Gesammelte Werke von Gottfried Keller. Готфрид Келлер

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Gesammelte Werke von Gottfried Keller - Готфрид Келлер страница 16

Gesammelte Werke von Gottfried Keller - Готфрид Келлер

Скачать книгу

der Stadt fing der junge Baumeister damit an, daß er einen oder zwei Arbeiter anstellte und, selbst arbeitend vom Morgen bis zum Abend, ganz kleine Aufträge aller Art annahm und darin so viel Geschick und Zuverlässigkeit zeigte, daß noch vor Ablauf eines Jahres sein Geschäft sich erweiterte und sein Kredit sich begründete. Er war so erfinderisch und einsichtsvoll, gewandt und schnell beraten, daß bald viele Bürger seinen Rat und seine Arbeit suchten, wenn sie im Zweifel waren, wie sie etwas verändern oder neu bauen lassen sollten. Dabei war er immer bestrebt, das Schöne mit dem Nützlichen zu verbinden, und war froh, wenn ihn seine Kunden nur gewähren ließen, so daß sie manche Zierde, manches Fenster und Gesims von reineren Verhältnissen erhielten, ohne daß sie deswegen den Geschmack ihres Baumeisters teurer bezahlen mußten.

      Seine junge Frau indessen führte mit wahrem Fanatismus das Hauswesen, welches durch verschiedene Arbeiter und Dienstboten schnell erweitert wurde. Sie beherrschte mit Kraft und Meisterschaft das Füllen und Leeren einer Anzahl großer Speisekörbe und war der Schrecken der Marktweiber und die Verzweiflung der Schlächter, welche alle Gewalt ihrer alten Rechte aufbieten mußten, einen Knochensplitter mit auf die Waage zu bringen, wenn das Fleisch für die Frau Lee gewogen wurde. Obgleich Meister Lee fast keine persönlichen Bedürfnisse hatte und unter seinen zahlreichen Grundsätzen derjenige der Sparsamkeit in der ersten Reihe stand, so war er doch so gemeinnützig und großherzig, daß das Geld für ihn nur Wert hatte, wenn etwas damit ausgerichtet oder geholfen wurde, sei es durch ihn oder durch andere; daher verdankte er es nur seiner Frau, welche keinen Pfennig unnütz ausgab und den größten Ruhm darein setzte, jedermann weder um ein Haar zuwenig noch zuviel zukommen zu lassen, daß er nach Verfluß von zwei oder drei Jahren schon solche Ersparnisse vorfand, welche seinem unternehmenden Geiste nebst dem Kredite, den er bereits genoß, eine reichlichere Nahrung darboten. Er kaufte alte Häuser an für eigene Rechnung, riß sie nieder und baute an der Stelle stattliche Bürgerhäuser, in welchen er eine Menge Einrichtungen fremder oder eigener Erfindung anbrachte. Diese verkaufte er mehr oder weniger vorteilhaft, sogleich zu neuen Unternehmungen schreitend, und alle seine Gebäude trugen das Gepräge eines beständigen Strebens noch Formen- und Gedankenreichtum. Wenn ein gelehrter Architekt auch oft nicht wußte, wohin er alle angebrachten Ideen zählen sollte und vieles der Unklarheit oder Unharmonie zeihen mußte, so gestand er doch immer, daß es Gedanken seien, und belobte, wenn er unbefangen war, den schönen Eifer dieses Mannes mitten in der geistesarmen und nüchternen Zeit des Bauwesens, wie sie wenigstens in den abgelegenen Provinzen des Kunstgebietes bestand.

      Dies tätige Leben versetzte den unermüdlichen Mann in den Mittelpunkt eines weiten Kreises von Bürgern, welche alle zu ihm in Wechselwirkung traten, und unter diesen bildete sich ein engerer Ausschuß gleichgesinnter und empfänglicher Männer, denen er sein rastloses Suchen nach dem Guten und Schönen mitteilte. Es war nun um die Mitte der zwanziger Jahre, wo in der Schweiz eine große Anzahl hochgebildeter Männer aus dem innersten Schoße der herrschenden Klassen selbst, die abgeklärten Ideen der großen Revolution wiederaufnehmend, einen frucht- und dankbaren Boden für die Julitage vorbereiteten und die edlen Güter der Bildung und Menschenwürde sorgsam pflegten. Zu diesen bildete Lee mit seinen Genossen, an seinem Orte, eine tüchtige Fortsetzung im arbeitenden Mittelstande, um so bedeutender, als viele Mitglieder in der Tiefe des Volkes auf den Landschaften umher ihre Wurzeln hatten. Während jene Vornehmen und Gelehrten die künftige Form des Staates, philosophische und Rechtswahrheiten besprachen und im allgemeinen die Fragen schönerer Menschlichkeit zu ihrem Gebiete machten, wirkten die rührigen Handwerker mehr unter sich und nach unten hin, indem sie einstweilen ganz praktisch so gut als möglich sich einzurichten suchten. Eine Menge Vereine, öfter die ersten in ihrer Art, wurden gestiftet, welche meistens irgendeine Versicherung zum Wohle der Mitglieder und ihrer Angehörigen zum Zwecke hatten. Schulen wurden gesellschaftsweise gegründet, um den Kindern des gemeinen Mannes eine bessere Erziehung zu sichern, da die damaligen, sehr gut eingerichteten Stadtschulen nur den wohlhabenden Altbürgerkindern zugänglich und die Volksschulen in einem elenden Zustande waren; kurz, eine Menge Unternehmungen dieser Art, zu jener Zeit noch neu und verdienstlich, gab den braven Leuten zu schaffen und Gelegenheit, sich daran emporzubilden. Denn in zahlreichen Zusammenkünften mußten Statuten und Verfassungen aller Art entworfen, beraten! durchgesehen und angenommen, Vorsteher gewählt und nach außen wie nach innen Rechte und Formen erklärt und gewahrt werden.

