Gesammelte Werke von Sir Arthur Conan Doyle: 52 Krimis & Historische Romane in einem Band. Arthur Conan Doyle
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Der Bascombe-Teich, eine kleine, mit Schilf umsäumte Wasserfläche von etwa fünfzig Meter, liegt an der Grenze zwischen dem Pachtgut von Hatherley und dem Park des Herrn Turner.
Drüben, über den Wäldern des jenseitigen Ufers, konnten wir die roten Türme sehen, die zu der Besitzung des reichen Eigentümers gehörten. Auf der nach Hatherley zu gelegenen Seite des Teiches stand der Wald sehr dicht; nur ein schmaler Rand frischen Grases zog sich zwischen den Bäumen und dem Rohr hin, das den Teich begrenzte. Lestrade wies uns die genaue Stelle, wo die Leiche aufgefunden worden war; der Boden war so feucht, daß ich deutlich die Spuren sehen konnte, die der Fall des Körpers verursacht hatte. Holmes – das las man auf seinen gespannten Zügen und in seinem forschenden Blick – entnahm dem zertretenen Grasplatz noch viele anderen Dinge. Wie ein Jagdhund, der Beute wittert, lief er umher und wandte sich dann an meinen Gefährten.
»Warum sind Sie denn ins Wasser gegangen?« fragte er.
»Ich fischte mit einem Rechen umher. Ich hoffte irgend eine Waffe oder sonst eine Spur zu entdecken. Aber wie in aller Welt wissen Sie…?«
»Ach, papperlapapp! Jetzt habe ich keine Zeit! Ihr linker Fuß, mit seiner Drehung nach innen, ist ja allenthalben sichtbar. Dem vermöchte sogar ein Maulwurf zu folgen! Und hier verschwinden Ihre Schritte im Rohr. Ach! wie einfach wäre vieles gewesen, hätte ich hier sein können, ehe alles wie von einer Büffelherde niedergestampft wurde. Hier kam die Gesellschaft mit dem Aufseher her, und sie hat wahrhaftig sieben bis acht Fuß um die Leiche herum alle Spuren vertrampelt. Aber hier – hier sind drei abgesonderte Abdrücke ein und desselben Fußes.« Holmes zog ein Vergrößerungsglas hervor und legte sich auf seinen Regenmantel nieder, um genauer sehen zu können, wobei er mehr mit sich selbst als mit uns sprach: »Das sind des jungen Mc Carthys Spuren. Zweimal ging er ruhig, und einmal lief er so geschwind, daß die Sohlen sehr kräftig, die Absätze nur ganz flüchtig eingedrückt sind. Darin liegt seine ganze Geschichte. Er lief, als er seinen Vater am Boden sah. Ferner sind hier die Fußstapfen des Vaters, als er auf-und abging – was ist aber das? Das Kolbenende des Gewehrs an der Stelle, wo der Sohn stand und aufhorchte. – Und dies? – Ha! ha! Was haben wir hier? Fußspitzen! Fußspitzen! Und das sind breite – ganz ungewöhnliche Stiefel! Sie kommen – gehen – kommen wieder – natürlich wegen des Mantels. Wo aber kamen sie her?« Holmes lief auf und ab, bald fand er die Spur, bald verlor er sie, bis wir an der Waldecke zu einer Buche, dem größten Baum der Umgegend, gelangten. Holmes ging weiter im Schatten des Baumes, legte wieder das Gesicht an den Boden und stieß einen leisen Ruf der Befriedigung aus. Lange Zeit blieb er in dieser Lage, durchsuchte Blätter und trockene Zweige, nahm, wie mich dünkte, etwas Staub in einen Briefumschlag und untersuchte mit seinem Glas nicht allein den Boden, sondern sogar die Rinde des Baumes, so hoch er reichen konnte. Ein spitzer Stein lag im Moos, auch den betrachtete er genau und nahm ihn zu sich. Dann folgte er einem Fußweg durch den Wald bis zur Landstraße, wo jede Spur verschwand.
