Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри
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Читать онлайн книгу Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - О. Генри страница 41
»Sie haben mir immer sehr viel Freude gemacht, Rosmarie,« beginnt der Herr Stiftsprediger. »Sie konnten nicht nur verstehen, was wir durchgenommen haben, sondern selbständig umdenken und mit Ihren eigenen Worten wiedergeben. Ich bin da manchmal überrascht gewesen. Namentlich auch darin, daß Sie, was bei Mädchen seltener vorkommt, keiner Schwierigkeit aus dem Wege gegangen sind, sondern diese immer noch ein Stück weiter verfolgt haben, als ich mit den andern Kindern schon tun konnte. In letzter Zeit habe ich bemerkt, daß Sie etwas bedrückt hat. Ich habe auch Ihrer gütigen Erzieherin, der Sie so viel verdanken, gesagt, daß ich gerne noch irgend welche Fragen Ihnen beantworten würde, wenn es in meiner Macht steht. Wir großen Leute haben auch nicht alle Fragen gelöst, Rosmarie.«
Er lächelte ein wenig und sah auf seine Hände herab und saß freundlich zuwartend da, ob Rosmarie nun Mut finden würde, ein Wort zu sagen. Aber sie schweigt. Da sagt er ohne aufzusehen: »Macht Ihnen Ihr Gelübde Schwierigkeiten?«
»O Herr Stiftsprediger, ich kann es nicht, ich kann es nicht ... ich bin still gewesen, wenn die andern Kinder es lernten.«
»Es sind alte Formen, Rosmarie. Es bekümmert mich oft selbst, daß unsere Kirche keine neuen Formen für diese so wichtige Sache findet oder gestattet. Es ist eine längst vergangene Zeit und keine der großen religiösen Zeiten unseres Volkes gewesen, die sie geschaffen hat. Ich habe Ihnen oft zu sagen versucht, wie jede Zeit ihre besondere Gotteserkenntnis hat, daß Formen immer viel länger leben als die mit ihnen verbundenen Anschauungen. Aber das ist es nicht, was Sie jetzt brauchen. Ich sehe, daß Sie dies alles sehr angreift, weinen Sie nicht, Rosmarie, wir wollen es so machen. Ich weiß, daß Sie Ihre Gedanken ganz gut schriftlich ausdrücken können. Schreiben Sie mir auf, was Sie selbst von Herzen glauben gelernt haben, in so wenig Worten wie möglich, Sie sollen ganz Freiheit haben. Schreiben Sie mir auf, was Sie auch vor Menschen bekennen würden, wenn Sie es müßten. Wollen Sie es gleich jetzt tun, so will ich warten, ich habe Zeit, und Sie können mich vielleicht doch noch um etwas fragen ... oder wollen Sie es mir schicken?«
»Ich will es lieber gleich jetzt schreiben, ich habe mich besonnen.«
Rosmarie stand auf und holte sich aus ihrer grünen Ledermappe einen Briefbogen, von den neuen, auf denen zum erstenmal eine Krone gedruckt war, und schrieb scheinbar ohne jedes Besinnen, als schreibe sie etwas ab. – Ach, sie hatte alles so oft bedacht in den letzten Tagen und Nächten und damit gerungen und sich abgequält. –
»Ich glaube an Gott, der die Welt geschaffen mit allen Erden, Sonnen, Sternen und Menschen. Ich möchte ihm danken, daß er die Erde so schön gemacht, grüne Wälder und das starke Himmelblau darauf, blanke Wasser und liebste Bäume und den Wind, der sie streichelt. Gott hat auch gemacht die feuerspeienden Berge, die wilden Stürme, den bittern Tod, die Einsamkeit, die Qual. – Damit wir ihm auch dafür danken können, hat er uns Jesus gesandt in die Welt und hat Jesus kennen lassen die Qual, die Einsamkeit, den bittern Tod. Ihm möchte ich dienen, so wie ich ihn liebe, und mein Herz ist nur traurig, weil ich ihn immer noch nicht genug liebe.«
Sie schaute zögernd auf, soll ich noch mehr schreiben? –
»Nein.«
Sie schiebt das Blatt ihrem Lehrer hin, der es nimmt und damit ans Fenster tritt. Der Wolkenschatten hat das Gemach wieder so verdüstert, oder er will nicht gesehen werden, wenn er es liest. Dann wendet er sich:
»Ich kenne ja Ihre Gedanken und sehe aufs neue, wie Sie darin leben. Sollte Ihnen wirklich die alte Form Schwierigkeit machen?«
»Es ist noch etwas dabei ... Ich will es aufschreiben, – oh, ich kann's nicht sagen.«