      Zu diesen verschiedenen Elementen kam und berührte sie gemeinschaftlich der griechische Freiheitskampf, welcher auch hier, wie überall, zum ersten Mal in der allgemeinen Ermattung die Geister wieder erweckte und erinnerte, daß die Sache der Freiheit diejenige der ganzen Menschheit sei. Die Teilnahme an den hellenischen Betätigungen verlieh auch den nicht philologischen Genossen zu ihrer übrigen Begeisterung einen edlen kosmopolitischen Schwung und benahm den hellgesinnten Gewerbsleuten den letzten Anflug von Spieß- und Pfahlbürgertum. Lee war überall der Erste, ein zuverlässiger, hingebender Freund für alle, seines reinen Charakters und seiner gehobenen Gesinnung wegen allgemein geachtet, ja geehrt. Er war glücklich zu nennen, um so mehr, als er von keinerlei Art Eitelkeiten befangen war, und erst jetzt fing er von neuem an zu lernen und nachzuholen, was ihm immer erreichbar war. Er trieb auch seine Freunde dazu an, und es war bald keiner derselben mehr, der nicht eine kleine Sammlung geschichtlicher und naturwissenschaftlicher Werke aufzuweisen hatte. Da fast allen in ihrer Jugend die gleiche dürftige Erziehung zuteil geworden, so ging ihnen nun besonders bei ihrem Eindringen in die Geschichte ein reiches und ergiebiges Feld auf, welches sie mit immer größerer Freude durchwandelten. Ganze Stuben voll waren sie an Sonntagsmorgen beisammen, disputierten und teilten sich die immer neuen Entdeckungen mit, wie allezeit die gleichen Ursachen die gleichen Wirkungen hervorgebracht hätten und dergleichen. Wenn sie auch Schiller auf die Höhen seiner philosophischen Arbeiten nicht zu folgen vermochten, so erbauten sie sich um so mehr an seinen geschichtlichen Werken, und von diesem Standpunkte aus ergriffen sie auch seine Dichtungen, welche sie auf diese Weise ganz praktisch nachfühlten und genossen, ohne auf die künstlerische Rechenschaft, die der große Schriftsteller sich selber gab, weiter eingehen zu können. Sie hatten die größte Freude an seinen Gestalten und wußten nichts Ähnliches aufzufinden, das sie so befriedigt hätte. Seine gleichmäßige Glut und Reinheit des Gedankens und der Sprache war mehr der Ausdruck für ihr schlichtes, bescheidenes Treiben als für das Wesen mancher Schillerverehrer der vornehmen heutigen Welt. Aber einfach und durchaus praktisch, wie sie waren, fanden sie nicht volles Genügen an oder dramatischen Lektüre im Schlafrock; sie wünschten diese bedeutsamen Begebenheiten leibhaftig und farbig vor sich zu sehen, und weil von einem stehenden Theater in den damaligen Schweizerstädten nicht die Rede war, so entschlossen sie sich, wiederum angefeuert von Lee, kurz und spielten selbst Komödie, so gut sie konnten. Die Bühne und die Maschinen waren freilich schneller und gründlicher hergestellt, als die Rollen erlernt wurden, und mancher suchte sich über den Umfang seiner Aufgabe selbst zu täuschen, indem er mit vergrößerter Wut Nägel einschlug und Latten entzweisägte; doch ist es nicht zu leugnen, daß ein großer Teil der Gewandtheit im Ausdruck und des äußern Anstandes, welche fast allen jenen Freunden eigen geblieben ist, auf Rechnung solcher Übungen gesetzt werden darf. Wie sie älter wurden, ließen sie dergleichen Dinge wieder bleiben, aber sie behielten den Sinn für das Erbauliche in jeder Beziehung getreulich bei. Würde man heutzutage fragen, wo sie denn die Zeit zu alledem hergenommen haben, ohne ihre Arbeit und ihr Haus zu vernachlässigen: so wäre zu antworten, daß es erstens noch gesunde und naive Männer und keine Grübler waren, welche zu jeder Tat und jeder außerordentlichen Arbeit einen Schatz von Zeit verschwenden mußten, indem sie alles zerfaserten und breitquetschten, ehe es genießbar war, und daß zweitens die täglichen Stunden von sieben bis zehn Uhr abends, gleichmäßig benutzt, eine viel ansehnlichere Masse von Zeit ausmachen, als der Bürger heute glaubt, welcher dieselben hinter dem Weinglase im Tabaksqualm verbrütet. Man war damals noch nicht einer Rotte von Schenkwirten tributpflichtig, sondern zog es vor, im Herbste das edle Gewächs selbst einzukellern, und es war keiner dieser Handwerker, vermöglich oder arm, der sich nicht geschämt hätte, am Schlusse der abendlichen Zusammenkünfte ein Glas derben Tischweines mangeln zu lassen oder denselben aus der Schenke holen zu müssen. Während des Tages sah man keinen, oder höchstens flüchtig und heimlich, vor den Gesellen es verbergend, ein Buch oder eine Papierrolle in die Werkstatt eines andern bringen, und sie sahen alsdann aus wie Schulknaben, welche unter dem Tische einen Roman lesen, und

Скачать книгу