»Das war ein höchst merkwürdiger Fall«, bemerkte er und nahm wieder sein gewohntes Wesen an. »Ich denke, das graue Haus dort muß die Wohnung des Aufsehers sein. Ich werde wohl hineingehen, ein paar Worte mit Moran reden und vielleicht einige Zeilen schreiben. Nachher können wir zum Frühstück zurückfahren. Gehen Sie gefälligst voraus zum Wagen, ich folge sogleich.«
Ungefähr zehn Minuten später waren wir auf dem Wege nach Roß; Holmes hielt noch immer den Stein, den er im Walde aufgelesen hatte.
»Das könnte Sie interessieren, Lestrade«, bemerkte er und wies auf den Stein, »der Mord wurde damit ausgeführt.«
»Ich sehe keinerlei Anzeichen an dem Stein.«
»Es sind auch keine daran.«
»Wie wollen Sie es dann wissen?«
»Das Gras wuchs darunter, also lag der Stein erst seit wenigen Tagen dort. Die Stelle wo er weggenommen worden war, ließ sich nicht finden. Er paßt genau zu den Verletzungen. Von einer anderen Waffe ist keine Spur vorhanden.«
»Und der Mörder?«
»Ist ein großer Mann, der links ist, mit dem rechten Fuß hinkt, starksohlige Jagdstiefel und einen grauen Mantel trägt, indische Zigarren raucht, eine Zigarrenspitze benutzt und ein stumpfes Federmesser in der Tasche hat. Noch einige andere Indizien sind vorhanden, doch mögen diese genügen, um uns auf die rechte Fährte zu bringen.«
Lestrade lachte. »Ich gehöre leider noch immer zu den Ungläubigen«, sagte er. »Theorien sind schön und gut, aber, wie Sie wissen, haben wir’s mit einem hartschlägigen englischen Schwurgericht zu tun.«
»Nous verrons«, meinte Holmes gelassen. »Sie arbeiten nach Ihrer Methode – ich nach meiner. Heute nachmittag habe ich zu tun und werde wahrscheinlich mit dem Abendzug nach London zurückkehren.«
»Und die Sache hier im Stich lassen?«
»Nein – beendigt.«
»Aber das Geheimnis?«
»Ist gelöst.«
»Wer war denn also der Mörder?«
»Der Herr, den ich beschrieb.«
»Aber wer ist er?«
»Das herauszufinden wird gewiß nicht schwer sein. Allzu bevölkert ist ja die Umgegend nicht.«
Lestrade zuckte mit den Achseln. »Ich bin ein Praktiker«, sagte er, »und kann wirklich nicht im Lande umherlaufen, um einen lahmen Herrn, der links ist, zu suchen. Ich würde ja damit bei der ganzen Polizei zur Zielscheibe des Spottes.«
»Schon gut«, meinte Holmes gelassen. »Meine Schuld ist’s nicht, wenn Sie sich blamieren. – Hier ist Ihre Wohnung. Leben Sie wohl. Vor meiner Abreise schreibe ich Ihnen noch ein Wort.«
Nachdem wir Lestrade abgesetzt hatten, fuhren wir nach unserm Hotel, wo das Frühstück bereits auf dem Tisch stand. Holmes schwieg und saß in Gedanken versunken mit schmerzlichem Ausdruck da, wie jemand, der sich in einer verwickelten Lage befindet.
»Komm her, Watson«, sagte er, als der Tisch abgeräumt war, »setze dich bequem in diesen Stuhl und laß mich dir ein Weilchen vorpredigen. Ich weiß nicht recht, was ich tun soll. Rate du mir. Stecke deine Zigarre an und höre.«
»Bitte, sprich.«
»Bei näherer Betrachtung fielen dir und mir in der Erzählung des jungen Mc Carthy sofort zwei Umstände auf; mich nahmen sie zu seinen Gunsten, dich aber gegen ihn ein. Der erste ist, daß, wie er sagt, sein Vater ›Cooee!‹ rief, ehe er ihn gesehen, der andere ist die wunderliche Erwähnung der Silben ›a rat‹ aus dem Munde des Sterbenden. Er murmelte noch mehr, aber dies was bekanntlich das einzige, was der Sohn verstand. Von diesen zwei Momenten müssen nunmehr unsere Nachforschungen ausgehen, und wir wollen sie mit der Voraussetzung beginnen, daß der junge Mann die reine Wahrheit sprach.«