kopf. Es kann nicht glauben, dass dieser himmlische Bote, viel prachtvoller als der heilige Nikolaus, derselbe Abt gewesen sein soll.
Alle knien nieder. Der Abt setzt sich. Am besten gefallen dem Kind die goldbestickten Schuhe, die weich wie Patschen sind. Das Kind trägt daheim Wollsocken mit aufgenähter Ledersohle.
Die Leute im Mittelschiff und die Kinder in den Seitenbänken dürfen sich setzen. Der Zeremonienmeister gibt das Zeichen dazu. Dann setzt er dem Abt die Mitra auf. Der geht zum Ambo und beginnt zu sprechen. Die Don-Bosco-Schwester bei den Mädchenbänken legt den Finger auf die Lippen. Die Mädchen müssen trotzdem lächeln, denn beim Abt schlägt beim Sprechen irgendwo die Zunge an. „Dear isch lei nouh ‚krowatisch‘ redn gwehnt“, sagt später die Mama.
Der Abt redet von Jesus, wie arm er geboren sei, nur in einem Stall sei für ihn und seine Mama Platz gewesen. Ins hat der Abt ouh lei an Platz übern Schweistall gebm wellen, denkt sich das Kind. Bei der Wandlung kein Huster in der Kirche. Der Abt flüstert einige unverständliche Worte, hebt die große Hostie, dann den Kelch hoch. Ab jetzt ist Jesus im Brot und im Wein, sagt beim Religionsunterricht der Pater. Deshalb müssen ab jetzt die Leute in der Kirche besonders still sein. Auf die Frage, ob der Abt ein Zauberer sei, sagt die Mama: „Ma woaß dejs nie aso genau.“
Alle schlagen sich auf die Brust. Der Abt bricht die große Hostie auseinander und beginnt sie zu zerkauen. Die Kälte knirscht in der Kirche. Er trinkt aus dem goldverzierten Kelch, den ihm ein Pater hält. Die Patres, die Novizen, die Ministranten knien vor dem Abt nieder, strecken die Zunge heraus und bekommen eine Hostie. Die Leute knien beim „Speisgitter“ nieder. Der Reihe nach strecken sie die Zunge heraus. Das Kind darf daheim nicht die Zunge herausstrecken. Die Mama sagt, das sei frech. Ein Ministrant hält sogar einen goldenen Teller unter die Zunge. Kein Stück der Hostie darf auf den Boden fallen, das wäre eine große Sünde. Die Mama kommt, streckt dem Abt die Zunge heraus. Der Abt legt die Hostie darauf. Die Mama muss ein wenig lächeln, denn sie hat den Abt seit ihrem Schreiausbruch nicht mehr gesehen. Auf dem Heimweg fragt das Kind die Mama: „Warum sein alls lei Buebm Minischtrantn?“
„Dejs woaß ih ouh nit. Denk nit so viel nach, siesch geaht’s dir wie dein Vater.“
„Mama, wenn du nit mit’n Prälat gschriern hasch, hattn mir ouh lei an Stall kejt.“
Die Mama lächelt beim Betreten der warmen Stube. Vor dem Schlafengehen wird der Weihnachtszelten angeschnitten. Er schmeckt dem Kind gut.
Für das neue Jahr lernt die Mama mit dem Kind einen Neujahrsvers mit einem besonderen Wunsch an die Nachbarinnen:
Ih wünsch dir a guets nuijs Jahr
’s Christkindl auf’n Altar
zwoa Engelen, weswegn?
Dass die Hennen recht guet legn!
Die Nachbarinnen freuen sich über Mamas guten Einfall. Das Eiergeld ist oft genug das einzige Bargeld, über das die Frauen verfügen. Ein Gedicht kann sonst kein Kind beim „Nuijahrsabgwinnen“ aufsagen. Das Kind bekommt deshalb Anerkennung und hat ein paar Groschen mehr als die anderen Kinder im Beutel.
Die Mama gewinnt dem beschwerlichen Leben meistens eine heitere Seite ab. Sie verkleidet das Kind als Tirolerbub zum „Maschgern“ gehen und lehrt ihm auch wieder einen neuen Reim:
Bin a lustiger Bue
lass in Teixl kue Rueh
und die Engelen in Himml
dia lachn darzue.
Bin a lustiger Bue
brauch gar oft a Paar Schueh
und a trauriger Narr
hat oft lang an uan Paar.
Wie lang wird das Kind von diesen ersten Erfahrungen mit Himmel und Engeln und Fröhlichkeit zehren? Die Mama hat nicht einmal vor dem „Teixl“ Angst und vermittelt dies auch ihren Kindern.
Die große Schwester darf zum ersten Mal zum Faschingsball ins Dorfwirtshaus gehen, denn sie ist im Jänner sechzehn geworden. Auch die Mama überkommt die Verkleidungslust. Sie leiht sich von der Klosterküche den größten Kochlöffel aus und kommt als Koch „vermaschgert“ ins Wirtshaus. Die große Schwester wundert sich den ganzen Abend, warum ihr immer ein Koch nachspioniert. Beim geringsten Annäherungsversuch eines Dorfburschen bekommt dieser den Kochlöffel zu spüren. Der Mama entgeht einfach nichts.
Im Mai kommt das Hannele weinend vom Religionsunterricht nach Hause.
„Mama, niemed will fiar d’ Rosi Firmgotl machen!“
„Warum nit?“
„Die Kinder habm ihr ‚Kommunistnfratz‘ nachgschriern. Mama, was isch a Kommunist?“
„Hear lei zun plearn au, Hannele. Ih mach der Rosi Firmgotl. Dejs war decht nouh schiander. Lei weil der Alte Kommunist isch, weard ’s Madl woll decht gfirmt wearn kennen. Wo kam’ mir denn da hin!“
„Mama, was isch a Kommunist?“
„Dia verhoaßn ’s Paradies auf dear Walt. War nit aso schlecht, weil wer woaß schue, ob’s wahr isch, was ins die Kleaschterer fiar a Paradies verhoaßn. Amol auf dear Walt han ih’s nouh nit gfundn. In gscheideschtn war, wenn’s in Paradies kuene Manderleit gab, weil dia bringen lei ’s Unglück in d’ Walt.“
Die Mama lässt dem Hannele zur Firmung ein wunderschönes, rotes Kleid mit Plisseerock beim Dorfschneider nähen. Auch für die Rosi bezahlt die Mama den Schneider. Vier Jahre später trägt das Kind dieses Kleid beim Tor zum Rosengitter in der Stiftskirche. Es darf für den Neupriester vom Dorf das Festgedicht aufsagen. Das Kind betont beim Satz „Du bist am Ziel“ das „Du“ anstatt das „Ziel“. Die Don-Bosco-Schwester kann es dem Kind trotz ihres Einsatzes nicht mehr abgewöhnen.
Zwischen