Gesammelte Werke von Gottfried Keller. Готфрид Келлер
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Zweites Kapitel.
Vater und Mutter
Denn eines Tages geschah es, daß das ganze Dorf in große Bewegung gesetzt wurde durch die Ankunft eines schönen, schlanken Mannes, der einen feinen grünen Frack trug nach dem neuesten Schnitte, enganliegende weiße Beinkleider und glänzende Suwarowstiefeln mit gelben Stulpen. Wenn es regnerisch aussah, so führte er einen rotseidenen Schirm mit sich, und eine große goldene Uhr von feiner Arbeit gab ihm in den Augen der Bauern einen ungemein vornehmen Anstrich. Dieser Mann bewegte sich mit einem edlen Anstande in den Gassen des Dorfes umher und trat freundlich und leutselig in die niederen Türen, verschiedene alte Mütterchen und Gevattern aufsuchend, und war niemand anders als der weitgereiste Steinmetzgeselle Lee, welcher seine lange Wanderschaft ruhmvoll beendigt hatte. Man kann wohl sagen ruhmvoll, wenn man bedenkt, daß er vor zwölf Jahren, als ein vierzehnjähriger Knabe, arm und bloß aus dem Dorfe gewandert war, hierauf bei seinem Meister die Lehrzeit durch lange Arbeit abverdienen mußte, mit einem dürftigen Felleisen und wenig Geld in die Fremde zog und nun solchergestalt als ein förmlicher Herr, wie ihn die Landleute nannten, zurückkehrte. Denn unter dem niedern Dache seiner Verwandten standen zwei mächtige Kisten, von denen die eine ganz mit Kleidern und feiner Wäsche, die andere mit Modellen, Zeichnungen und Büchern angefüllt war. Es gab etwas Schwungvolles in dem ganzen Wesen des etwa sechsundzwanzig Jahre alten Mannes; seine Augen glühten wie von einem anhaltenden Glanze innerer Wärme und Begeisterung, er sprach immer hochdeutsch und suchte das Unbedeutendste von seiner schönsten und besten Seite zu fassen. Er hatte ganz Deutschland vom Süden bis zum Norden durchreist und in allen großen Städten gearbeitet; die Zeit der Befreiungskriege in ihrem ganzen Umfange fiel mit seinen Wanderjahren zusammen, und er hatte die Bildung und den Ton jener Tage in sich aufgenommen, insofern sie ihm verständlich und zugänglich waren; vorzüglich teilte er das offene und treuherzige Hoffen der guten Mittelklassen auf eine bessere, schönere Zeit der Wirklichkeit, ohne von den geistigen Überfeinerungen und Wunderseligkeiten etwas zu wissen, die in manchen Elementen dazumal durch die höhere Gesellschaft wucherten.
Es waren nur wenige gleichgesinnte Arbeitsgenossen, welche die ersten, seltenen und verborgenen Keime bildeten zu der Selbstveredlung und Aufklärung, so den wandernden Handwerkerstand zwanzig Jahre später durchdrangen, und welche einen Stolz darauf setzten, die besten und gesuchtesten Arbeiter zu sein, und dadurch, verbunden mit Fleiß und Mäßigkeit, die Mittel erlangten, auch ihren Geist zu bilden und äußerlich wie innerlich schon in ihren Wanderjahren als achtungswerte, tüchtige Männer dazustehen. Überdies war dem Steinhauer in den großen Werken altdeutscher Baukunst ein Licht aufgegangen, welches seinen Pfad noch mehr erleuchtete, indem es ihn mit heitern Künstlerahnungen erfüllte und den dunklen Trieb jetzt erst zu rechtfertigen schien, welcher ihm von der grünen Weide hinweg dem gestaltenden Leben der Städte zugeführt hatte. Er lernte zeichnen mit eisernem Fleiße, brachte ganze Nächte und Feiertage damit zu, Werke und Muster aller Art durchzupausen, und nachdem er den Meißel zu den kunstreichsten Gebilden und Verzierungen führen gelernt und ein vollkommener Handarbeiter geworden war, ruhte er nicht, sondern studierte den Steinschnitt und sogar solche Wissenschaften, welche andern Zweigen des Bauwesens angehören. Er suchte überall an großen öffentlichen Bauten unterzukommen, wo es viel zu sehen und zu lernen gab, und brachte es durch seine Aufmerksamkeit bald dahin, daß ihn die Baumeister ebensoviel auf ihren Arbeitszimmern am Zeichnen- oder Schreibtische verwendeten als auf dem Bauplatze. Daß er dort nicht feierte, sondern manche Mittagsstunde damit zubrachte, alles mögliche durchzuzeichnen und alle Berechnungen zu kopieren, welche er erhaschen konnte, versteht sich von selbst. So wurde er zwar kein akademischer Künstler mit einer allseitigen Durchbildung, aber doch ein Mann, welcher wohl den kühnen Vorsatz fassen durfte, in der Hauptstadt seiner Heimat ein wackerer Bau- und Maurermeister zu werden. Mit dieser ausgesprochenen Absicht trat er nun auch im Dorfe zur großen Bewunderung seiner Sippschaft auf, und das Erstaunen wurde noch größer, als er, mit einem zierlichen Manschettenhemde bekleidet und sein reinstes Hochdeutsch sprechend, sich mitten unter die französisch-griechischen Gestalten des Pfarrhauses mischte und um die Pfarrerstochter warb. Der ländlich gesinnte Bruder mochte hiezu eine Vermittlung, wenigstens ein aufmunterndes Beispiel darbieten; die Jungfrau schenkte dem blühenden Freier bald ihr Herz, und die Verwirrung, welche dadurch zu entstehen drohte, löste sich schnell, als die Eltern der Braut kurz hintereinander starben.
