Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский

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Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский

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ich bin wirklich eine Laus‹, fuhr er fort, indem er sich in grimmiger Selbstverhöhnung an diesen Gedanken anklammerte, in ihm herumwühlte, mit ihm spielte und sich an ihm vergnügte, ›und zwar erstens schon allein deshalb, weil ich jetzt darüber philosophiere, daß ich eine Laus bin; zweitens, weil ich einen ganzen Monat lang die allgütige Vorsehung belästigt habe, indem ich sie als Zeugin dafür anrief, daß ich die Tat nicht um meines eigenen, persönlichen Vorteils willen unternähme, sondern im Hinblick auf ein herrliches, schönes Ziel, ha-ha! Drittens, weil ich mir vorgenommen hatte, bei der Ausführung der Tat auf rechnerischer Grundlage möglichste Gerechtigkeit in Maß und Gewicht zur Anwendung zu bringen: von allen Läusen suchte ich die allernutzloseste aus und beschloß, ihr nach der Tötung nur gerade soviel wegzunehmen, als ich zu meinem ersten Schritte nötig hätte, nicht mehr und nicht weniger (das übrige mochte dann also auf Grund des Testamentes dem Kloster zufallen, ha-ha!). Und schließlich bin ich deshalb eine Laus‹, fügte er zähneknirschend hinzu, ›weil ich selbst vielleicht noch garstiger und ekelhafter bin als die getötete Laus und schon im voraus ahnte, daß ich mir dies sagen würde, nachdem ich sie würde getötet haben! Ist das nicht die entsetzlichste Lage, die sich denken läßt? Wie gemein, wie unwürdig das alles ist! … Oh, jetzt verstehe ich den »Propheten«, mit dem Säbel in der Hand, hoch zu Roß: Allah befiehlt, und du, zitternde Kreatur, gehorche! Er ist in seinem Rechte, ganz in seinem Rechte, der »Prophet«, wenn er irgendwo quer über die Straße eine tüchtige Batterie aufstellt und nun losschießt auf Gerechte und Ungerechte, ohne sich auch nur zu einer Erklärung herabzulassen! Gehorche, zitternde Kreatur, und erdreiste dich nicht, Wünsche zu hegen; denn das steht dir nicht zu! … Oh, nie kann ich es dieser Alten verzeihen, daß sie die Ursache meiner Leiden geworden ist!‹

      Seine Haare waren feucht von Schweiß, die bebenden Lippen glühend und ausgetrocknet; den starren Blick hielt er auf die Decke des Zimmers geheftet.

      ›Meine Mutter, meine Schwester – wie lieb habe ich sie gehabt! Warum hasse ich sie jetzt? Ja, ich hasse sie; physisch hasse ich sie; ich kann es nicht ertragen, sie um mich zu sehen … Ich erinnere mich, daß ich vorhin zu meiner Mutter hintrat und sie küßte … Sie zu umarmen und dabei zu denken: wenn sie es wüßte, so … Sollte ich es ihr etwa damals sagen? Das hätte mir ganz ähnlich gesehen … Hm! »Sie« muß wohl in gleicher Gemütsverfassung sein wie ich‹, fügte er hinzu; er vermochte nur noch mit großer Anstrengung zu denken und kämpfte gegen den Fieberwahn an, der sich seiner bemächtigen wollte. ›Oh, wie ich jetzt das alte Weib hasse! Ich glaube, ich könnte sie noch einmal ermorden, wenn sie wieder erwachte! Die arme Lisaweta! … Warum mußte sie auch dazukommen! … Es ist doch sonderbar: warum denke ich denn an sie fast gar nicht, als ob ich sie nicht auch ermordet hätte? … Lisaweta, Sonja! Ihr armen, schüchternen Mädchen mit den sanften Augen … Ihr lieben Wesen! … Warum weinen sie nicht? Warum stöhnen sie nicht? … Sie geben alles hin, … und sie blicken so sanft und still … Sonja, Sonja! Du stille Sonja!‹

