Sherlock Holmes: Seine Abschiedsvorstellung (Zweisprachige Ausgabe: Deutsch-Englisch). Arthur Conan Doyle
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Читать онлайн книгу Sherlock Holmes: Seine Abschiedsvorstellung (Zweisprachige Ausgabe: Deutsch-Englisch) - Arthur Conan Doyle страница 7
Einmal stießen wir bei einem gemeinsamen Spaziergang auf Inspektor Baynes. Sein dickes rotes Gesicht verzog sich zu einem Lächeln, und seine Äuglein glitzerten, als er Holmes begrüßte. Er sprach nur wenig von der Mordsache, aber aus dem Wenigen schlossen wir, daß er mit der Entwickelung der Dinge zufrieden war. Ich muß jedoch gestehen, daß ich überrascht war, als ich fünf Tage nach dem Verbrechen die Morgenzeitung auffaltete und mein Blick auf die fettgedruckte Überschrift fiel: »Der Mord bei Oxshott aufgeklärt. Verhaftung des mutmaßlichen Täters.«
Holmes fuhr von seinem Sitz auf, als sei er gestochen worden, wie ich ihm diese Überschrift vorlas.
»Donnerwetter!« rief er. »Du glaubst doch nicht, daß Baynes ihn gefaßt hat?«
»Offenbar ist es so«, erwiderte ich, und las ihm den folgenden Bericht vor:
»In Esher und Umgegend rief es große Erregung hervor, als spät in vergangener Nacht bekannt wurde, daß in Verbindung mit dem Oxshott-Mord eine Verhaftung erfolgt sei. Wie erinnerlich, wurde Herr Garcia, wohnhaft in der Villa Wisteria, auf der Oxshotter Markung tot aufgefunden, und seine Leiche wies sehr schwere Verletzungen am Kopfe auf. Gleichzeitig hatte man entdeckt, daß seine einzigen Hausgenossen, ein Diener und ein Koch, geflohen waren, woraus man auf ihre Täterschaft oder Mittäterschaft schloß. Man hatte behauptet, was aber nie nachgewiesen wurde, daß der Verstorbene Wertsachen in der Villa hatte, und daß die Mordtat ihretwegen geschah. Inspektor Baynes, in dessen Händen die Untersuchung liegt, hat keine Mühe gescheut, den Aufenthaltsort der Flüchtigen ausfindig zu machen, und er hatte hinreichenden Grund zu der Annahme, daß die Gesuchten nicht weit fort sein könnten, sondern sich in einem vorher schon bereiteten Versteck in der Nähe aufhielten. Von allem Anfang an war es übrigens so gut wie sicher, daß der Koch über kurz oder lang entdeckt werden würde, denn er ist eine sehr auffällige Erscheinung, ein riesengroßer, häßlicher Mulatte mit gelbem Gesicht und ausgesprochenen Negerzügen. Nach der Mordtat ist dieser Koch noch einmal gesehen worden, und zwar von Konstabler Walters, der ihn am Abend nach dem Mord im Garten der Villa Wisteria erblickte, freilich ohne daß er ihn festzunehmen vermocht hätte. Inspektor Baynes schloß zutreffend, daß der Mulatte zu einem bestimmten Zweck zur Villa zurückgekehrt sei und – da der Koch von Konstabler Walters vertrieben worden war – daß er nochmals dahin zurückkommen werde. Er entfernte daher den Wachposten aus dem Haus und legte dafür im Gebüsch des Gartens einen Hinterhalt. Der Mulatte ging in die Falle und wurde vergangene Nacht gefangen, wobei ein heftiger Kampf sich entspann, in dessen Verlauf Konstabler Downing von dem Halbwilden eine erhebliche Bißwunde davontrug.«
»Da muß ich aber sofort zu Baynes«, rief Holmes und griff nach seinem Hut. »Wir werden ihn gerade noch treffen, ehe er nach London fährt.« Wir liefen die Straße hinunter und fanden ihn, wie Holmes erwartete, gerade unter seiner Haustür.
»Haben Sie es gelesen, Herr Holmes?« fragte er und zog eine Zeitung aus der Tasche.
»Deshalb komme ich ja her. Bitte, fassen Sie es nicht als unerwünschte Einmischung auf, wenn ich Ihnen einen freundschaftlichen Rat gebe, das heißt, es ist eine Warnung.«
»Eine Warnung wollen Sie mir geben?«
»Ich habe mich in diesen Fall sehr sorgfältig eingearbeitet, Herr Baynes, und ich bin nicht ganz überzeugt davon, daß Sie auf dem richtigen Wege sind. Es täte mir leid, wenn Sie in Ihrer eingeschlagenen Richtung noch weiter gingen – es sei denn natürlich, daß Sie Ihrer Sache ganz sicher sind.«
»Sie sind sehr gütig, Herr Holmes.«
»Ich versichere Sie, ich meine es nur gut mit Ihnen.«
Es schien mir so, als ob Herr Baynes mit einem Auge etwas zwinkerte.
