Gesammelte Werke von Sir Arthur Conan Doyle: 52 Krimis & Historische Romane in einem Band. Arthur Conan Doyle

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Gesammelte Werke von Sir Arthur Conan Doyle: 52 Krimis & Historische Romane in einem Band - Arthur Conan Doyle

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Mann mit schlauem, verschmitztem Blick erwartete uns auf dem Bahnsteig. Trotz des hellbraunen Staubmantels und der Ledergamaschen, die er wohl der ländlichen Umgebung zu Ehren trug, erkannte ich auf den ersten Blick Lestrade, den bekannten Londoner Detektiv. Mit ihm fuhren wir nach den »Hereford Arms«, wo bereits ein Zimmer für uns bestellt war.

      »Unten steht ein Wagen für uns«, sagte Lestrade, als wir bei einer Tasse Tee saßen; »ich kenne Ihre Energie und weiß, daß sie nicht rasten werden, ehe Sie den Schauplatz des Verbrechens aufgesucht haben.«

      »Das war von Ihnen ebenso lobenswert wie liebenswürdig. Unsere Fahrt hängt gänzlich vom Barometer ab.«

      Lestrade schien überrascht.

      »Ich begreife nicht recht« – sagte er.

      »Wie steht das Wetterglas? Gut – auf neunundzwanzig. Kein Wind, keine Wolke am Himmel. Ich habe hier ein Kästchen Zigaretten, die geraucht sein wollen, und das Sofa scheint mir besser, als die sonst im Gasthof üblichen Martersitze. Also werde ich heute sehr wahrscheinlich den Wagen nicht brauchen.«

      Lestrade lächelte fast nachsichtig. »Zweifellos haben Sie sich bereits Ihre Ansicht über den Tatbestand aus den Zeitungsberichten gebildet. Die Sache ist so klar wie Wasser, und je länger man sich damit beschäftigt, desto klarer wird sie. Doch darf man einer Dame – obendrein einer, die so bestimmt auftritt – nicht widersprechen, obwohl ich ihr wiederholt versicherte, daß Sie, Herr Holmes, auch nichts anderes tun können, als was ich bereits getan habe. Wahrlich! da hält ihr Wagen an der Tür!«

      Lestrade hatte kaum ausgesprochen, da stürzte auch schon eine der lieblichsten Jungfrauen herein, die ich je gesehen. Ihre Veilchenaugen leuchteten, ihre Lippen waren halb geöffnet, ihre Wangen glühten, und bei ihrer überwältigenden Aufregung und Sorge war jeglicher Gedanke an Zurückhaltung gegenüber einem Fremden von ihr gewichen.

      »Ach, Herr Holmes!« rief sie, während ihr Blick zwischen ihm und mir hin und her schweifte, bis er mit dem sicheren Gefühl des Weibes auf meinem Gefährten haften blieb, »Herr Holmes, ich bin so froh, daß Sie gekommen sind. Ich fuhr rasch her, um Ihnen das zu sagen. Ich weiß bestimmt, daß James unschuldig ist, und Sie sollen es auch wissen, ehe Sie Ihre Tätigkeit beginnen – Sie dürfen keinen Augenblick daran zweifeln. Wir sind von Kindheit an zusammen gewesen, und ich weiß seine Fehler wie sonst niemand; er ist zu herzensgut, um nur einer Fliege wehe zu tun. Wer ihn kennt, muß eine solche Anklage für die größte Torheit halten.«

      »Ich hoffe, es gelingt uns, ihn zu rechtfertigen, Fräulein Turner«, sagte Sherlock Holmes. »Verlassen Sie sich auf mich – was in meinen Kräften steht, daß soll geschehen.«

      »Sie haben doch die Anklage gelesen? Sie haben Schlüsse daraus gezogen – sehen Sie keinen Ausweg, keine Rettung? Halten Sie ihn nicht selbst für unschuldig?«

      »Mir erscheint seine Unschuld sehr wahrscheinlich.«

      »Sehen Sie wohl!« rief das junge Mädchen aus und warf einen triumphierenden Blick auf Lestrade. »Da hören Sie’s! Er gibt mir Hoffnung.«

      Lestrade zuckte die Achseln: »Ich fürchte, mein Kollege ist etwas voreilig in seinen Schlüssen.«

      »Aber er hat recht – ich weiß, daß er recht hat. Nie und nimmer hat James das getan. Und was den Streit mit seinem Vater betrifft, so bin ich überzeugt, daß er nur deshalb im Verhör nicht darüber berichten wollte, weil es sich um mich handelte.«

      »Inwiefern?« fragte Holmes.

