Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри

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Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen &  Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - О. Генри

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herum, hebt leinene Überzüge auf, und die verärgerten Gesichter klären sich auf. Die Prinzessin, wie sie unter den Leuten immer noch genannt wird, liebt jeder. Und nun gibt sie wohl Befehle. »Sie regiert da unten, wie wenn sie in ihrem Eigentum wäre,« denkt die Fürstin. Sie selbst hat zwar dem Chaos zugesehen, ohne daß etwas anderes in ihr aufgestiegen wäre als ein hilfloser Zorn.

      »Aber diese Rosmarie soll sich doch nicht einbilden, daß ihr hier alles zustehe.«

      Rosmarie kann die Fürstin nicht sehen, es steht ein hoher Spiegel neben ihr, der blendet. Sie denkt auch gar nicht daran, sie ist so unbekümmert fröhlich in der Kinderheimat, umgeben von den Menschen, von denen sie die meisten kennt, so lange sie denken kann.

      Der Fürstin Augen werden ganz starr vom Hinuntersehen, Das Rad hat sich immer noch nicht herumgedreht. Nein, es geht seinen schweren polternden Gang über ihr eigenes Herz weiter. Sie empfindet dunkel, daß auch mit dem Verkauf von Palais Brauneck Rosmarie irgendwie zusammenhängt. Dem Fürsten kann es unmöglich so sehr um das Geldgeschäft zu tun gewesen sein. Es muß noch irgendein anderes Motiv haben! Und bei der Frau da unten in dem grauen Samtkleid wird es zu suchen sein. Sie könnte ihr jetzt entgegentreten und ihr zurufen: »Du weißt, warum das sein mußte,« und würde die Antwort in den grauen Augen lesen.

      Es kommt der Fürst herunter und küßt seiner Tochter die Hand, und sie beraten zusammen. Wie wenn sie selbst schon gar nicht mehr vorhanden wäre. Und Rosmarie lacht. Was sie spricht, kann sie nicht verstehen, doch sie sprechen von ihr, sie meint ihren Namen zu hören, sie lachen beide.

      Es ist solch eine ganz kleine Ursache, ein kleines Unrecht, das sie da unten tun oder nicht tun. Aber die Fürstin hat eine frische Wunde empfangen, nur ein Stäubchen da hinein, – man weiß ja, wie leicht Wunden sich vergiften.

      Rosmarie und ihr Vater sind längst verschwunden, die Fürstin steht noch immer da, der Sonnenglanz weicht vom Hofe, und ein grauer Schatten fällt herein. Sie schaudert zusammen und geht langsam in ihr Zimmer. Und schließt sich ein. Sie hat einen Gedanken aufgelesen da draußen, mit dem sie spielt. Aber schon das Spiel macht warm. Es könnte sich einmal umdrehen, das Rad. Mit seinen eigenen Händen könnte man in die Speichen fallen und umdrehen, daß sein polternder Gang über andere Herzen ginge.

      Es ist, wie wenn man in einer Eishöhle ein ganz kleines Feuer anzündet. Es ist keine Gefahr, daß die Eishöhle davon schmelze –, aber es ist doch ein roter Punkt da, auf den man sehen und sich heimlich das erstarrte Herz wärmen kann. Und sie starrt auf das kleine Feuer. Es blendet sie fast. So viel Wärme ist in dem kleinen Punkt. Und dann fängt sie an zu zählen. Das Schuldkonto. Tief versteckt liegt Rosmaries größtes Verbrechen – dieser verbauerte Thorsteiner! Und doch, ohne Herzklopfen kann sie seinen stolzen Kopf nicht auftauchen sehen. Und wenn er auf seinem großen Rappen ihr schon zuweilen am Morgen begegnet ist im Walde, sein altes Filzhütchen auf dem Kopfe, in den ehrwürdigsten, vom Vater geerbten ledernen Reithosen, so war immer ein stürmisches Entzücken über sie gekommen. Sie war für jeden etwas freundlichen Gruß dankbar gewesen, für jeden Blick der sonnenhaften Augen... Tief unten muß das liegen bleiben, und es ist besser, die Liste zu vollenden. Nun kommt Rosmarie und nimmt auch von Brauneck Besitz. Den Ring trägt sie schon, sie hat auch keine Zeit gefunden, ihn lösen zu lassen. Ihr Bild wird im Saal hängen. Warum ist das Berliner Haus verkauft worden? Nun verteilt sie den Raub und lacht. Ja, sie lacht, über ihrer Mutter ohnmächtigen Schmerz und Zorn. Die Fürstin hat einen kleinen goldenen Bleistift von ihrer Uhr genommen und macht Striche auf einen weißen Marmorblock. Immer neue Striche. Und dann starrt sie wieder auf das kleine Feuer in der Eishöhle und wärmt sich daran und an den Bildern, die darauf aufsteigen.

      Es ist ja nur ein Spiel, daß sie nicht ganz einfriert in ihrem Altenteil.

      Der kleine Heinz ist längst aus seinem Korb und in die bunte Welt hinausgekrabbelt. Er macht Versuche, auf wackelnden Beinen zu stehen, was ihm einen warnenden väterlichen Pfiff einträgt. Er hat hellblaue Augen und einen entschiedenen Sinn für Humor. Der äußert sich noch etwas unbeholfen und gröblich, aber er wird sich schon verfeinern, hofft sein Vater.