»Wir sind übereingekommen, daß jeder seine eigenen Wege gehe, Herr Holmes. Das tue ich für meinen Teil.«
»Ganz wie Sie es wünschen«, sagte Holmes. »Nehmen Sie mir, bitte, meine guten Absichten nicht übel.«
»Durchaus nicht! Ich bin überzeugt, daß Sie es gut mit mir meinen. Aber wir befolgen jeder ein eigenes System, Herr Holmes. Sie haben das Ihrige, und ich wahrscheinlich ein anderes.«
»Reden wir nicht mehr davon!«
»Was ich Neues in Erfahrung bringe, steht Ihnen jederzeit zur Verfügung. Dieser Koch ist ein richtiger Wilder, stark wie ein Lastpferd und unbändig wie der Teufel. Er hat Downings Daumen fast abgebissen, bevor wir seiner Herr werden konnten. Er kann kaum ein Wort Englisch, und was wir bis jetzt aus ihm herausbrachten, ist nichts als ein Grunzen.«
»Und Sie glauben, den Beweis dafür zu haben, daß er seinen Herrn ermordet hat?«
»Das habe ich nicht gesagt, Herr Holmes; kein Wort davon. Wir haben jeder so seine kleinen Listen. Sie versuchen es so, ich anders. Das ist so zwischen uns abgemacht, nicht wahr?«
Holmes zuckte mit den Schultern, als wir fortgingen. »Ich kann aus dem Mann nicht klug werden. Mir scheint er auf einen Abgrund zuzureiten. Nun, es muß jeder seinen eigenen Weg gehen und sehen, wie weit er damit kommt. Aber da ist etwas an dem Inspektor Baynes, das ich nicht recht verstehen kann.«
Als wir wieder in Esher im »Admiral Nelson« auf unserm Zimmer waren, drückte Holmes mich in einen Sessel. »Setz’ dich einmal, Watson«, sagte er. »Ich muß dir die Situation erklären, da ich heute nacht vielleicht deine Hilfe nötig habe. Soweit ich den Fall aufgeklärt habe, möchte ich dir darlegen, wie er sich für mich entwickelt hat. So einfach er in seinen Hauptzügen ist, so haben sich der Festnahme des Schuldigen doch ganz überraschende Schwierigkeiten entgegengesetzt. In dieser Richtung klaffen noch einige Risse, die erst noch zu überbrücken sind.
Gehen wir zurück bis zu der Botschaft, die Garcia am Abend seines Todes erhielt. Wir können die Auffassung Baynes’, als seien die zwei Bediensteten Garcias in die Mordsache verstrickt, gleich von vornherein ausschalten. Der Richtigkeitsbeweis dafür liegt darin, daß Garcia es war, der seines ›Freundes‹ Scott Eccles Anwesenheit in der Villa herbeiführte, was nur zum Zwecke eines Alibis geschehen sein kann. Also war es Garcia, der etwas im Schilde führte, und zwar allem Anschein nach etwas Verbrecherisches, das er für eben die Nacht plante, wo er dann seinen Tod fand. Ich sage, er hatte etwas Verbrecherisches im Sinn, denn nur ein Mann mit einem verbrecherischen Vorhaben wünscht ein Alibi aufzustellen. Wer hat nun aller Wahrscheinlichkeit nach den Todesstreich gegen Garcia geführt? Sicher die Person, gegen die Garcias verbrecherischer Anschlag sich richtete. So weit scheinen wir auf festem Grund zu stehen.
Wir können nun die Ursache dafür erkennen, daß Garcias ganzer Haushalt verschwunden ist. Sie waren alle Verbündete zu demselben uns unbekannten verbrecherischen Zweck. Sobald die Tat ruchbar wurde, würde die Zeugenschaft Scott Eccles jeden Verdacht von Garcia abgelenkt haben – wenn Garcia zurückkehrte. Aber es handelte sich hier um ein gefahrvolles Unternehmen, und wenn Garcia innerhalb einer gewissen Zeit nicht wiederkam, wurde es wahrscheinlich, daß er sein eigenes Leben hatte opfern müssen. Für diesen Fall war daher verabredet worden, daß seine zwei Leute sich an einen im voraus hierzu eingerichteten Ort begaben, wo sie vor der Verfolgung sicher waren und von wo aus sie später ihre Sache erneut versuchen konnten. Das dürfte alle Tatsachen erklären, denke ich.«
Das ganze verworrene Gewebe schien sich auf einmal vor meinen Augen klar auszubreiten. Wie immer wunderte ich mich, daß ich die Zusammenhänge nicht früher, von selber, erkannt hatte.