Gesammelte Werke von Sir Arthur Conan Doyle: 52 Krimis & Historische Romane in einem Band. Arthur Conan Doyle
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»Was in aller Welt soll das heißen?« rief ich aus, nachdem ich die sonderbare Anzeige zweimal durchgelesen hatte.
Holmes wälzte sich förmlich vor Lachen auf seinem Stuhl, wie er es immer tat, wenn er guter Laune war.
»Nicht wahr, das ist absonderlich?« rief er. »Und nun, Herr Wilson, legen Sie los und erzählen Sie uns von sich, Ihrem Haushalt und von der Wirkung dieser Zeilen auf Ihr Lebensglück. – Du, Doktor, notierst gefälligst Namen und Nummer der Zeitung.«
»Es ist der ›Morning Chronicle‹ vom 27. April d. J. Das Blatt erschien genau vor zwei Monaten.«
»Gut. Bitte, fangen Sie an, Herr Wilson.«
»Also«, sprach Jabez Wilson, sich die Stirn trocknend, »wie ich Ihnen schon sagte, Herr Holmes – ich bin Inhaber einer kleinen Trödelbude in Coburg-Square, unweit der City. Ein sehr bedeutendes Geschäfts ist’s nicht, und in den letzten Jahren warf es nur so viel ab, wie ich zum Leben brauchte. Früher konnte ich zwei Gehilfen halten, jetzt aber habe ich nur einen, und es würde mir sauer werden, den zu bezahlen, wenn er nicht freiwillig für halben Lohn arbeitete, weil er das Geschäft erlernen will.«
»Wie heißt dieser gefällige Jüngling?« fragte Holmes.
»Er heißt Vincent Spaulding und ist gerade kein Jüngling mehr. Sein Alter läßt sich schwer bestimmen. Einen gewandteren Gehilfen kann ich mir gar nicht wünschen, Herr Holmes. Ich weiß wohl, daß er leicht eine bessere Stellung finden und doppelt so viel verdienen könnte, als ich ihm gebe. Da er aber zufrieden ist, weshalb sollte ich ihm einen Floh ins Ohr setzen?«
»Ja, allerdings weshalb? Sie können sich glücklich schätzen, einen Angestellten mit geringen Ansprüchen zu haben. Heutzutage kommt das im Geschäftsleben nicht oft vor. Mir scheint Ihr Gehilfe kaum weniger absonderlich zu sein als Ihre Anzeige.«
»Nun, er hat auch seine Fehler«, meinte Wilson. »Er ist ganz versessen auf das Photographieren. Auf einmal geht er mit seinem Apparat davon, läßt die Arbeit im Stich und verkriecht sich im Keller wie ein Karnickel in seinem Loch, um die Aufnahmen zu entwickeln. Das ist sein Hauptfehler, sonst ist er ein tüchtiger Arbeiter; ich kann nicht über ihn klagen.«
»Ich setze voraus, daß er noch bei Ihnen ist?«
»Ja, Herr Holmes. Er und ein vierzehnjähriges Mädchen, das etwas kochen kann und das Reinmachen besorgt – ist mein ganzes Personal im Hause. Wissen Sie, ich bin kinderloser Witwer. Wir drei leben ruhig bei einander, und wenn wir es auch nicht weit bringen, so haben wir doch unser Auskommen und machen keine Schulden. – Alles ging glatt, bis die Anzeige erschien. Gerade heute vor acht Wochen tritt Spaulding mit diesem Blatt in der Hand ins Geschäft und spricht:
»Wollte Gott, Herr Wilson, ich hätte rote Haare!«
»Weshalb?« fragte ich.
»Weshalb?« gibt er zurück, »weil hier wieder eine Freistelle im Bunde der Rothaarigen ausgeschrieben ist. Für den, der sie kriegt, ist’s wirklich ein kleines Vermögen, und wie ich sehe, gibt es mehr freie Stellen als Bewerber, so daß die Verwaltung nicht mehr weiß, wohin mit dem Gelde. Ließe sich doch mein Haar umfärben – in dies behagliche Nestchen setzte ich mich gern«.
»Nanu, wie verhält sich denn die Sache?« fragte ich. »Sehen Sie, Herr Holmes, ich bin eine richtige Hausunke, und da ich des Geschäfts wegen nicht auszugehen brauche, setze ich den Fuß oft wochenlang nicht über die Schwelle. Auf diese Weise erfahre ich wenig von dem, was draußen vor sich geht, und freue mich daher immer, etwas Neues zu hören.«
»Wissen Sie gar nichts vom Bunde der Rothaarigen?« fragte er und riß die Augen auf.
