Sherlock Holmes: Seine Abschiedsvorstellung (Zweisprachige Ausgabe: Deutsch-Englisch). Arthur Conan Doyle
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Читать онлайн книгу Sherlock Holmes: Seine Abschiedsvorstellung (Zweisprachige Ausgabe: Deutsch-Englisch) - Arthur Conan Doyle страница 6
»Wenn ich Sie nicht als einen tüchtigen Beamten kennte, Walters, würde ich Ihnen dafür eine schlechte Note geben. Und wenn es der leibhaftige Teufel wäre, ein Konstabler auf Wache und im Dienst sollte niemals dem Himmel danken, daß er ihn nicht festnehmen konnte. Das Ganze ist doch nicht etwa nur eine Sinnestäuschung? Haben Ihnen Ihre Nerven keinen Streich gespielt?«
»Das wenigstens ist sehr leicht festzustellen«, sagte Holmes, indem er seine Taschenlaterne ansteckte. »Ja«, rief er, nach einer kurzen Besichtigung der Grasnarbe; »Schuhnummer zwölf schätze ich. Wenn der ganze Mann im Verhältnis zu seinen Füßen gewachsen ist, dann muß er wahrhaftig ein Riese sein.«
»Was ist aus ihm geworden?«
»Er scheint durch das Buschwerk gedrungen zu sein, um die Straße zu gewinnen.«
»Gut«, sagte Baynes mit ernstem, gedankenvollem Gesicht, »wer es auch gewesen sein mag und was seine Absichten hier gewesen sein mögen, er ist fort, und wir haben vorläufig dringendere Aufgaben zu erfüllen. Herr Holmes, wenn Sie einverstanden sind, so führe ich Sie jetzt durch das Haus.«
Die verschiedenen Wohn-und Schlafzimmer waren schnell untersucht. Die letzten Bewohner hatten offenbar fast nichts Eigenes mitgebracht, und die ganze Einrichtung, bis zum kleinsten Stück, war mit dem Haus gemietet worden. Jedoch fanden wir eine Anzahl Kleider mit der Marke von Marx und Comp. High Holborn, die offenbar Garcia zurückgelassen hatte. Telegraphisch hatte Baynes bei der Firma bereits angefragt; man wußte dort nichts Näheres über den Kunden, außer daß er ein pünktlicher Zahler sei. Allerlei Kleinigkeiten, ein paar Tabakspfeifen, ein paar Romane, davon zwei spanische, ein altmodischer Revolver mit Pistolfeuerung und eine Gitarre waren unter dem persönlichen Besitz.
»Alles ohne Bedeutung«, sagte Baynes und schritt, die Kerze in der Hand, von Zimmer zu Zimmer. »Aber jetzt, Herr Holmes, schenken Sie, bitte, Ihre ganze Aufmerksamkeit der Küche.«
Es war ein düsterer hoher Raum auf der Rückseite des Hauses, mit einer Strohmatte in einer Ecke, die offenbar dem Koch als Bett diente. Der Tisch stand voll halb abgegessener Platten und schmutzigen Geschirrs, den Überresten der gestrigen Mahlzeit.
»Sehen Sie das da?« sagte Baynes. »Für was halten Sie das?«
Er beleuchtete einen ungewöhnlichen Gegenstand, der hinter der Anrichte stand. Er war so voller Falten, zusammengesunken und welk, daß es nicht leicht war, seine ursprüngliche Form zu erkennen. Man konnte nur feststellen, daß er schwarz war, anscheinend von Leder, und daß er einige Ähnlichkeit mit einem zwerghaften Menschen hatte. Bei der näheren Untersuchung glaubte ich zuerst, es sei die Mumie eines Negerkindes, dann aber schien es mir ein sehr entstellter Affe zu sein. Schließlich blieb ich im Zweifel, ob ich etwas Tierisches oder Menschliches vor mir hatte. Um die Mitte war ihm eine doppelte Schnur weißer Perlen geschlungen.
»Sehr interessant – wirklich höchst interessant!« rief Holmes und betrachtete dieses unheimliche Überbleibsel des Garciahaushaltes. »Sonst noch etwas?«
Stillschweigend führte Baynes uns an den Ausguß. Körper und Glieder eines großen weißen Vogels, der mitsamt den Federn auf eine wüste Art in Stücke zerrissen war, lagen hier herum. Holmes wies auf die roten Lappen an dem abgetrennten Kopf.
