Gesammelte Weihnachtsmärchen für Kinder (Illustriert). Walter Benjamin

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Gesammelte Weihnachtsmärchen für Kinder (Illustriert) - Walter  Benjamin

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Stube, Ihr habt schon lange das Recht der Niederlassung dort, das wißt Ihr; und die beiden anderen sind auch keine Unbekannten. Wartet, bis ich die Ladentür geschlossen habe. Wie sie knarrt! Ich glaube, es gibt kein so rostiges Stück Eisen im ganzen Laden, wie die Türangeln; und ich weiß, es gibt keine so alten Knochen hier, wie meine. Hihi, wir passen alle zu unserem Geschäft. Kommt in die gute Stube.«

      Die gute Stube war der Raum hinter dem Lumpenvorhang. Der Alte scharrte das Feuer mit einem alten Jalousiestabe, rückte den Docht seiner rauchigen Lampe (denn es war am Abend) mit dem Stiel seiner Pfeife empor und steckte diese wieder in den Mund.

      Indessen er damit beschäftigt war, warf die zuerst eingetretene Frau ihr Bündel auf den Boden und setzte sich mit koketter Dreistigkeit auf einen Stuhl, dann legte sie die Hände auf die Knie und blickte die beiden anderen herausfordernd an.

      »Nun, was gibt es hier für einen Unterschied, Mrs. Dilber? Jeder hat das Recht, für sich zu sorgen. Er tat dies auch immer.«

      »Das ist richtig«, sagte die Wärterin. »Keiner tat es mehr.«

      »Nun, warum schaut ihr euch da einander an, als hättet ihr gegenseitig Furcht? Wer ist der Gescheitere? Wir wollen doch einander nicht die Augen aushacken, meine ich!«

      »Nein, sicherlich nicht«, sagten Mrs. Dilber und der Mann gleichzeitig. »Wir wollen das nicht hoffen.«

      »Also schön«, rief die Frau, »das genügt. Wem schadet’s, wenn wir so ein paar Sachen mitnehmen, wie die hier? Einer Leiche gewiß nicht!«

      »Nein, gewiß nicht«, meinte Mrs. Dilber lachend.

      »Wenn er sie, wie ein alter Geizhals, noch nach dem Tode behalten wollte», fuhr die Frau fort, »warum benahm er sich bei Lebzeiten nicht besser? Wenn er sich anders aufgeführt hätte, würde jemand um ihn gewesen sein, als er starb, statt daß er allein seinen letzten Atem aushauchen mußte.«

      »Dies ist das wahrste Wort, was je gesprochen worden«, versetzte Mrs. Dilber.

      »Es ist ein Gottesurteil.«

      »Ich wollte, es wäre ein bißchen schwerer ausgefallen«, sagte die Frau, »und das wäre auch der Fall gewesen, verlaßt euch drauf, wenn ich mehr hätte erhaschen können. Mach das Bündel auf, Joe, und sag mir, was es wert ist. Sprich offen. Ich fürchte mich nicht, die erste zu sein, noch es die andern sehen zu lassen. Wir wußten recht wohl, daß wir Sorge hatten, bevor wir uns hier trafen. Aber es ist keine Sünde. Öffne das Bündel, Joe.«

      Aber die Höflichkeit ihrer Freunde wollte das nicht gestatten, und der Mann in dem zerschlissenen schwarzen Rock brachte seine Beute zuerst. Es war nicht viel daran. Ein oder zwei Uhranhängsel, ein silberner Bleistift, ein paar Hemdenknöpfe und eine Schlipsnadel von geringem Wert war alles. Sie wurden von dem alten Joe untersucht und taxiert, worauf er die Summe, die er für jedes bezahlen wollte, an die Wand schrieb und zusammenrechnete, als er sah, daß sie alles hergegeben hatten.

      »Das ist Eure Rechnung«, sagte Joe, »und ich gebe keinen Heller mehr, und wenn ich in Stücke gehauen werden sollte. Wer kommt jetzt?«

      Mrs. Dilber war die nächste. Sie hatte Bett-und Handtücher, einige Kleidungsstücke, zwei altmodische silberne Teelöffel, eine Zuckerzange und einige Paar Stiefel. Ihre Rechnung wurde auf die gleiche Art an die Wand geschrieben.

      »Daneben gebe ich immer zuviel. Das ist meine Schwäche, und ich richte mich damit zugrunde«, sagte der alte Joe. »Das ist Eure Rechnung. Wenn Ihr einen Pfennig mehr haben wolltet, so würde ich es bedauern, derart freigebig gewesen zu sein, und ich müßte eine halbe Krone in Abzug bringen.«

      »Und nun öffne mein Bündel, Joe«, sagte die erste.