»Gar nichts.«
»Wirklich nicht? Das nimmt mich wunder, denn Sie selbst könnten Ansprüche auf eine Stelle erheben.«
»Und was wirft sie denn ab?« fragte ich.
»Mehr nicht als ein paar hundert im Jahr, doch ist die Arbeit gering, und man kann dabei auch seinen sonstigen Beschäftigungen nachgehen.«
»Da können Sie sich wohl denken, Herr Holmes, daß ich die Ohren spitzte, denn in den letzten Jahren ging das Geschäft nicht brillant, und so ein paar hundert nebenbei wären mir gerade gelegen gekommen.«
»Erzählen Sie mir Näheres davon«, bat ich.
»Sie sehen ja selbst«, sagte Spaulding und wies auf die Anzeige, »daß eine Vakanz des Bundes ausgeschrieben ist, und hier ist die Adresse, an die man sich zu wenden hat. Soviel ich in Erfahrung bringen konnte, wurde der Verein durch einen amerikanischen Millionär, Ezekiah Hopkins, gegründet, der ein rechter Sonderling gewesen sein muß. Bei seinem Tode fand sich ein Testament, in welchem er sein enormes Vermögen zur Errichtung einer Stiftung für Rothaarige bestimmte. Die Zinsen des Kapitals sollten dazu verwendet werden, solchen Leuten eine bequeme und auskömmliche Existenz zu verschaffen.«
»Da werden sich wohl Millionen Rothaarige melden?« warf ich ein.
»Keineswegs«, erwiderte er. »Die Stiftung beschränkt sich auf die Londoner und auf erwachsene Männer. Der Amerikaner hatte seine Jugend in London verlebt und wollte der alten Heimat eine Wohltat erweisen. Ferner hörte ich, es sei ganz nutzlos sich zu melden, wenn das Haar nur rotblond oder rotbraun ist; auf ein grelles, brennendes Rot kommt es an. Sollten Sie Lust haben, sich zu melden, so ist Ihnen die Stelle sicher; vielleicht aber lohnt es sich kaum für Sie, sich wegen ein paar hundert Pfund zu bemühen.« –
»Wie Sie sich selbst überzeugen können, meine Herren, ist meine Haarfarbe wirklich so feurig und lebhaft, daß ich mir als Bewerber Erfolg versprechen konnte, so gut wie jeder andere. Spaulding schien von der Sache so viel zu wissen, daß ich dachte, er könne mir behilflich sein; ich hieß ihn daher den Laden schließen und gleich mit mir gehen. Der freie Tag kam ihm gerade recht, wir machten die Bude zu und begaben uns nach der im Blatt angegebenen Adresse.«
»Das war ein Anblick, Herr Holmes! Von Nord und Süd, von Ost und West war alles herbeigelaufen, was nur einen rötlichen Schimmer auf dem Kopfe aufzuweisen hatte! In Fleet-Street wimmelte es von Rothaarigen. Ich hätte nicht für möglich gehalten, daß es so viele rote Köpfe in London gebe, wie sie allein diese Anzeige zusammenführte. Jede Schattierung war vertreten – stroh-, zitronen-, orangengelb, ziegel-, leber-, lehmrot, doch hatten, wie Spaulding erklärte, nur wenige leuchtendes, flammendes Rot aufzuweisen. Als ich die Zahl der Bewerber sah, wäre ich am liebsten gleich wieder umgekehrt, davon aber wollte Spaulding nichts hören. Wie er es fertig brachte, begreife ich jetzt noch nicht, aber er stieß, puffte und knuffte nach allen Seiten, bis er mich durch die Menge geschoben hatte. Auf der Treppe flutete es hin und her, hoffnungsvoll stiegen die einen empor, enttäuscht kamen die andern herab; wir schlugen uns durch, so gut es ging, und kamen glücklich ins Büro.«
»Das ist ja eine recht heitere Geschichte«, bemerkte Holmes, als der Klient sich unterbrach, um sein Gedächtnis durch eine gewaltige Prise zu stärken. »Bitte, fahren Sie fort.«
»Im Büro standen nur ein paar hölzerne Stühle und ein Tisch aus Tannenholz, an dem ein kleiner Mann saß, dessen Haar noch röter war als das meinige. An jeden Kandidaten, der hereintrat, richtete er ein paar Fragen, und fand dann an jedem etwas auszusetzen, das ihn für die Anwartschaft ungeeignet erwies. Die Freistelle zu erlangen, schien schließlich nicht so ganz leicht zu sein. Als aber endlich die Reihe an uns kam, zeigte sich der kleine Mann mir gewogener als allen übrigen; er schloß die Tür, um mit uns