Gesammelte Weihnachtsmärchen für Kinder (Illustriert). Walter Benjamin

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Gesammelte Weihnachtsmärchen für Kinder (Illustriert) - Walter  Benjamin

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und wünschte, es zu tun; aber er hatte so wenig Macht, die Hülle fortzuziehen, als dem Geist an seiner Seite zu entgehen.

      O kalter, unbewegter, schrecklicher Tod, baue hier deinen Altar auf und umgib ihn mit den Schrecknissen, die du zur Verfügung hast, denn hier ist dein Reich! Aber dem geliebten und verehrten Haupte vermagst du kein Haar zu krümmen, ihm kannst du keine Miene entstellen. Nicht weil die Hand schwer ist und herniederfällt, wenn man sie gleiten läßt, nicht weil Herz und Puls verstummt sind, sondern weil die Hand offen war und warm und gut und der Puls menschlich. Töte, du Schemen, töte! Und sieh, wie seine guten Taten aus der Wunde des Toten hervorströmen, um ewiges Leben in der Welt zu offenbaren.

      Keine Stimme flüsterte solche Worte in Scrooges Ohren; aber trotzdem vernahm er sie, wenn er auf das Bett starrte. Er dachte, wenn dieser Mann jetzt wieder auferweckt werden könnte, was dürfte wohl sein erster Gedanke sein? Geiz, Hartherzigkeit, Gedanken der Habgier? Ein schönes Ziel hatten diese ihm erwirkt.

      Er war aufgebahrt in dem dunklen, öden Haus, und kein Mann, kein Weib oder Kind waren da, die bezeugt hätten: Er war gut gegen mich, und in jedem, und in Gedanken an das eine freundliche Wort will ich bei ihm Totenwache halten. Eine Katze kratzte an der Tür, und Ratten nagten und raschelten hinter dem Ofen. Was sie in dem Gemach des Todes suchten, und warum sie so unruhig waren, mochte Scrooge sich nicht auszumalen. –

      »Geist«, sagte er, »eine entsetzliche Stätte, wenn ich sie verlasse, werde ich ihren Namen nie vergessen, glaube mir. Laßt uns jetzt von hinnen eilen!«

      Immer noch wies der Geist mit unbewegtem Finger auf das Haupt der Leiche.

      »Ich verstehe dich«, antwortete Scrooge, »und ich würde es tun, wenn ich es vermöchte. Aber ich finde nicht die Kraft dazu, Geist. Ich finde die Kraft nicht dazu.«

      Wieder schien der Geist ihn zu durchblicken.

      »Wenn irgendeiner in der Stadt ist, der bei dieses Mannes Tod etwas empfindet«, fuhr Scrooge erschüttert fort, »so zeige ihn mir, Geist, ich bitte dich darum.«

      Da breitete die Erscheinung ihren dunklen Mantel einen Augenblick vor ihm aus wie ein Flügelpaar, und als sie ihn wieder zusammenschlug, erblickte er ein taghelles Zimmer, in dem eine Mutter mit ihren Kindern hauste.

      Sie hoffte auf das Kommen von jemandem in angstvoller Erwartung; denn sie ging im Zimmer auf und nieder, fuhr bei jedem Geräusch zusammen, blickte zum Fenster hinaus und sah nach der Uhr; sie versuchte vergebens zu arbeiten und konnte kaum das Lärmen der spielenden Kinder aushalten.

      Endlich vernahm sie das langersehnte Pochen an der Haustür und begegnete, als sie hinausschauen wollte, ihrem Gatten. Sein Gesicht war traurig und bedrückt, obgleich er noch jung war. Es zeigte einen merkwürdigen Ausdruck, eine Art ernster Freude, deren der Mann sich schämte und die nicht zu zeigen er sich bemühte.

      Er setzte sich zur Mahlzeit nieder, die man ihm warm gehalten hatte; und als die Frau ihn erst nach langem Schweigen fragte, was er für Neuigkeiten habe, schien er keine Antwort zu wissen.

      »Steht es gut oder schlecht?« fragte sie, um ihm die Auskunft zu erleichtern.

      »Schlecht«, antwortete er.

