Leni Behrendt Staffel 6 – Liebesroman. Leni Behrendt
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»Na, nun mal langsam, mein Herzchen. So leichtsinnig wollen wir wiederum auch nicht sein. Wollen uns zuerst das Stiftsfräulein einmal ansehen, ob man mit ihr überhaupt auskommen kann. Also werde ich ihr schreiben, daß sie, wenn sie Lust hätte, uns besuchen möchte. Dann werden wir ja sehen, wie sie darauf reagiert. Zeigt sie uns die kalte Schulter, auch gut. Wir jedenfalls haben dann einem einsamen Menschen gegenüber unsere Pflicht und Schuldigkeit getan.«
*
Es war einige Tage später, als Frauke durch die Haustür gehen wollte – und dann wie erstarrt zwischen Tür und Angel verharrte; denn vor ihr stand die Dame aus dem D-Zug. Sehr vornehm, sehr altmodisch, mit Pincenez, vorsintflutlichem Hut, konservativer Reisetasche und schüchternem Lächeln, das um irgend etwas um Verzeihung zu bitten schien. Dann die unsichere Frage:
»Wohnt hier ein Fräulein Frauke Gortz?«
»Das bin ich.«
»Und ich bin Jadwiga von Schlössen.« Na, da schlag einer lang hin! wäre Frauke beinahe die beliebte Redewendung Michels entfahren. Doch der hilflose, bittende Blick der Besucherin gab dem gewandten Mädchen rasch die Fassung wieder.
»Seien Sie mir herzlich willkommen«, entgegnete sie liebenswürdig. »Wir sind uns nicht mehr ganz fremd, nicht wahr?«
»Nein, wir sahen uns damals im Zug… Mein Gott, der Hund, er wird mir doch nichts tun?« wich sie entsetzt vor Ajax zurück, der plötzlich aufgetaucht war und sie kritisch musterte.
»I bewahre«, beruhigte Frauke. »Du wirst doch wohl nicht liebe Gäste anfallen, du Schlingel.«
»Wauwau!« machte er lustig. Das beruhigte die ängstliche Dame, die Frauke nun in die Diele führte und ihr dort Tasche, Mantel nebst Hut abnahm. Auf der Terrasse bat sie den Gast, Platz zu nehmen, der ängstlich fragte:
»Ich komme Ihnen doch nicht ungelegen, Fräulein Gortz?«
»Durchaus nicht, Fräulein von Schlössen. Ich habe Sie doch eingeladen.«
»Wofür ich Ihnen von ganzem Herzen danke. Ich hätte sonst gar nicht gewußt, wohin ich sollte. Ich bin ja so allein.«
»Jetzt nicht mehr«, versicherte Frauke, die dieses arme, verschüchterte Wesen in tiefster Seele erbarmte. »Entschuldigen Sie mich bitte einen Augenblick.«
»Nehmen Sie auch den Hund mit?«
»Wenn er Sie geniert, selbstverständlich. Komm, Ajax!«
Willig folgte er ihr zur Küche, wo Hulda und Ortrun mit der Vorbereitung des Abendessens beschäftigt waren. Eine hielt eine Schüssel mit geschlagenen Eiern in der Hand, die andere eine Kanne mit Milch, was Frauke bei der Nachricht, die sie übermitteln wollte, denn doch zu gefährlich schien. Daher sagte sie leise:
»Stellt mal die Sachen auf den Tisch, damit sie euch nicht vor Überraschung aus den Händen fallen. So, nun will ich euch schnell was sagen, dann muß ich wieder zu unserm Gast zurück. Und dieser Gast heißt Jadwiga von Schlössen.«
»Na, das ist mal eine Überraschung!«
»Aber noch nicht die größte, Hulda. Besinnst du dich auf die altmodische Dame im D-Zug? Die ist mit unserm Gast identisch.«
»Gott in deine Hände!« sagte Hulda verblüfft. »Ist doch bloß gut, daß du mich vorher warntest. Ich hätte bestimmt die Schüssel fallenlassen.«
»Und ich den Topf«, lachte Ortrun. »Frauke, was werden wir bloß mit dem komischen Kruckchen anfangen?«
»Nett zu ihr sein, sie ist ja so arg verschüchtert. Ich muß jetzt gehen. Vergiß nicht, ein Gedeck mehr aufzulegen, Ortrun.«
Sie eilte zu Jadwiga zurück, nahm Platz und sagte munter:
»So, nun stehe ich Ihnen zur Verfügung, Fräulein von Schlössen. Gefällt es Ihnen hier?«
»Sehr. Es ist hier alles so harmonisch, so friedlich, so wie in Sonne getaucht.«
»Jetzt ja«, nickte Frauke und erzählte dann, wie düster und unwirtlich es vorher gewesen war. Sie hatte ihren Bericht gerade beendet, als Ortrun erschien und von Jadwiga überrascht gemustert wurde.
