Historische Romane: Die Kreuzritter + Quo Vadis? + Mit Feuer und Schwert + Sintflut + Pan Wolodyjowski + Auf dem Felde der Ehre. Henryk Sienkiewicz
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Wenn nun auch Jurand der Erzählung so regungslos lauschte, daß es den Anwesenden dünkte, er schlafe, verstand und begriff er doch jedes Wort, denn als der Böhme die Leiden Danusias berührte, da quollen zwei große Thränen aus den leeren Augenhöhlen hervor und rannen langsam über die Wangen des beklagenswerten Vaters, dem von allen irdischen Empfindungen nur die eine geblieben war: die Liebe zu seinem Kinde.
Dann bewegten sich seine bläulichen Lippen wie im Gebete. Draußen jedoch grollte abermals der Donner, und grelle Blitze erleuchteten jeden Augenblick die Fenster. Lange, lange betete Jurand, während wieder große Zähren seinen weißen Bart benetzten. Tiefe Stille herrschte, allein nach und nach bemächtigte sich aller Anwesenden eine gewisse Unruhe, denn keines wußte, was es beginnen solle.
Endlich faßte der alte Tolima, der Gefährte Jurands in allen Schlachten und der Hüter von Spychow Mut, indem er sagte: »Vor Euch, o Herr, steht jener Verdammte, jener gottlose Kreuzritter, der Euer Kind, der Euch gemartert hat; gebt mir durch ein Zeichen kund, wie ich ihn strafen soll!«
Bei diesen Worten erhellten sich plötzlich Jurands Züge und mittelst eines Zeichens bedeutete er, man möge den Gefangenen ganz nahe zu ihm bringen.
Sofort packten zwei der Knechte den Kreuzritter unter den Schultern und führten ihn vor den Gebieter von Spychow, der, den Arm ausstreckend, mit der flachen Hand über das Gesicht Zygfryds fuhr, gerade als ob er sich dessen Züge ins Gedächtnis zurückrufen oder fest einprägen wolle, dann betastete er die Brust des Komturs, sowie die Stricke, mit denen dessen Arme kreuzweis zusammengebunden waren. Die Augenlider schließend, senkte er hierauf das Haupt.
Alle Umstehenden glaubten, er sinne über etwas nach. Wie dem nun aber auch sein mochte, lange verharrte er nicht in der gebeugten Stellung, nein, schon nach wenigen Minuten richtete er sich empor und streckte die Hand nach dem Laibe Brot aus, in dem das Unheil verkündende Misericordia steckte.
Die Anwesenden wagten kaum zu atmen. Unverwandt blickten alle auf den Gebieter von Spychow. Wohl war das Rachegefühl begreiflich, wohl war die Strafe hundertfach verdient, trotzdem rief aber der Gedanke, daß dieser schon halb dem Tode verfallene Greis mit tastender Hand einen gefesselten Gefangen töten wolle, in eines jeden Herzen Schauder hervor.
Er aber faßte den Dolch in der Mitte, streckte den Zeigefinger bis zu dem spitzen Ende des scharfen Messers aus, damit er sich vergewissern konnte, was er berühre, und begann dann langsam die Stricke an den Armen Zygfryds entzwei zu schneiden.
Von Staunen überwältigt, glaubte keines den eigenen Augen trauen zu dürfen. Nun verstanden alle mit einem Male, was er bezweckte. Doch eine solche That konnten sie nicht billigen. Hlawa murrte zuerst, seinem Beispiele folgten Tolima und die Knechte. Nur Pater Kaleb fragte mit einer vor Schluchzen bebenden Stimme: »Bruder Jurand, was ist Euer Begehr? Wollt Ihr dem Gefangenen die Freiheit schenken?«
»Ja!« bedeutete Jurand durch eine Bewegung seines Hauptes.
»Wollt Ihr, daß ihm die Strafe erlassen bleibe, daß er der Rache entgehe?«
»Ja!«
Das Murren wurde immer lauter, die Ausbrüche des Zornes, der Entrüstung steigerten sich. Da wendete sich Pater Kaleb, dem es am Herzen lag, daß ein solches Beispiel an Barmherzigkeit und Mitleid nicht vereitelt werde, zu den Murrenden und rief: »Wer wagt es, sich dem Willen eines Heiligen zu widersetzen? Auf Eure Knie!«
Und niederkniend, hub er an: »Vater unser, der Du bist im Himmel, geheiligt werde Dein Name, Dein Wille geschehe –«
Unentwegt sprach er das Vaterunser zu Ende. Bei den Worten »und vergieb uns unsre Schulden, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern« schaute er unwillkürlich auf Jurand, dessen Antlitz erstrahlte, wie von überirdischem Glanze übergossen.
