Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский страница 202
»Hol’s der Teufel! Ich will selbst zu Porfirij hingehen und meinen lieben Verwandten mal energisch vornehmen. Er soll seinen Hirnkasten vor mir völlig ausräumen! Und diesen Sametow …«
›Endlich verfällt er auf den Richtigen!‹ dachte Raskolnikow.
»Halt!« rief Rasumichin plötzlich und packte ihn an der Schulter. »Halt! Du hast dich geirrt! Ich habe es mir überlegt: du hast dich geirrt! Wie kann denn das eine Falle gewesen sein? Du sagst, die Frage nach den Gesellen wäre eine Falle gewesen? Denk doch nur nach: wenn du die Tat begangen hättest, würdest du dich dann verraten und sagen, du hättest die Gesellen gesehen, und daß die Wohnung gestrichen wurde? Im Gegenteil: du würdest behaupten, nichts gesehen zu haben, auch wenn du etwas gesehen hättest. Wer wird sich denn durch Geständnisse selbst beschuldigen?«
»Hätte ich die Tat begangen, so würde ich unbedingt sagen, daß ich die Gesellen und die Wohnung gesehen hätte«, antwortete Raskolnikow nur ungern und mit sichtlichem Widerwillen.
»Aber warum würdest du denn gegen dich selbst aussagen?«
»Weil nur simple Bauern oder ganz unerfahrene Neulinge beim Verhör alles der Reihe nach schlankweg in Abrede stellen. Wer nur einigermaßen geistige Bildung und Erfahrung besitzt, der ist unbedingt darauf bedacht, alle äußerlichen Tatsachen, die er nicht aus der Welt schaffen kann, zuzugeben; nur erfindet er dafür andere Ursachen, er bringt eine selbstersonnene, besondere, überraschende Nuance hinein, die ihnen eine völlig andere Bedeutung verleiht und sie in eine ganz andere Beleuchtung rückt. Porfirij konnte darauf rechnen, daß ich, zum Zwecke größerer Glaubhaftigkeit, jedenfalls in dieser Weise antworten und jedenfalls sagen würde, ich hätte sie gesehen, und daß ich dabei irgend etwas zur Erklärung hinzufügen würde …«
»Dann hätte er dir allerdings sofort gesagt, daß zwei Tage vor der Tat keine Gesellen dagewesen sein könnten und daß du folglich gerade am Tage des Mordes zwischen sieben und acht Uhr dagewesen sein müßtest. So hätte er dich mittels dieser Kleinigkeit überrumpelt.«
»Er rechnete auch darauf, daß ich es mir in der Geschwindigkeit nicht würde überlegen können und mich gerade um der größeren Glaubwürdigkeit willen beeilen würde, zu antworten, und dabei vergessen würde, daß zwei Tage vor der Tat die Gesellen nicht da sein konnten.«
»Aber wie könnte man denn so etwas vergessen?«
»Das ist sehr leicht möglich! Gerade mittels solcher ganz geringfügigen Dinge lassen sich auch schlaue Leute am leichtesten überrumpeln. Je schlauer jemand ist, um so weniger argwöhnt er, daß man ihn mit einem so einfachen Mittel fangen werde. Dem Schlauesten Menschen muß man gerade mit dem einfachsten Mittel zu Leibe gehen. Porfirij ist gar nicht so dumm, wie du denkst …«
»Ein Schuft ist er, wenn er sich so benommen hat.«
Unwillkürlich mußte Raskolnikow lachen. Aber gleichzeitig erschien es ihm merkwürdig, mit welcher Lebhaftigkeit und mit welchem Eifer er diese letzte Erörterung durchgeführt hatte, während er doch bei dem ganzen vorhergehenden Teile des Gespräches nur mit finsterem Widerwillen, nur um des Zweckes willen, nur aus Notwendigkeit mitgeredet hatte.
›Ich fange an, Geschmack an derartigen Themen zu finden!‹ dachte er bei sich.
Aber fast im gleichen Augenblicke wurde er unruhig, als sei ihm ein unerwarteter, aufregender Gedanke gekommen. Seine Unruhe stieg immer mehr. Sie waren schon am Eingange zu dem Bakalejewschen Hotel garni angelangt.