      Joe kniete nieder, um bequemer das Bündel öffnen zu können, und nachdem er eine Menge Knoten gelöst hatte, zog er eine große und schwere Rolle dunkeln Tuchs hervor.

      »Was ist das?« fragte Joe. »Bettgardinen.«

      »Ja«, rief das Weib lachend und neigte sich vor, »Bettgardinen!«

      »Ihr wollt doch nicht behaupten, Ihr hättet sie abgenommen, während er dort lag?« sagte Joe.

      »Aber freilich«, sagte das Weib. »Warum denn nicht?«

      »Ihr seid geboren, Euer Glück zu schmieden, und Ihr werdet es auch.«

      »Ich werde denn doch wirklich meine Hand nicht ruhig einstecken, wenn ich sie nur auszustrecken brauche, um etwas zu bekommen, und das wegen eines solchen Mannes, wie der war. Nein, wirklich nicht, Joe«, antwortete das Weib ruhig. »Laßt kein Öl auf die Bettdecken fallen.«

      »Seine Bettdecke?« fragte Joe.

      »Von wem soll sie sonst herrühren?« antwortete das Weib. »Er wird auch ohnedem nicht frieren, meine ich.«

      »Er starb doch nicht etwa an einer ansteckenden Krankheit?« sagte der alte Joe, seine Beschäftigung unterbrechend und sie ansehend.

      »Deswegen braucht Ihr keine Sorge zu haben«, antwortete die Frau. »Ich hatte ihn nicht so lieb, daß ich dann bei ihm geblieben wäre, bloß wegen solcher Dinge. Ach, Ihr könnt durch das Hemd gucken, bis Euch Eure Augen brennen, Ihr findet kein Loch drin und keine dünne Stelle. Es ist das beste, was er hatte, und sein ist es auch. Sie hätten es verdorben, wenn ich nicht da gewesen wäre.«

      »Was nennt Ihr: es verderben?« fragte der alte Joe.

      »Nun, ihm das Hemd für das Grab anziehen, was sonst?« versetzte die Frau lachend.

      »Es war irgendwer närrisch genug, es ihm anzuziehen. Aber ich zog es ihm wieder aus. Wenn Kattun zu so etwas nicht gut genug ist, weiß ich nicht, zu was er sonst ausreichte. Es kleidet eine Leiche ebenso gut. Er kann nicht häßlicher aussehen, als er darin aussah.«

      Scrooge hörte das Gespräch voller Grauen an. Als sie da um ihre Diebsbeute in dem kümmerlichen Schein der Lampe des Alten saßen, betrachtete er sie mit einem Ekel und Abscheu, der nicht größer hätte sein können, wenn es abscheuliche Vampire gewesen wären, die um die Leiche selbst handelten.

      »Hi, hi!« kicherte dieselbe Frau, als der alte Joe, eine alte wollene Geldbörse hervorholend, jedem den Preis des Raubes auf den Fußboden hinzählte. »Das ist das Ende von der Geschichte, seht ihr! Er jagte jeden von sich, solange er lebte, um uns zu nützen, wenn er tot war! Hi, hi, hi!«

      »Geist«, sagte Scrooge, von der Sohle bis zum Scheitel bebend. »Ich verstehe dich. Das Los dieses Unglücklichen vermöchte das meine zu sein. Mein Leben geht jetzt auf dieses Ziel zu. Barmherziger Himmel, was ist das?«

      Er prallte entsetzt zurück; denn die Szene hatte sich verwandelt, und nun stand er dicht vor einem Bette, einem einsamen, das keine Vorhänge hatte, und auf diesem Bett lag unter einer groben Decke etwas Verhülltes, das sich, obgleich es stumm war, doch in grausenerregender Sprache vorstellte.

      Das Zimmer war sehr finster, zu finster, als daß man etwas genau hätte erkennen können. Trotzdem blickte sich Scrooge, einem geheimen Drang gehorchend, voll Begier um; er wollte wissen, was für ein Zimmer es sei. Ein bleiches Licht, das von außen eindrang, fiel gerade auf das Bett, und auf diesem, ausgeplündert und beraubt, unbewacht und unbeweint, ruhte die Leiche eines Mannes.

      Scrooge blickte auf die Erscheinung. Ihre regungslose Hand wies auf das Haupt der Leiche. Die Decke war so lieblos darüber geworfen,

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