      »Es wäre unrecht, jetzt noch etwas verbergen zu wollen. James hatte oft Meinungsverschiedenheiten mit seinem Vater wegen mir. Herr Mc Carthy wünschte dringend, daß wir uns heiraten sollten. James und ich lieben einander von jeher wie Geschwister, aber er ist jung, hat noch wenig vom Leben gesehen und – und – daher mochte er sich noch nicht binden. So gab es denn oft Streit, und gewiß handelte es sich auch diesesmal darum.«

      »Und war Ihr Vater solcher Verbindung geneigt?« fragte Holmes.

      »Nein. Er war ganz dagegen. Nur Herr Mc Carthy war dafür.« Das frische, junge Gesicht erglühte, als Holmes seinen fragenden, durchdringenden Blick auf sie heftete.

      »Ich danke Ihnen für diese Mitteilung«, sagte er. »Werde ich Ihren Herrn Vater treffen, wenn ich morgen vorspreche?«

      »Ich fürchte, der Arzt wird es nicht erlauben.«

      »Der Arzt?«

      »Mein armer Vater kränkelt schon seit Jahren, und der schreckliche Vorfall hat ihn vollends ganz niedergeworfen. Er liegt zu Bett, und Dr. Willows erklärt, seine Nerven seien ganz zerrüttet. Herrn Mc Carthys Tod ging Vater um so näher, als derselbe sein einziger Bekannter aus der Zeit war, die er in Viktoria zugebracht hat.«

      »So – in Viktoria! Das ist wichtig.«

      »Ja, er war in den Minen.«

      »Richtig – in den Goldminen, wo Herr Turner – soviel ich gehört habe – sein Vermögen erworben hat.«

      »Jawohl.«

      »Ich danke Ihnen, Fräulein Turner. Sie sind mir wesentlich von Nutzen gewesen.«

      »Nicht wahr, Herr Holmes, Sie lassen es mich wissen, wenn Sie morgen Neues erfahren haben sollten. Gewiß werden Sie James im Gefängnis aufsuchen; ach, bitte, dann sagen Sie ihm, daß ich von seiner Unschuld überzeugt bin.«

      »Das will ich tun, Fräulein Turner.«

      »Jetzt muß ich heimeilen, denn Papa ist schwer krank, und er vermißt mich sehr, wenn ich nicht bei ihm bin. Leben Sie wohl, und Gott helfe Ihnen weiter.«

      Rasch, wie das junge Mädchen gekommen, eilte sie jetzt davon, und wir vernahmen von der Straße her das Rollen ihres Wagens.

      »Fast sollte ich mich Ihrer schämen, Holmes«, sprach Lestrade würdevoll nach kurzem Schweigen. »Warum Hoffnungen erwecken, denen Enttäuschung folgen muß? Ich bin nicht sonderlich weichherzig – das nenne ich aber grausam.«

      »Ich glaube eben bestimmt, James Mc Carthys Freisprechung erlangen zu können«, sagte Holmes. »Haben Sie einen Erlaubnisschein, ihn im Gefängnis aufzusuchen?«

      »Ja, aber nur für Sie und mich.«

      »Da will ich meinen Entschluß, heute nicht mehr fortzugehen, doch noch einmal überlegen. Haben wir noch Zeit, um den Zug nach Hereford zu benützen und den Angeklagten zu sehen?«

      »Reichlich genug.«

      »So wollen wir hin. Watson, laß dir die Zeit nicht lang werden, ich bleibe nur wenige Stunden fort.«

      Ich begleitete die beiden an den Bahnhof, schlenderte dann durch die Straßen der kleinen Stadt und kehrte schließlich in meinen Gasthof zurück; dort streckte ich mich aus und versuchte, mich in einen Roman zu vertiefen. Die Geschichte war jedoch so flach und unbedeutend im Vergleich zu dem düstern Geheimnis, das uns beschäftigte, daß meine Gedanken fortwährend von der Dichtung in die Wirklichkeit schweiften, bis ich schließlich das Buch beiseite warf und mich ganz meinen Betrachtungen über die Ereignisse des heutigen Tages hingab. Angenommen, der unglückliche Jüngling hätte die Wahrheit gesprochen, welches völlig unerwartete, unselige Ereignis, welcher teuflische Umstand konnte eingetreten sein in der kurzen Zeit zwischen seinem Weggehen vom Vater und dem Augenblick, da er durch den Angstschrei zu ihm zurückgerufen

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