Also hielten sie eine stille Hochzeit und zogen in die Stadt, sich weiter nicht nach der glanzvollen Vergangenheit des Pfarrhauses umsehend, in welches alsobald der junge Pfarrer mit ganzen Wagen voll Sensen, Sicheln, Dreschflegeln, Rechten, Heugabeln, mit gewaltigen Himmelbetten, Spinnrädern und Flachshecheln und mit seiner kecken, frischen Frau einzog, welche mit ihrem geräucherten Speck und mit ihren derben Mehlklößen schnell sämtliche Musselingewänder, Fächer und Sonnenschirmchen aus Haus und Garten vertrieben hatte. Nur eine Wand voll vortrefflicher Jagdgewehre, die auch der Nachfolger zu fahren wußte, lockte im Herbst einzelne Jäger auf das Dorf und unterschied das Pfarrhaus einigermaßen von einem Bauernhause.
In der Stadt fing jener junge Baumeister damit an, daß er einige Arbeiter anstellte und, selbst arbeitend vom Morgen bis zum Abend, kleinere Aufträge aller Art annahm und darin so viel Geschick und Zuverlässigkeit zeigte, daß noch vor Ablauf eines Jahres sein Geschäft sich erweiterte und sein Kredit sich begründete. Er war so erfinderisch und einsichtsvoll, gewandt und schnell beraten, daß bald viele Bürger seinen Rat und seine Arbeit suchten, wenn sie im Zweifel waren, wie sie etwas verändern oder neu bauen lassen sollten. Dabei war er immer bestrebt, das Schöne mit dem Nützlichen zu verbinden, und war froh, wenn ihn seine Kunden nur gewähren ließen, so daß sie manche Zierde, manches Fenster und Gesims von reineren Verhältnissen erhielten, ohne daß sie deswegen den Geschmack ihres Baumeisters teurer bezahlen mußten. Seine Frau aber führte mit wahrem Fanatismus das Hauswesen, welches durch verschiedene Arbeiter und Dienstboten schnell erweitert wurde. Sie beherrschte mit Kraft und Meisterschaft das Füllen und Leeren einer Anzahl großer Speisekörbe und war der Schrecken der Marktweiber und die Verzweiflung der Schlächter, welche alle Gewalt ihrer alten Rechte aufbieten mußten, einen Knochensplitter mit auf die Waage zu bringen, wenn das Fleisch für die Frau Lee gewogen wurde. Obgleich Meister Lee fast keine persönlichen Bedürfnisse hatte und unter seinen zahlreichen Grundsätzen derjenige der Sparsamkeit in der ersten Reihe stand, so war er doch so gemeinnützig und großherzig, daß das Geld für ihn nur Wert hatte, wenn etwas damit ausgerichtet oder geholfen wurde, sei es durch ihn oder durch andere; daher verdankte er es nur seiner Frau, welche keinen Pfennig unnütz ausgab und den größten Ruhm darein setzte, jedermann weder um ein Haar zuwenig noch zuviel zukommen zu lassen, daß er nach Verfluß von zwei oder drei Jahren schon Ersparnisse vorfand, welche seinem unternehmenden Geiste nebst dem Kredite, den er bereits genoß, eine reichlichere Nahrung darboten. Er kaufte alte Häuser an für eigene Rechnung, riß sie nieder und baute an der Stelle stattliche Bürgerhäuser, in welchen er eine Menge Einrichtungen fremder oder eigener Erfindung anbrachte. Diese verkaufte er mehr oder weniger vorteilhaft, sogleich zu neuen Unternehmungen schreitend, und alle seine Gebäude trugen das Gepräge eines beständigen Strebens nach Formen- und Gedankenreichtum. Wein ein gelehrter Architekt auch oft nicht wußte, wohin er alle angebrachten Ideen zählen sollte und vieles der Unklarheit oder Unharmonie zeihen mußte, so gestand er doch immer,