»Dieser jungen Dame bin ich doch auch im Zug damals begegnet.«
»Sie gehört ja auch zu mir«, erklärte Frauke und übernahm die Vorstellung. Dann ging man ins Speisezimmer, wo bereits das Abendessen stand. Rührei mit Schinken, Aufschnitt, Butter, Käse, Brot und Milch.
»Nun greifen Sie tüchtig zu, Fräulein von Schlössen«, forderte Frauke auf, nachdem man am Tisch Platz genommen hatte. »Wir sind Landbewohner, die nicht nippen, sondern essen, bis sie satt sind. Wenn Sie Milch nicht mögen, können Sie auch ein anderes Getränk bekommen.«
»Nein, danke, ich trinke Milch gern. Dann möchte ich Ihnen keine Umstände machen und Ihnen damit zur Last fallen. Ich will auch nicht lange bleiben.«
»Darüber sprechen wir später«, winkte Frauke ab und bemerkte dann mit Genugtuung, wie gut es dem Gast schmeckte. Warum, das sollten die beiden Mädchen erfahren, als man später in der Bibliothek bei einem Glas Wein saß.
»Sie werden sich über meinen Appetit gewundert haben«, sagte Jadwiga verlegen. »Aber ich hatte seit dem Frühstück nichts mehr gegessen. Bin dann in der Stadt herumgelaufen, um ein möbliertes Zimmer zu finden. Aber erstens sind sie rar und dann für meine Verhältnisse zu teuer. Ich kam nun her, um Sie zu fragen, ob Sie vielleicht jemand im Dorf wüßten, bei dem ich unterkommen könnte.«
»Da werden Sie gewiß sehr enttäuscht sein, daß wir Ihnen keine Auskunft geben können«, bedauerte Frauke. »Wir sind auch erst von Mitte März hier und so gar nicht mit den Verhältnissen im Dorf vertraut. Nur so viel wissen wir, daß vom Frühsommer bis Herbst Feriengäste herkommen, die zum Teil Privatquartier beziehen müssen, weil die Hotels und Gasthäuser überfüllt sind. Also werden die möblierten Zimmer nicht nur knapp, sondern auch sehr teuer sein, wenigstens während der Saison.«
»Dann weiß ich nicht, was ich machen soll«, sagte Jadwiga niedergeschlagen. »Aus dem Stift, das sechs Jahre mein Zuhause war, mußte ich fort, weil es aufgelöst wurde. Und irgendwo muß ich doch bleiben.«
»Natürlich müssen Sie das«, sagte Frauke herzlich. »Und zwar bei uns. Wir haben noch ein Zimmer frei, das wir Ihnen gern zur Verfügung stellen. Wenn es Ihnen zusagt, können Sie so lange darin wohnen, bis Sie eine andere Unterkunft gefunden haben.«
»Wenn es mir zusagt«, murmelte Jadwiga. »Mir sagt jedes Zimmer zu, auch wenn es noch so primitiv wäre. Wochenlang suche ich schon danach, bin deshalb in Städten und Dörfern gewesen, doch mich wollte keiner haben. Und nun komme ich hierher und finde Menschen. Daß es überhaupt solche gibt, das läßt mich wieder an einen Herrgott glauben.«
Es war so erschütternd gesagt, daß den beiden Mädchen die Tränen in die Augen stiegen.