Gesammelte Erzählungen (Über 110 Titel in einem Band). Joachim Ringelnatz
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Diplingens blieben abwesend. Die Gewächse im Wintergarten troffen. Starkes Rauschen übertönte das wohlige Plätschern des Goldfisches, welcher fraß und wuchs.
Das Erdreich war nicht mehr sichtbar. Die Lustbetten begannen zu schaukeln, die Amorchen torkelten. Eines Morgens erschrak der junge Goldfisch, weil er im Glase feststak, sich weder vor-noch rückwärts bewegen konnte.
Da überkam es ihn, daß er ein Walfisch sei; er blähte sich stolz. Das Glas platzte, und plumps – schwamm der Wal zwischen treibenden Lustbetten und entwurzelten Palmen. Er fing an, die Gips-Amoretten wie Biskuit zu zerknabbern.
So was bleibt auf die Dauer nicht unentdeckt. Die Auracher hörten nachts gräßlich gigantisches Schnauben. Eine Klage lief gegen die abwesenden Silbigs, weil der Briefträger, als er von außen die Briefklappe an der Tür öffnete, von innen mit Wasser begossen worden war.
Selbst der kaltblütige Revierschutzmann, der das Schloß aufbrach, kam einen Moment außer Fassung, als er beim Öffnen der Tür von einem herausschießenden, hydraulischen Walfisch die Treppe heruntergerissen wurde.
Während im Treppenhaus der Schutzmann und andere Neugierige im Strudel der nachstürzenden Wassermassen ertranken und der Walfisch schon draußen auf dem Marktplatz mit zornigen Flossenschlägen das Pflaster aufpeitschte, gab der Magistrat telegraphisch eine Annonce an alle auswärtigen Zeitungen auf: »Wer kauft einen lebenden Walfisch?«
Sofort meldete sich die Firma Hermann Tietz, Berlin.
Da man in Kufstein über kein großes, transportables Bassin verfügte, so wurde der Walfisch in nasse Tüchereingewickelt und während der Fahrt nach Berlin durch Klistiere künstlich ernährt.
Am Anhalter Bahnhof geriet die Begleitmannschaft mit den Arbeitern von Tietz in Streit, weil letztere außer dem Walfisch auch noch die Walfisch-Windeln beanspruchten. Diese blieben aber zuletzt doch in den Händen der siegreichen Kufsteiner.
Da war es in der Tat kein leichtes Stück für die acht Berliner, das zappelnde, schlüpfrige Riesentier durch die Königgrätzer Straße und weiter zu tragen.
Und kein Wunder, daß ihnen beim Übergang zum Tempelhofer Ufer das grauenhafte Luder entwischte und in den Kanal stürzte.
Kürzen wir den Wasserweg Spree – Landwehrkanal – Havel – Elbe etwas ab. Halten wir uns nicht länger bei erschrockenen Badegästen, zerstörten Äpfelkähnen auf. Übersehen wir die verschluckte Leiche im Landwehrkanal und vermeiden wir überhaupt jede Ausführlichkeit, wie sich der Walfisch über Schleusen, ausgespannte Fischernetze und das Binnenschiffahrts-Gesetz vom 15. Juni 1895 hinwegsetzte. Er erreichte die nördlichen Meere, gründete viele Familien, um denselben seine wunderbaren Erlebnisse aus Diplingens Abwesenheit zu erzählen. Ob er dabei das Maul zu voll nahm, niemand schenkte ihm Glauben, und so zog er sich von den Mitwalen zurück.
Und wenn er nicht gestorben ist, so lebt er noch heute in den eisigen Wassersteppen von Grönland herum, einsam seine Furchen ziehend, traurig schaukelnd und nachdenklich blinzelnd, als suche er vergeblich nach treibenden Lustbetten und Gipszwieback.
Vom Baumzapf
Magdalissimus Baumzapf ging zu seinem Onkel.
Magdalissimus hatten seine Eltern ihn taufen lassen, damit er etwas Apartes, Originelles werden möchte. Denn sein Vater war zeitlebens in langen Haaren und Sammetjackett umhergewandelt. Da sich der Alte zum Sterben streckte, hatte er ohne Zweifel keine Ahnung von dem berühmten Ausspruch Lord Byrons, daß zwei Rosse keine Violine nageln. Denn nunmehr, das heißt 28 Jahre nach des Vaters Tode und 29 Jahre nach seiner eigenen Taufe trug Magdalissimus außer diesem Namen, einer Stinkwut und zwei dicken Foliobänden illustrierter Bechstein-Märchen nichts weiter Wesentliches zu seinem Onkel.