»Geh allein hinein«, sagte Raskolnikow plötzlich. »Ich komme gleich wieder.«
»Wohin willst du denn noch? Wir sind ja schon da!«
»Ich muß noch einmal fort, dringend; ich habe noch etwas zu erledigen … In einer halben Stunde bin ich wieder zurück. … Sage es denen da drin.«
»Na, wenn du durchaus willst; aber ich gehe mit!«
»Willst du mich auch noch martern!« rief Raskolnikow mit so bitterer Gereiztheit im Tone und solcher Verzweiflung im Blicke, daß Rasumichin erstaunt die Arme sinken ließ. Er blieb noch ein Weilchen auf den Stufen vor der Haustür stehen und sah mit finsterer Miene, wie jener schnellen Schrittes nach der Gasse zu ging, in der er wohnte. Schließlich biß er die Zähne zusammen, ballte die Fäuste, schwur, er wolle heute noch den ganzen Porfirij wie eine Zitrone ausquetschen, und ging dann hinauf, um Pulcheria Alexandrowna, die sich schon über das lange Ausbleiben der beiden ängstigte, zu beruhigen.
Als Raskolnikow bei seinem Hause anlangte, waren seine Schläfen feucht von Schweiß, und er atmete nur mühsam. Eilig lief er die Treppe hinauf, ging in sein unverschlossenes Zimmer und legte sogleich von innen den Riegel vor. Dann stürzte er erschreckt und wie von Sinnen nach jener Ecke hin, zu dem Loch in der Tapete, wo vorher die Pfandstücke versteckt gewesen waren, steckte die Hand hinein, scharrte einige Minuten lang sorgsam in dem Loche umher und betastete alle Winkel und Falten der Tapete. Als er nichts gefunden hatte, stand er auf und holte tief Atem. Kurz vorher nämlich, während er sich bereits der Haustür von Bakalejew näherte, hatte er sich plötzlich eingebildet, es könnte irgendein Wertgegenstand, irgendein goldenes Kettchen etwa oder auch ein Hemdknöpfchen oder sogar ein Stück Papier, in das sie eingewickelt waren, mit einer Notiz von der Hand der alten Frau, ihm damals auf irgendeine Weise entglitten sein und sich in einer Ritze verkrochen haben, und es könnte dies dann auf einmal als überraschender, unwiderleglicher Beweis gegen ihn ans Licht kommen.
Er stand tief in Gedanken verloren da, und ein seltsames, demütiges, gedankenloses Lächeln spielte um seine Lippen. Schließlich griff er nach seiner Mütze und ging still aus dem Zimmer. Seine Gedanken gerieten in Verwirrung. In sich gekehrt, trat er unter den Torweg.
»Da ist ja der Herr selbst!« rief eine laute Stimme.
Er hob den Kopf.
Der Hausknecht stand an der Tür seiner Kammer und wies mit dem Finger gerade auf ihn, um ihn einem Manne von kleiner Statur zu zeigen, der wie ein Kleinbürger aussah und eine Art Schlafrock und Weste trug, so daß er von weitem große Ähnlichkeit mit einem alten Weibe hatte. Sein Kopf, auf dem eine schmierige Mütze saß, hing tief herunter, und die ganze Gestalt war wie verkrümmt. Das welke, runzlige Gesicht deutete darauf hin, daß er wohl fünfzig Jahre alt sein mochte; die kleinen, tränenden Augen hatten einen ingrimmigen, strengen, mißvergnügten Blick.
»Was gibt es?« fragte Raskolnikow und trat zu dem Hausknechte hin.
Der Kleinbürger schielte unter den Brauen nach ihm hin und nahm sich Zeit, ihn starr und aufmerksam zu betrachten; dann drehte er sich langsam um und ging, ohne ein Wort zu sagen, aus dem Torwege auf die Straße.
»Ja, was gibt es denn?« rief Raskolnikow.
»Da fragte einer, ob hier ein Student wohnte, und er nannte Ihren Namen und wollte wissen, bei wem Sie wohnten. Da kamen Sie gerade herunter, und ich zeigte Sie ihm; aber er ist wieder weggegangen. Na, so was!«
Auch der Hausknecht war einigermaßen verwundert, indes nicht übermäßig, und nach kurzem Besinnen drehte er sich um und ging wieder in seine Kammer.
Raskolnikow eilte dem Kleinbürger nach und erblickte ihn auch sogleich, wie er auf der andern Seite der Straße mit demselben gleichmäßigen, langsamen Schritte wie vorher dahinging; die Augen hielt er auf den Erdboden gerichtet, als ob er über etwas nachsänne. Er hatte ihn bald eingeholt, ging aber eine Weile hinter ihm her; endlich trat er neben ihn und sah ihm von der