Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри

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Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen &  Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - О. Генри

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Rose schwieg, und er war froh, daß sie nicht weiter darüber sprach.

      Für den Park hatte man einen ganz leichten Wagen mit einem Pony bespannt, damit konnte man fast alle Wege fahren, nur mußte man stets auf die Nordseite zurückkehren, weil nach Süden Terrassen mit ihren Steintreppen lagen.

      Harro nahm die Zügel über den Arm und schritt nebenher. Wie eine blasse Königin saß sie in ihren Kissen, ein blauer Samtkragen um ihre Schultern. Der gut gezogene Pony ging in langsamem Schritt und blieb sofort stehen, wenn man es verlangte. Es war noch gar kein Frost gekommen, trotzdem es Ende Oktober war, und die Blumenbeete standen noch in üppiger Fülle. Auf der Rosenterrasse blühten noch die Rosen, zwischen den Spalieren, die die alten Mauern bis oben verdeckten, glühten die Kapuziner in reicher Pracht. Und ein Duft von Herbstveilchen erfüllte die Luft...

      Sie schwiegen beide, und doch redeten ihre Seelen miteinander. Dort auf die Steinplatten, die die Mauerkrönung bildeten, hatte der Ruinengraf einst das Seelchen gestellt und an seiner Hand nun plötzlich zu seiner Augenhöhe emporgehoben, hatte sie den wundervollen schwindligen Gang machen dürfen, wobei man sich einbilden konnte, man könne unmittelbar in das Tal hinunterfallen bis zu dem Silberfluß. Dort an jener Stelle, wo die steile Steintreppe mit ihrem Efeugeranke zur Brücke hinaufführte, hatte das Seelchen am Abend ihrer Konfirmation Abschied genommen von dem Freund.

      Ihre Augen treffen sich und sie lächelt. Nein, sie wird nicht ohne ihren Harro zu den seligen Gärten kommen... nun ist es fest und stark im Feuer der Trübsal geglüht und gehämmert, das goldene Band. Der Winterwald taucht vor ihr auf, das goldene Tor, die himmlischen Rosenkränze. Geht er nicht sehr schnell, der Pony? Man muß ein wenig halten. So schnell wie das alles vorübergeht. Hielt sie nicht eben noch die Hand des fremden Mannes in ihrer Kinderhand, und in unendlicher Ferne lag das goldene Tor... und nun ist sie schon so nahe... O du schöne geliebte Heimaterde, du silberner Fluß im Tal, ihr goldroten Waldberge, du altes Mauerwerk, du Kapellenturm dort über der Efeuwand. –

      Sehr blaß ist die Rose, es ist keine Rose so blaß in ihres Vaters Garten. »Rose,« seufzte er... »Es hat dich zu müde gemacht ... all die Menschen... und nun müssen wir die Runde machen. Bis zum Mauerpförtchen, und dann trag ich dich die äußere Treppe zum Lindenstamm hinauf.«

      Von der Brüstung unter der Sonnenuhr herab hört man den kleinen Heinz lachen. »Soll ich ihn dir holen, Rose?«

      Sie schüttelt. »Nein, Harro, er ist so froh; du mußt ihn bald auch auf die Steinplatten heben, daß er da so groß wird und meint, er fliege über dem Tal... wir wollen weiter, Harro.«

      Es kommt der Rebengang, auf den die Sonne nun nicht mehr die schönen blanken Flecken wirft, er ist schon fast kahl, nur einzelne glutrote Blätter hängen noch daran. Und nun kommt der tiefe Kastanienschatten unter dem Lindenstamm. Da liegt der Boden voll goldener Blätter und immer neue senken sich in sanften Kreisen herab wie große müde Falter. Und nun wendet sich der Weg nach Norden, wo der Wald bis fast zu den Schloßmauern heransteigt. Dort die Buche ist ein flammender Goldberg zwischen den dunkeln Tannen. Es senkt sich ein smaragdgrüner Rasen den Berg hinab, der noch beperlt ist vom Tau, der rote Turm hat hier seinen trotzigen Fuß in den Felsen gestemmt, aus dem er herauswächst, die Blume des Steins. Sein Helmbusch schneidet in den tiefblauen Himmel, und die Dohlen und Krähen umfliegen ihn, er hütet seine Geheimnisse. Überall rauschen und knistern die Blätter herab.