Und dieser Anblick und die Worte des Gebetes übten eine besänftigende Wirkung auf die Herzen der Versammelten aus, denn selbst der alte, durch unzählige Kämpfe hart gewordene Tolima umfaßte, das Zeichen des Kreuzes machend, Jurands Füße und fragte: »Wenn wir Eurem Wunsche willfahren wollen, o Herr, müssen wir wohl den Gefangenen an die Grenze geleiten?«
»Ja!« bedeutete Jurand abermals durch ein Neigen seines Hauptes.
Grell erleuchtete jetzt ein Blitzstrahl nach dem andern die Fenster, näher und näher kam das Ungewitter.
Viertes Kapitel.
Inmitten von Sturm und Regen ritten zwei Reiter der Grenze von Spychow zu: Zygfryd und Tolima. Letzterer geleitete den Deutschen deshalb selbst, weil die Furcht nicht unbegründet war, dieser könnte sonst von den wegelagernden Bauern oder von den Knechten von Spychow aus Haß und Rachgier erschlagen werden. Waffenlos, doch ohne Fesseln zog Zygfryd dahin. Von dem Sturmwinde gejagt, hielt sich das Unwetter stets über den beiden. Dann und wann, wenn ein außergewöhnlich heftiger Donnerschlag erfolgte, bäumten sich die Pferde hoch auf. In tiefem Schweigen ritten der Kreuzritter und Tolima durch ein enges Thal, in dem der Weg häufig so schmal ward, daß die Reiter dicht neben einander, Steigbügel an Steigbügel gedrängt, dahin ziehen mußten. Tolima, der seit Jahren daran gewöhnt war. Gefangene zu geleiten, schaute jeden Augenblick mit wachsamem Auge auf Zygfryd, als ob es sich darum handle, daß der Komtur nicht unerwartet entweiche, und sobald sein Blick auf diesem ruhte, überkam ihn ein Zittern, dünkte ihm dann doch, daß des Kreuzritters Augen in der Dunkelheit funkelten, wie die Augen eines bösen Geistes, eines Vampyrs. Mehr als einmal dachte er daran, das Zeichen des Kreuzes über seinen Begleiter zu machen, doch stets unterließ er es wieder, aus Furcht, jener könne sich dadurch in ein Entsetzen erregendes, heulendes und zähnefletschendes Geschöpf verwandeln. Gleich dem Habichte, welcher sich auf eine ganze Schar Rebhühner herabstürzt, hätte es der alte Krieger jederzeit allein mit einem Haufen Deutscher aufgenommen, vor bösen Geistern aber empfand er eine unbezwingliche Furcht und wollte daher nichts mit ihnen zu thun haben. Am liebsten hätte er deshalb Zygfryd den Weg gewiesen und wäre wieder nach Spychow zurückgekehrt, allein er schämte sich dieses Gedankens, er geleitete den Kreuzritter bis zu der Grenze.
Gerade als sie das Ende des Waldes erreicht hatten, ließ der Sturm etwas nach. Ein seltsamer, gelblicher Schimmer lag über den Wolken, es wurde heller, und Zygfryds Augen verloren ihren früheren stechenden Blick. Jetzt aber trat an Tolima eine neue Versuchung heran. »Man befahl mir,« so sprach er zu sich selbst, »diesen verdammten Hund sicher an die Grenze zu geleiten. Diesen Befehl habe ich erfüllt. Soll aber der Peiniger meines Herrn und dessen Kindes ungestraft ausgehen, soll keine Rache an ihm geübt werden, wäre es nicht eine lobenswerte, eine gottgefällige That, ihn aus der Welt zu schaffen? Ei, könnte ich ihn nicht auf Leben und Tod fordern? Wohl trägt er keine Waffen, allein eine Meile von hier liegt Marcimow, ein altes Hofgut meines Gebieters, wo leicht ein Schwert oder eine Streitaxt zu bekommen sein wird – dann kann ich mit dem Hunde kämpfen! Und wenn mir Gott den Sieg verleiht, werde ich ihm die Kehle durchschneiden und sein Haupt in Mist vergraben!« Von solchen Gedanken erfüllt, warf Tolima gierige Blicke auf den Deutschen, während er die Nasenlöcher in einer Weise zusammenzog, als ob er schon frisches Blut rieche. Einen schweren, harten Kampf mußte er mit sich selbst kämpfen, bis er sich überwunden