      »Wir sind ganz ruiniert?«

      »Nein, noch ist Hoffnung möglich, Karoline.«

      »Wenn er sich erbitten läßt«, rief sie erstaunt, »dann ist sie noch da! Überall ist noch Hoffnung, wenn ein solches Wunder zu erwarten ist.«

      »Es ist zu spät für ihn, Barmherzigkeit zu üben«, sagte der Gatte. »Er ist tot?«

      Sie war ein sanftes und geduldiges Wesen, wenn ihr Gesicht die Wahrheit sprach. Aber sie war im Innern dankbar, als sie dies vernahm, und sagte das auch mit gefalteten Händen. Sie bat im nächsten Augenblick allerdings den Himmel, daß er ihr verzeihen möge, und bereute es; aber das erste war die Regung ihres Herzens gewesen.

      »Was mir das halb trunkene Weib gestern abend sagte, als ich ihn sprechen und um eine Woche Aufschub bitten wollte, und was ich nur für eine bloße Ausrede hielt, um mich abzufertigen, zeigt sich jetzt als die reine Wahrheit. Er war nicht nur sehr krank, sondern lag schon im Sterben.«

      »Auf wen wird unsere Schuld übertragen werden?«

      »Ich weiß es nicht. Aber bis dahin werden wir das Geld haben; und selbst, wenn es nicht der Fall sein sollte, müßte es ein ganz besonderes Unglück sein, in seinem Erben einem ebenso unbarmherzigen Gläubiger zu begegnen. Wir können heute nacht leichteren Herzens schlafen, Karoline.«

      Ja, sie mochten es zu vertuschen suchen, ihre Seelen waren leichter. Die Gesichter der Kinder, die sich still um sie drängten, um zu hören, was sie so wenig verstanden, hellten sich auf, und das ganze Haus war glücklicher durch dieses Mannes Tod. Das einzige durch dieses Ereignis verursachte Gefühl, das ihm der Geist zu zeigen vermochte, war ein solches der Freude.

      »Laß mich nun auch irgendeine Zärtlichkeit sehen, die mit dem Tode zusammenhängt«, bat Scrooge, »oder jener dunkle Raum, den wir soeben verlassen haben, wird mir immer gegenwärtig bleiben.«

      Der Geist führte ihn durch mehrere Straßen, durch die er oft gegangen war; und als sie vorbeischwebten, hoffte Scrooge, sich hier oder da zu schauen, aber nirgends war er zu erblicken. Sie traten in Bob Cratchits Haus, dieselbe Wohnung, die er schon früher besucht hatte, und sie fanden die Mutter und die Kinder um das Feuer sitzen.

      Still war alles. Sehr still. Die lärmenden kleinen Cratchits saßen stumm wie Statuen in der Ecke und sahen auf Peter, der ein Buch vor sich hatte. Die Mutter und die Töchter waren mit Nähen beschäftigt. Aber auch sie waren still, sehr still.

      »Und er nahm ein Kind und stellte es in ihre Mitte.«

      Wo hatte Scrooge diese Worte gehört? Der Knabe mußte sie gelesen haben, als er und der Geist über die Schwelle schritten. Warum fuhr er nicht fort?

      Die Mutter legte ihre Arbeit auf den Tisch und legte die Hand über ihr Antlitz.

      »Die Farbe tut meinen Augen weh«, sagte sie.

      »Die Farbe? Ach, armer Tiny Tim!«

      »Sie sind jetzt wieder besser«, sagte Cratchits Frau. »Es ist nicht gut, bei Kerzenlicht zu arbeiten, und ich möchte den Vater, wenn er heimkommt, nicht sehen lassen, daß ich schwache Augen habe. Er muß bald da sein.«

      »Er müßte längst da sein«, erwiderte Peter, das Buch zuklappend. »Aber ich glaube, er geht jetzt ein wenig langsamer als sonst, Mutter.«

      Sie waren wieder sehr still. Endlich sagte sie mit einer sicheren, heitern Stimme, die nur ein einziges Mal bebte: »Ich bin sicher, daß er mit – ich bin sicher, daß er mit Tiny Tim auf der Schulter wirklich sehr schnell ging.«

      »Und ich auch«, rief Peter. »Oft.«

      »Und ich auch«, riefen die andern. Sie wußten es alle ebenso.

      »Aber er war sehr leicht zu tragen«, fing sie wieder an, fest auf ihre Arbeit sehend, »und der Vater liebte ihn so, daß ihm es keine Mühe machte; keine Mühe. Aber da ist ja der Vater schon an der Tür.«

      Sie eilte auf ihn zu, und Bob mit dem Schal – er hatte ihn nötig, der arme Kerl – trat herein. Sein Tee war bereit, und sie drängten sich alle herbei, wer ihn am raschesten bedienen konnte. Dann kletterten

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