Gesammelte Werke von Gottfried Keller. Готфрид Келлер

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Gesammelte Werke von Gottfried Keller - Готфрид Келлер

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Schuldigern! So hatte ich an diesem ersten Tage schon viel gelernt; zwar nicht, was der Pumpernickel sei, wohl aber, daß man in der Not einen Gott anrufen müsse, daß derselbe gerecht sei und uns zu gleicher Zeit lehre, keinen Haß und keine Rache in uns zu tragen. Aus dem Gebote, seinen Beleidigern zu vergeben, entsteht, wenn es befolgt wird, von selbst die Kraft, auch seine Feinde zu lieben; denn für die Mühe welche uns jene Überwindung kostet, fordern wir einen Lohn, und dieser liegt zunächst und am natürlichsten in dem Wohlwollen, welches wir dem Feinde schenken da er uns einmal nicht gleichgültig bleiben kann. Wohlwollen und Liebe können nicht gehegt werden, ohne den Träger selbst zu veredeln, und sie tun dieses am glänzendsten, wenn sie dem gelten, was man einen Feind oder Widersacher nennt. Diese eigentümlichste Hauptlehre des Christentums fand eine große Empfänglichkeit in mir vor, da ich, leicht verletzt und aufgebracht, immer ebenso schnell bereit war zu vergessen und zu vergeben, und es hat mich später, als mein Sinn sich der Offenbarungslehre zu verschließen anfing, lebhaft beschäftigt zu ermitteln, inwiefern jenes Gesetz nur der Ausdruck eines schon in der Menschheit vorhandenen und erkannten Bedürfnisses sei; denn ich sah, daß es nur von einem bestimmten Teile der Menschen rein und uneigennützig befolgt wurde, von denjenigen nämlich, welche ihre natürlichen Gemütsanlagen dazu trieben. Die andern, welche ihr ursprüngliches Rachegefühl überwanden und auf das Vergeltungsrecht mit Mühe verzichteten, schienen mir oft dadurch mehr Vorteil über ihren Feind zu gewinnen, als sich mit dem Begriffe der reinen Selbstentäußerung vertrug; weil zufolge der tiefen Vernunft und Klugheit, die zugleich im Verzeihen liegt, der Widersacher allein es ist, welcher sich in seiner unfruchtbaren Wut aufreibt und vernichtet. Dies Verzeihen ist es auch, was in großen geschichtlichen Kämpfen die Überlegenheit des Siegers, nachdem er einen Handel männlich ausgefochten hat, vermehrt und beurkundet, daß dieselbe auch moralisch eine reifgewordene ist. So ist das Schonen und Aufrichten des gebeugten Gegners mehr Sache der allgemeinen Weltweisheit; das eigentliche Lieben aber des Feindes, in voller Blüte und solange er uns Schaden zufügt, habe ich nirgends gesehen.

       Lob Gottes und der Mutter. Vom Beten

       Inhaltsverzeichnis

      Im Verlaufe der ersten Schuljahre fand ich nun häufige Gelegenheit, meinen Verkehr mit Gott zu erweitern, da die kleinen Erlebnisse sich vermehrten. Ich hatte mich bald in den Weltlauf ergeben und tat, wie die andern Kinder, was ich nicht lassen konnte. Dadurch war ich abwechselnd zufrieden und geriet in Bedrängnis, wie es das Wohlverhalten oder die Vernachlässigung meiner Pflichten nebst allerhand kindischem Unfuge mit sich brachten. In jeder üblen Lage aber rief ich Gott an und betete in meinem Innern in wenigen wohlgesetzten Worten, wenn die Krisis zu reifen begann, um eine günstige Entscheidung und um Rettung aus der Gefahr, und ich muß zu meiner Schande gestehen, daß ich immer entweder das Unmögliche oder das Ungerechte verlangte. Oft war es der Fall, daß meine Sünden übersehen wurden; und alsdann ließ ich es nicht an herzlichen Dankgebeten aus dem Stegreife fehlen, welche um so vergnüglicher waren, als mir der Sinn für die Verdientheit der Strafe so lange verschlossen blieb, bis ich bewußte Fehler beging. So bestand der Stoff meiner Anrufungen aus der wunderlichsten Mischung das eine Mal bat ich um die gelungene Probe eines schwierigen Rechenexempels oder daß der Vor gesetzte für einen Tintenklecks in meinem Hefte mit Blindheit geschlagen werde; das andere Mal, ein zweiter Josua, um Still stand der Sonne, wenn ich mich zu verspäten drohte, oder auch um Erlangung eines fremden leckeren Backwerkes. Als die Jungfrau, welche ich die weiße Wolke nannte, einst für lange Zeit verreiste und eines Abends bei uns Abschied nahm, während ich schon in meinem Bettchen lag, jedoch alles hörte, bat ich meinen himmlischen Vater in sehnlichen Ausdrücken, er möchte bewirken, daß sie mich hinter meinen Vorhängen nicht vergesse und noch einmal tüchtig küsse. Ich schlief über der steten Wiederholung des gleichen kurzen Satzes endlich ein und weiß zur Stunde noch nicht, ob meine Bitte in Erfüllung gegangen ist.