»Ein weißer Hahn«, sagte er. »Sehr interessant, – das ist wirklich ein sehr merkwürdiger Fall.«
Aber Herr Baynes hatte sein merkwürdigstes Schaustück bis zuletzt aufbehalten. Unter dem Ausguß hervor langte er einen Zinknapf, der mit Blut gefüllt war. Dann holte er vom Tisch herüber eine Schüssel, gehäuft voll kleiner Stückchen verkohlter Knochen.
»Hier ist etwas getötet worden. Wir haben die Knochen da alle aus dem Feuer herausgestochert. Heute früh hatten wir einen Arzt mit dabei, und der sagte, das seien keine Menschenknochen.«
Holmes lächelte und rieb sich die Hände.
»Ich muß Sie beglückwünschen, Herr Baynes, zu der umfassenden, gründlichen Art, mit der Sie solch einen Fall behandeln. Ihre Fähigkeiten, wenn ich mir erlauben darf, das zu sagen, scheinen mir im Mißverhältnis zu stehen zu Ihren Möglichkeiten, sie zur Anwendung zu bringen.«
Des Inspektors kleine Augen funkelten vor Behagen.
»Sie haben recht, Herr Holmes, wir verkümmern hier draußen in der Provinz. Aber ein Fall wie dieser gibt unsereinem einmal eine Gelegenheit, und ich habe sie ergriffen. Was halten Sie von den Knochen?«
»Ein Lamm, meine ich, oder ein Kitzchen.«
»Und der weiße Hahn?«
»Merkwürdig, Herr Baynes, sehr merkwürdig. Ja, beinahe einzigartig, könnte man sagen.«
»Jawohl, Herr Holmes, in diesem Haus müssen sonderbare Leute mit ganz sonderbaren Gewohnheiten gelebt haben. Einer von ihnen ist tot. Sind seine zwei Diener ihm nachgegangen und haben sie ihn getötet? Wenn sie es waren, dann werden wir sie nicht entwischen lassen, denn jeder Hafen wird überwacht. Aber meine eigene Ansicht bewegt sich in ganz anderer Richtung. Ja, Herr Holmes, in ganz anderer Richtung!«
»Sie haben also eine bestimmte Ansicht über den Mordfall?«
»Und ich werde den Mordfall allein weiter verfolgen, Herr Holmes. Das bin ich mir einfach schuldig. Ihr Name ist gemacht, aber meinen muß ich mir erst noch machen. Es wäre mir eine besondere Genugtuung, mir später sagen zu können, daß ich den Fall ganz allein bewältigt habe, und ohne Ihre Hilfe.«
Holmes lachte vergnügt.
»Schön, schön, Herr Inspektor«, sagte er. »Sie gehen also Ihren eigenen Weg, und ich gehe den meinigen. Meine Ergebnisse stelle ich Ihnen jederzeit gern zur Verfügung, falls Sie trotzdem einmal Wert darauf legen sollten, sie kennen zu lernen. Ich glaube, ich habe hier alles gesehen, was für mich von Belang sein könnte, und ich kann meine Zeit jetzt anderswo besser anwenden. Auf Wiedersehen, Herr Baynes, und Hals-und Beinbruch!«
Aus verschiedenen kleinen Anzeichen, die ein anderer als ich kaum hätte beachtet haben können, merkte ich, daß Holmes eine Spur gefunden hatte. So äußerlich ruhig er auch jedem erscheinen mußte, der ihn weniger genau kannte, – der Glanz seiner Augen und seine straffere Haltung, kurz seine ganze Art verrieten mir die starke innere Spannung, von der er erfüllt war, und daß der Kampf begonnen hatte. Nach seiner Gewohnheit sagte er nichts, und ich, nach meiner Gewohnheit, stellte keine Fragen. Mir genügte es, mit dabei zu sein und meine geringe Hilfe betätigen zu können, ohne die Arbeit dieses ungewöhnlichen Gehirns mit überflüssigen Unterbrechungen zu stören. Am Ende würde ich schon alles erfahren, das wußte ich ja.
Ich wartete daher, und zu meinem wachsenden Erstaunen wartete ich umsonst. Tag um Tag verging, und mein Freund tat keinen Schritt weiter. Es blieb alles beim Alten. Einen Vormittag verbrachte er in London, und aus einer beiläufigen Bemerkung erfuhr ich, daß er im Britischen Museum gewesen war. Aber von dieser einen Ausnahme abgesehen verbrachte er seine Tage mit langen und oft einsamen Spaziergängen oder in Plaudereien mit einigen gesprächigen Ortseinwohnern, deren Bekanntschaft er pflegte.
»Eine Woche Landaufenthalt wird für dich von unermeßlichem Wert sein, Watson«, sagte er mir