      Das Bewußtsein schwand ihm. Es schien ihm merkwürdig, daß er sich auf einmal auf der Straße befand, ohne sich erinnern zu können, wie er dorthin gekommen sei. Es war schon später Abend. Die Dämmerung wurde immer dunkler; der Vollmond gewann immer mehr an Glanz; aber in der Luft lag eine ganz besondere Schwüle. Scharen von Menschen bewegten sich auf den Straßen; Handwerker und Arbeiter eilten nach Hause; andere gingen spazieren; es roch nach Kalk, Staub und Pfützen. Raskolnikow schritt traurig und sorgenvoll einher: er erinnerte sich recht wohl, daß er zu irgendeinem bestimmten Zwecke fortgegangen sei, daß er notwendig und eilig etwas tun müsse; aber was das nun eigentlich war, hatte er vergessen. Plötzlich blieb er stehen und sah, daß auf der andern Seite der Straße ein Mann auf dem Trottoir stand und ihm winkte. Er ging quer über die Straße zu ihm hin; aber auf einmal drehte sich dieser Mann um und ging, als wäre nichts gewesen, mit gesenktem Kopfe weiter, ohne sich nach ihm umzusehen, gerade wie wenn er ihm gar nicht gewinkt hätte. ›Hat er mir auch wirklich gewinkt?‹ dachte Raskolnikow, eilte ihm jedoch nach. Als er nur noch etwa zehn Schritte von ihm entfernt war, erkannte er ihn und erschrak: es war der Kleinbürger von vorhin, in demselben Schlafrocke und mit derselben gekrümmten Haltung. Raskolnikow folgte ihm von weitem; das Herz pochte ihm heftig; sie bogen in eine Querstraße ein – der andere wandte sich noch immer nicht um. ›Ob er wohl weiß, daß ich ihm folge?‹ dachte Raskolnikow. Der Kleinbürger trat in den Torweg eines großen Hauses. Raskolnikow ging, so schnell er konnte, zu dem Torwege hin und blickte hinein, ob er sich nicht umsehen und ihm zuwinken würde. Und wirklich, als jener den ganzen Torweg durchschritten hatte und schon auf den Hof hinaustrat, drehte er sich plötzlich um, und es war wieder, als ob er ihm winkte. Raskolnikow eilte sofort durch den Torweg hindurch; aber der Kleinbürger war auf dem Hofe nicht mehr zu sehen. Also mußte er gleich die erste Treppe hinaufgegangen sein. Raskolnikow stürzte ihm nach. In der Tat waren zwei Treppen höher noch gleichmäßige, langsame Schritte vernehmbar. Merkwürdig: die Treppe kam ihm so bekannt vor! Da war das Fenster im Hochparterre; melancholisch und geheimnisvoll drang das Mondlicht durch die Scheiben; da war auch schon der erste Stock. Ah, das war ja dieselbe Wohnung, in der damals die Malergesellen arbeiteten … Wie war es nur möglich gewesen, daß er das Haus nicht sofort wiedererkannt hatte! Die Schritte des vorangehenden Mannes waren jetzt nicht mehr zu hören: ›also ist er stehengeblieben, oder er hat sich irgendwo versteckt‹, sagte sich Raskolnikow. Da war der zweite Stock; sollte er noch weitergehen? Und was für eine lautlose Stille da herrschte, ordentlich zum Fürchten … Aber er ging weiter. Das Geräusch seiner eigenen Schritte erschreckte und ängstigte ihn. Gott, wie dunkel! Der Kleinbürger hatte sich gewiß hier irgendwo in einem Winkel versteckt. Ah! Die Eingangstür der einen Wohnung stand sperrangelweit offen; er überlegte einen Augenblick und trat dann hinein. Im Vorzimmer war es sehr dunkel und öde; keine Menschenseele war zu spüren; die Sachen schienen alle weggeschafft zu sein. Leise, auf den Zehen, ging er in das Wohnzimmer: das ganze Zimmer war vom Mondlicht hell übergossen; alles war hier noch ebenso wie früher: die Stühle, der Spiegel, das gelbe Sofa und die eingerahmten Bilder. Der große, runde, kupferrote Mond blickte gerade in die Fenster hinein. ›Diese tiefe Stille rührt wohl vom Monde her‹, dachte Raskolnikow, ›er gibt jetzt gewiß gerade ein Rätsel auf.‹ Er blieb stehen und wartete, wartete lange, und je stiller der Mond war, um so heftiger klopfte ihm das Herz; es verursachte geradezu Schmerzen. Und immer noch diese Stille. Plötzlich ertönte eine Sekunde lang ein trockenes Knacken, als ob jemand einen Holzspan zerbräche; dann wurde wieder alles still. Eine Fliege, die aufgewacht war, stieß beim Herumfliegen an die Fensterscheibe und summte kläglich. In demselben Augenblicke erblickte er in einer Ecke, zwischen einem kleinen Schränkchen und dem Fenster, einen Gegenstand, der wie ein an der Wand hängender Frauenmantel aussah. ›Wozu hängt da ein Mantel?‹ dachte er. ›Der war doch früher nicht da.‹ Er trat leise heran und erriet, daß sich jemand hinter dem Mantel versteckt hatte. Vorsichtig zog er mit der Hand den Mantel weg und sah, daß da ein Stuhl stand, und auf dem Stuhle in der Ecke saß die Alte, ganz zusammengekrümmt und mit gesenktem Kopfe, so daß er das Gesicht überhaupt nicht sehen konnte; aber sie war es, da konnte kein Zweifel sein. Eine Weile blieb er vor ihr stehen; ›sie fürchtet sich‹, dachte er; dann zog er sachte das Beil aus der Schlinge und schlug die Alte auf den Scheitel, einmal und noch einmal. Aber merkwürdig: sie rührte sich gar nicht bei den Schlägen, wie wenn sie von Holz wäre. Er erschrak, beugte sich näher über sie und wollte sie genauer ansehen; aber sie ließ den Kopf noch tiefer herabsinken. Da bückte er sich ganz auf den Boden und blickte ihr von unten ins Gesicht; aber was er sah, ließ ihn vor Entsetzen erstarren: die Alte saß da und lachte, sie schüttelte sich ordentlich vor Lachen; aber sie lachte ganz still und unhörbar und gab sich aus aller Kraft Mühe, daß nichts davon zu vernehmen sein möchte. Auf einmal kam es ihm vor, als ob die nach dem Schlafzimmer führende Tür ein ganz klein wenig sich öffnete und auch dort gelacht und geflüstert würde. Da überkam ihn eine grimmige Wut: er begann die Alte aus Leibeskräften auf den Kopf zu schlagen; aber mit jedem Schlage des Beiles ertönte das Lachen und Flüstern aus dem Schlafzimmer immer lauter und deutlicher, und die Alte wackelte vor Lachen mit dem ganzen Leibe hin und her. Er stürzte hinaus, um davonzulaufen; aber da war das ganze Vorzimmer schon voll Menschen, die Tür nach der Treppe stand weit offen, und auf dem Treppenflur, auf der Treppe und weiter abwärts – überall Menschen, Kopf an Kopf; alle blickten nach ihm hin, aber alle suchten das zu verheimlichen, warteten und schwiegen! … Das Herz zog sich ihm krampfhaft

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