Sie nahm das Blatt wieder und schrieb darauf mit großen zitternden Buchstaben: »Ich will nicht in den Himmel kommen, ich will bei denen bleiben, die draußen sind in der Dunkelheit.«
Dann gab sie es wieder zurück und verbarg ihr Gesicht in ihre Hände und legte ihren jungen goldenen Kopf auf den Tisch mit seiner grünen Decke, und die zarten Schultern zuckten leise. Der Herr Stiftsprediger legte ihr sanft die Hand auf die Achsel: »Liebes Kind, trauen Sie sich selbst mehr Erbarmen zu als Gott? Wer sind die, die draußen stehen? – Meinen Sie, Gott verstünde nicht allerhand Gebräuche, Sprachen und Wesen der Menschen? Denken Sie denn, er schlösse seine Himmelstüre zu vor irgendeiner sehnenden Seele, oder verlangt irgendein Gelübde oder eine bestimmte Denkungsweise? Und kann ein Mensch vom andern seine tiefsten Geheimnisse wissen? Ist nicht, solange ein Mensch auf Erden geht, Hoffnung vorhanden, daß er sich eines Tages aufmacht und wie der verlorene Sohn zu seinem Vater zurückkehrt! Und selbst, wenn ein Mensch in unseren Augen verloren erscheint, was wissen wir, wie Gott ihn ansieht?«
Rosmarie hob ihr Antlitz auf, noch lagen Tränen auf ihren Wangen, aber ihre grauen Augen leuchteten in fast erschreckendem Glanze. Sie ergriff die Hand ihres Lehrers:
»Ich möchte konfirmiert werden! Ich lerne gewiß immer mehr lieben, und wenn Gott alles so gut versteht ... Oh, ich danke Ihnen, ich danke Ihnen!«
»Rosmarie, Gott wird Sie noch zum Segen machen für dieses Haus, wenn Sie treu bleiben.«
Und der Herr Stiftsprediger ging mit seinen langen, raschen Schritten zur Tür. Aber Rosmarie ging ihm nach.
»Oh, Sie wissen gar nicht, was für ein hartnäckiges Kind ich bin.«
»Und ich hoffe, daß Sie in einigen wichtigen Dingen auch hartnäckig bleiben werden.«
Und damit eilt er hinaus. Es eilte ihm aber durchaus nicht mehr, als er den langen Prinzessinnengang hinter sich hatte. Er blieb neben einer der Säulen stehen, die die steingehauenen Galerien tragen, die den Schloßhof umgehen. Er sah hinunter in den Turnierhof. Da sproßte zwischen der alten Pflasterung hie und da ein Grashalm, es jagten die Wolkenschatten darüber, daß die grauen Steine einmal goldig aufleuchteten, bald wieder düster und wettergrün blickten. Es war, als spräche er zu einer der grauen Säulen: »Hat es wohl hier schon einmal ein so schönes Herz gegeben, oder seid ihr darum immer noch eine liebe und geliebte Heimat, weil solche Herzen hier in Zeiten gewachsen sind?« – – –
Rosmarie begrüßt ihre Eltern errötend und glückselig unter dem Portal. Sogar Mama umarmt sie mit so viel Freude und Innigkeit, daß die Fürstin ganz erstaunt ist.
»Gott, wie zärtlich, Rosmarie, das bin ich ja gar nicht gewöhnt.« Und sie ist sehr gnädig und macht gar keine Einwendungen, als die Feier besprochen wird. Rosmarie darf jeder ihrer Mitkonfirmandinnen ein kleines goldenes Medaillon an goldener Kette schenken mit ihrem Namenszug. Zu dem Diner soll nur der Herr Stiftsprediger und der Thorsteiner eingeladen werden. Der Thorsteiner wird ja den ganzen Sommer abwesend sein, so ist das auch ein Abschied. Sie sind beim Essen, wie das beredet wird. Die Fürstin hatte eine Rose aus der vor ihr stehenden Kristallvase gezogen und hielt sie dann wie probend an den Ausschnitt ihres lachsfarbenen Kleides. Und nun schaut sie plötzlich auf Rosmaries blasses Gesicht und ihren zuckenden Mund, sie lächelt ein wenig und nestelt die Blume in ihren Spitzen fest.
»Der Ruinengraf in Paris! Ein unvollziehbarer Gedanke. Nun, ich mag es ihm gönnen nach seiner langen Waldmenschenzeit. Ich möchte ihn sehen, wie er sich in Paris amüsiert. Warum runzelst du die Stirne, Fried, oder wäre es wohl unpassend zu sehen, wie er sich amüsiert? Gott, es ist ihm zu gönnen. Er ist doch ein Künstler. Und hat so lange gelebt wie ein Säulenheiliger.«
Rosmaries Wangen werden wieder rot, irgend etwas in Mamas Worten macht sie zornig. Sie sagt:
»Harro