      Eines Tages wurde ich zur Strafe über die Mittagszeit in der Schule zurückbehalten und eingeschlossen, so daß ich erst auf den Abend zu essen bekam. Das war das erste Mal, wo ich den Hunger kennen und zugleich die Ermahnungen meiner Mutter verstehen lernte, welche mir Gott vorzüglich als den Erhalter und Ernährer jeglicher Kreatur anpries und als den Schöpfer unsres schmackhaften Hausbrotes darstellte, der Bitte gemäß Gib uns heut unser tägliches Brot! Überhaupt gewann ich für die Nahrungsdinge Interesse und manche Einsicht in die Beschaffenheit derselben, indem ich fast ausschließlich den Verkehr von Frauen mit ansah, dessen Hauptinhalt der Erwerb und die Besprechung von Lebensmitteln war. Auf meinen Wanderungen durch das Haus drang ich allmählich tiefer in den Haushalt der Mitbewohner ein und ließ mich oft aus ihren Schüsseln bewirten, und undankbarerweise schmeckten mir die Speisen überall besser als bei meiner Mutter. Jede Hausfrau verleiht, auch wenn die Rezepte ganz die gleichen sind, doch ihren Speisen durch die Zubereitung einen besondern Geschmack, welcher ihrem Charakter entspricht. Durch eine kleine Bevorzugung eines Gewürzes oder eines Krautes, durch größere Fettigkeit oder Trockenheit, Weichheit oder Härte bekommen alle ihre Speisen einen bestimmten Charakter, welcher das genäschige oder nüchterne, weichliche oder spröde, hitzige oder kalte, das verschwenderische oder geizige Wesen der Köchin ausspricht, und man erkennt sicher die Hausfrau aus den wenigen Hauptspeisen des Bürgerstandes; ich meinerseits, als ein frühzeitiger Kenner, habe aus einer bloßen Fleischbrühe den Instinkt geschöpft, wie ich mich zu der Meisterin derselben zu verhalten habe. Die Speisen meiner Mutter hingegen ermangelten sozusagen aller und jeder Besonderheit. Ihre Suppe war nicht fett und nicht mager, der Kaffee nicht stark und nicht schwach, sie verwendete kein Salzkorn zuviel, und keines hat je gefehlt; sie kochte schlecht und recht, ohne Manieriertheit, wie die Künstler sagen, in den reinsten Verhältnissen; man konnte von ihren Speisen eine große Menge genießen, ohne sich den Magen zu verderben. Sie schien mit ihrer weisen und maßvollen Hand, am Herde stehend, täglich das Sprichwort zu verkörpern Der Mensch ißt, um zu leben, und lebt nicht, um zu essen! Nie und in keiner Weise war ein Überfluß zu bemerken und ebensowenig ein Mangel. Diese nüchterne Mittelstraße langweilte mich, der ich meinen Gaumen dann und wann anderswo bedeutend reizte, und ich begann über ihre Mahlzeiten eine scharfe Kritik zu üben, sobald ich satt und die letzte Gabel voll vertilgt war. Da ich mit meiner Mutter immer allein bei Tische saß und sie lieber auf Gespräch und Unterhaltung dachte als auf ein genaues Erziehungssystem, so wies sie mich nicht kurz und strafend zur Ruhe, sondern widerlegte mich mit Beredsamkeit und stellte mir hauptsächlich vor, auf Menschenschicksale und Lebensläufe übergehend, wie ich vielleicht eines Tages froh sein würde, an ihrem Tische zu sitzen und zu essen; dann werde sie aber nicht mehr dasein. Obgleich ich dazumal nicht recht einsah, wie das zugehen sollte, so wurde ich doch jedesmal gerührt und von einem geheimen Grauen ergriffen und so für einmal geschlagen. Machte sie alsdann auch noch auf die Undankbarkeit aufmerksam, welche ich gegen Gott beging, indem ich seine guten Gaben tadelte, so hütete ich mich mit einer heiligen Scheu, den allmächtigen Geber ferner zu beleidigen, und versank in Nachdenken über seine trefflichen und wunderbaren Eigenschaften.

      Nun geschah es aber, daß in dem Maße, als ich ihn deutlicher erfaßte und sein Wesen mir unentbehrlicher und ersprießlicher wurde, mein Umgang mit Gott sich verschämt zu verschleiern begann und, als meine Gebete einen gewissen Sinn erhielten, mich eine wachsende Scheu beschlich, sie laut herzusagen. Meine Mutter war eines einfallen und nüchternen Gemütes und nichts weniger als das, was man eine warm andächtige Frau nennt, sondern schlechthin gottesfürchtig. Ihr Gott war nicht der Befriediger und Erfüller einer Menge dunkler und drangvoller Herzensbedürfnisse, sondern klar und einfach der vorsorgende und erhaltende Vater, die Vorsehung. Ihr gewöhnliches Wort war Wer Gott vergißt, den vergißt er auch; von der inbrünstigen Gottesliebe dagegen hörte ich sie nie reden. Desto eifriger aber hielt sie darauf; es wurde ihr in unserer Verlassenheit für die lange und dunkle Zukunft eine Hauptsache, daß Gott, der Ernährer und Beschützer, mir immer vor Augen sei, und sie legte mit andauernder Sorge den Grund zu einem lebendigen Gottvertrauen in mich.

      Infolge dieses rührenden Bestrebens und auf das Zureden einer nichtsnutzigen Heuchlerin wollte sie eines Sonntags, als wir uns eben zu Tische gesetzt hatten, das Tischgebet einführen, welches bis dahin nicht üblich

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