Er haßte seinen Onkel. Der Onkel liebte ihn. Der Onkel lieh kein Geld her. Magdalissimus schenkte immer wieder Bücher hin. Der Onkel sammelte leidenschaftlich, unter anderem Bücher. Magdalissimus borgte leidenschaftlich, aber unleugbar war der Onkel ein außerordentlicher Geizhals. Seitdem er zum Beispiel einmal als Gast bei einem Diner Schnepfendreck gespeist hatte, wünschte er nichts sehnlicher, als eine Schnepfe zu sein.
Doch billigerweise hat gerade diese übelste Wurzel, Geiz, meist eine oder mehrere sonderliche Tugenden in Begleitschaft. Und allein die Freude, das Verständnis und die Sorgfalt, womit der Onkel Bücher sammelte, Bücher stapelte, hätten genügen müssen, um im Busen seines Neffen einen ganz raffinierten Mord-und Racheplan zu ersticken. Rache, weil der Onkel kein Geld gab; Mord, weil er viel besaß.
Mittelst anderweitiger Geldanleihen, zäher Energie und Schwindeleien konsultierte Magdalissimus Architekten, Notare, Literarhistoriker, besuchte er Antiquariate und Buchbinder. Und nach zwei Jahren feindseliger Zurückgezogenheit wußte er allerlei Bedeutsames, zum Beispiel wieviel Gewicht ein Balken trägt.
Da ging er zum erstenmal wieder zu seinem Onkel, bat um Verzeihung und verehrte ihm zur Versöhnung die Memoiren Casanovas, die sehr seltene Originalausgabe, vor d. franz., 12 Bände, in Bronze gebunden.
Der Onkel umarmte ihn, weinte, blieb – der neunundsechzigjährige Mann! – seines Neffen wegen bis 2 Uhr morgens wach und – sein Bestes erzählend – begleitete er sogar noch den jungen Mann vier Meilen weit bis an dessen Wohnung.
Denn Geizige sind unermüdlich in ihrer Dankbarkeit. Sie leben sehr lange.
In der Folge kam Magdalissimus oft, später täglich; jedesmal brachte er Bücher für den Onkel mit. Schöne alte Bücher, interessante Bücher, dicke Bücher, Folianten. Vielbändige Werke, Brockhaus, Meyers Lexikon, Große Ausgabe; den ganzen Luther, Europäische Annalen. Erbauliche Werke. Eine umfangreiche Bibelsammlung auf einmal und dann nach und nach ixerlei, wahllos oder vielmehr enzyklopädisch. Auch anfechtbare Sachen, wie Karl Mays Schriften, alle Sammelbände Simplicissimus und dergleichen. All das neu und solid gebunden. In Holz gebunden mit Messingbeschlägen. In Lederdeckeln mit Bleieinlage. In sammetüberzogenes Eisen gebunden. In Nickel; in Kupfer.
Magdalissimus Baumzapfens Mutter starb am Magenkrebs und hinterließ, was aus zwölfjährigem Mittagstisch herauszuschlagen war. Der Onkel weinte, küßte, tröstete, dichtete einen Nekrolog, zeichnete die Verblichene aus dem Gedächtnis, wanderte jeden Sonntag eigenhändig nach dem Friedhof, um das Grab zu begießen, und schenkte die Jugendbriefe der Toten hin. Schenkte!
Magdalissimus wendete die halbe Erbschaft daran, um sich mit wertvollen Reisebeschreibungen und sämtlichen Jahrgängen der »Times« zu revanchieren.
Er redete auf seinen Onkel ein: Hier eine kostbare unersetzliche Bibliothek in dauernder Feuersgefahr. Demgegenüber nichtswürdig hohe Versicherungsgebühren. Und dahinter fast lächerliche, nein trügerische Ersatzansprüche. Der Onkel verließ nicht mehr seine Wohnung.
Magdalissimus kam und schenkte. Er wog seine Geschenke zuvor, ideell wie materiell. Sein zweijähriges Studium hatte ihm eine gewisse physikalische und mathematische Gewandtheit verliehen, und eine verständliche Vorsicht gab ihm den Vorsatz ein, die letzten fünf Zentner nicht mehr persönlich zum Onkel zu