      Er ist beinahe mehr ein Vater- als ein Mutterkind. Als der große Kampf mit ihm begonnen und ihm sein köstlicher Labetrunk entzogen wurde und er selbst mit kläglichem Geschrei und energischem Fortstoßen der Flasche seinen Willen nicht hatte durchsetzen können, und als ihm einmal die Wohltat einiger energischer Klapse auf seine wohlgepolsterte Hinterseite wurde, da neigte sich die Wagschale auf Vaters Seite. Er lachte, wenn seine Mutter sich über ihn beugte, er kreischte und stengelte mit Armen und Füßen, wenn sein Vater kam. Das erste Wort, das er sagte, das sich durch seinen bewußten Klang von seinen andern Sprachübungen unterschied, war: Alo. Bald war es ganz deutlich, wen er damit meinte. Rosmarie trug ihn einmal auf den Armen und ließ ihn zum Fenster hinaussehen. Da kam der Vater auf seinem Rappen in den Hof geritten. Das kleine Gesicht verzog sich in fast schwärmerischen Entzücken. »Alo, Alo,« rief er und fing dann kläglich an zu weinen. Seine Seele tat den ersten Flügelschlag, und das war schmerzlich für das kleine Lebewesen.

      Dieser Tag wurde gefeiert und als Fest im Kalender bezeichnet. Auch ließ sich der Kleine durch kein Vorsagen oder sonstige Mittel, auch durch seine wachsende Sprachfertigkeit nicht, bewegen, den Namen zu ändern. Er zeigte darin, wie Harro erklärte, das Erbteil der mütterlichen Hartnäckigkeit. Noch hatte ihn fast keine Hand als die seiner Eltern berührt.

      »Nur so können wir ihn ganz kennen lernen, Rosmarie, wenn wir ihn immer um uns haben und ihm das Opfer an Zeit und Behagen bringen. Denke daran, was der Jammer deiner Kindheit war, daß dich bezahlte und beständig wechselnde Menschen umgaben, die dich von deinem Vater fern hielten. Wir sehen ihn in all seinen Zuständen und nicht nur, wenn er uns wohldressiert und gerade in guter Laune vorgeführt wird. Und ich habe mir eine ausgezeichnete Kenntnis des Kinderkörpers erworben, was mir sehr not tat, und obgleich dein Sohn kein raffaelischer Engel ist.«

      Harro hat dicke Skizzenbücher voll mit wenig Strichen hingeworfener Zeichnungen von liegenden, krabbelnden, badenden, schreienden, schlafenden Heinz Friedrichs.

      Und Rosmarie wünscht sich gar kein anderes Dasein. Auch daß ihr Kind den Vater bevorzugt, findet sie nur gerechtfertigt. Ich hätte es gerade so gemacht, denkt sie. Und sie weiß ja ganz gut, daß ihr auch ein Teil der kleinen Seele gehört, nur ein anderer. Harro gehört der lebhafte, unternehmende, lustige, wilde Heinz; ihr gehört er, wenn es ihn anwandelt, daß er mit großen blauen Augen in irgendeine Herrlichkeit hineinstaunen muß. Dann hat er ein Engelsgesichtchen, was man sonst von seinen schon recht kräftigen Zügen durchaus nicht sagen kann. Auch seine Schmerzen, und es gehen viel Wolken an einem Tag über die empfindliche Kinderseele, selbst in der denkbar glücklichsten Umgebung, bringt er zu Mama. Im Atelier hat er sein Ställchen, wo sein stets zusammengeballter Teppich und seine geliebten Filzbären sind, und nachts schläft er neben Vaters Bett. Ist er in aller Morgenfrühe nicht mehr zu bändigen, so wird er hinausgetragen – Mama schläft noch – und gewaschen und angezogen und kommt dann ins Ställchen. Seine Badezeit muß sehr weise ausgewählt werden, denn nachher beglückt er seine Eltern mit einem längeren Schlafe. Abends hat er seine Eltern so reichlich getummelt, daß sein Verschwinden in dem weißen Gitterbettchen mit einem Seufzer der Erleichterung begrüßt wird.

      »So geht es auch nicht weiter, Rosmarie, er wird lernen, auch zwei Minuten hintereinander ohne uns auszukommen. Aber es ist jetzt die Zeit, wo er in seinem ganzen Leben am intensivsten lernt. Innerhalb eines Jahres lernt er eine Sprache, von allen Gefühlen kommt ein Hauch über sein Herz.

      Mit dem Ende des zweiten Jahres ist sein kleines Weltbild fertig, er kann sich davon absondern, davor hinstellen und sagen: Ich.«

      Der Winter fliegt ihnen nur so dahin im Goldhaus. Harro modelliert in Wachs, das er tönen will, die Maria aus der alten Krippe, die ihr Haar als Wiegenvorhang über ihr Kind hält, in halber Lebensgröße nach Rosmarie und dem schlafenden Heinz. Und er malt eine Sommerwiese mit einem sich darauf tummelnden Engelreigen.

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