      Dort blüht noch ein fremdes Wunderbäumchen im rosa Federschmuck. Die Rose deutet mit der Hand dahin: »Das liebe Bäumchen tut, als wäre nicht Sterbenszeit, und schmückt sich wie zum Feste. Du liebes Bäumchen, gib mir doch einen Zweig von dir.«

      Er schneidet ihr eine der feinen rosa Ruten ab und sie hält die in ihren schmalen weißen Händen... und drückt ihre blassen Lippen auf die Blüten. Plötzlich lächelt sie fein und eigen.

      »Was ist's Rose,« fragt er. »Woran denkst du?«

      »An die alten Braunecker, und wie die ihre Heimat so lieben, daß sie die himmlischen Gärten verlassen mögen und gerne hier an den alten Mauern hinstreichen. Als ich ein Kind war, sah ich ja manchen von ihnen ... Harro, ich glaube, die alte Erde, die blut- und tränenbefleckte, sie hält ihre Kinder doch fest.«

      »Für mich ist diese Erde schön genug, ich sehe mich ja erst in sie hinein,« sagte Harro. »Jeder Frühling ist schöner als der letzte, jeder Herbst ist goldener. War es je so schön wie heute, hast du je solche Glut der Farben, solche blauduftige Ferne, solche smaragdenen Wiesenflächen gesehen? Mir hat es die Gottheit schön genug gemacht und ich begehre nichts Besseres. Und nun komm, Liebste, von hier an trage ich dich...«

      Er nahm sie auf seine Arme und gab dem Pony einen kleinen Schlag: das wohlgezogene Tier würde allein in seinen Stall trotten.

      »Bin ich denn nicht zu schwer für dich, den ganzen Weg, Harro?«

      »Wenn du deinen Arm um meinen Hals legen kannst, so trage ich dich bis zum Thorstein, wenn du wolltest. Du bist leichter geworden, Rose...«

      »Nun, dann drück ich dich nicht schwer, Harro; es war doch bedenklich, daß du mich gleich an jenem Weihnachtsabend auf den Arm nehmen mußtest, was hast du mich schleppen müssen!«

      Er sah auf sie herab, wie er mit ihr den schmalen steilen Weg zwischen den dunkeln Riesentannen hinschritt, der zum Mauerpförtchen führte. Da gähnt die finstere Höhlung, einen Augenblick stehen sie noch davor unter den dunkeln Stämmen, dann verschlingt sie das Dunkel und der Park sieht sie nicht mehr.

      »Sag etwas ganz Schönes und Liebes, Rose,« flüsterte er, »daß ich fühle, wie du weißt, wie gerne ich dich getragen habe. Weißt du es?«

      »Doch, ich weiß es, Harro, du hast mich getragen wie der Riese Christoph im Dom zu Erfurt das Christkind. Ist das nun recht?«

      Er lächelt. »Ich wußte, du findest immer das Schönste.«

      Und nun legt er sie auf ihren Stuhl unter der goldenen Linde auf dem Lindenstamm.

      »Es ist noch so schön warm, Rose. Es wird dir so wohl tun, wenn du hier ruhen kannst.«

      Er bettet sie in ihre vielfarbigen Kissen und zieht die leichte Seide um ihre schlanke Gestalt zurecht. Dabei berühren seine Hände ihre Füße in den zarten offenen Goldschuhen. »Kalt, Rose, bist du, ich hole dir eine Decke.«

      »Nein, Lieber, du weißt nicht, wie das drückt, so schwer.«

      »Rose, sie sind aber kalt, eiskalt, deine Füße.«

      »Ach, laß sie kalt sein, sie schmerzen doch nicht mehr.«

      »Taten sie das? Deine armen geliebten Füße.«

      »Ja,« sagt sie fast feierlich, »die haben auch gelitten. Nun geben sie Ruhe. Laß sie mir. Daß sie nicht wieder anfangen.« So muß er sie lassen. Sie sieht aus, als wolle sie einschlafen: er denkt, wenn sie schläft, werde ich sie zudecken.

      »Ich bin müde, Harro... So müde, und du nimmst mich in deinen Arm. Ach sieh, da kommen die schönen Blätter.« Sie sieht lächelnd hinauf zu ihrer Linde. Wie die Blätter sich lösen und drehen und herabgleiten in der stillen Luft und auf ihr glänzendes Gewand fallen. »Ganz schläfrig wird man bei dem Zusehen.«

      Und wie schön hält er sie in seinem Arm. »Wie ruhig ist sie nun,« denkt er, »und dieser fürchterliche Sturm heute nacht. Und das wird ja wieder kommen, es muß, wieder und wieder, bis die letzte Kraft erschöpft ist. Allmählich wird er lernen, ruhig daneben zu stehen und vielleicht stumpft er

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