Gesammelte Erzählungen (Über 110 Titel in einem Band). Joachim Ringelnatz

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Gesammelte Erzählungen (Über 110 Titel in einem Band) - Joachim  Ringelnatz

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die Lorbeerkränze, ein Totenkranz von Schwesterleins Sarg. Lorbeerkränze. Totenkränze.

      „Bravooo Robl!“

      ‚Wenn ich jetzt die Kurve ansteige‘, dachte Pero, ‚schneide ich ihm den Weg ab‘, und er schoß rechts empor. Das war nach Fachbegriffen nicht anständig.

      „Pfui, Italiener!“ gröhlte der Pöbel. „Ihh, Ihh“ pfiff die Lunge. Lorbeerkränze räderten. Totenkränze, Ruhmeskränze rollten. Immergrün. Räder schnurrten, Atem schnaufte, Musik schmetterte, und dann kollidierte der Italiener Fortezza mit dem hiesigen Rennfahrer Robl. Letzterer kam mit leichten Hautabschürfungen davon, während Fortezza besinnungslos ins Hospital transportiert wurde, wo er, von Fieberphantasien gequält, hoffnungslos darniederliegt. (Wie verlautet, soll es sich gar nicht um einen Italiener, sondern um einen Deutschen namens Peter Scholz handeln.)

      Die Zeitung, welche die Notiz kundgab, wurde auch dem Stadtrat Scholz in das Erkerstübchen getragen. Er las sie nicht, sondern zerfaltete sie, um Schiffchen und Soldatenmützen zu formen, ungefähr zur selben Stunde, da man, viele Meilen davon entfernt, der von Wonne umflorten Chile Scholz einen Myrtenkranz ins Haar flocht, welcher sie zur Gräfin krönte.

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      Vornehm gemeisterte Musik, welche, tausend Stimmungen aufwühlend, gleichsam etwas Langzeitiges, es mochte sein ein Leben, wiedergab, in notenfremd gereihten Tönen, Akkorden und Melodien, strömte reich durch ein formen- und farbenschön eingerichtetes Zimmer. Es geschah, daß der Spielende Beethovens Seele berührte und unwillkürlich dahin geriet, jene Stelle des ersten Finale aus Fidelio kindisch wie mit der Naivität eines Unbeobachteten mitzusummen.

      O welche Lust, in freier Luft den Atem leicht zu heben. Gräfin Chile hatte sich launig, leise vor ihrem Kanarienvogel am Fußboden auf ein Pantherfell ausgestreckt. Sie blies feinduftenden Zigarettenrauch in des Vogels silbernen Käfig, dessen Tür sie spielerisch mit einem Rosenstengel aufhakte.

      Alsbald huschte das gelbe Hänschen aus dem Bauer durchs Zimmer und in der Bahn eines noch kühlen Frühlingsluftzuges zu einem geöffneten Fenster hinaus.

      Der Graf senkte die Hände auf die Tasten und sagte traurig und vorwurfsvoll: „Der ist nun fort, kommt nimmer zurück.“

      Aber die Gattin entgegnete lächelnd: „Wohl ihm!“

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      Es sei genug mit dem, was ich gegeben. Ein jeder lebt’s, aber nicht vielen ist’s bekannt, und deshalb mochte ich einiges für einige deuten.

      Leser, willst du noch vernehmen, was aus dem entflogenen Vögelchen ward?

      Als es über das endlose kalte Steingebirge der Stadt flatterte, bald ermattet von der ungewohnten Flügelanstrengung, erschien ihm wohl ein Kirchhof wie eine grüne Insel.

      Denn dort ließ es sich nieder. Und Spatzen kamen, die zerhackten den gelben Fremdling.

      Ich habe ihn tot und zerstört liegen sehen am Fuße eines schlichten, verfallenen Grabsteines. Auf dem stand unter einer Jahreszahl:

      Hier liege ich und muß verwesen.

       Was ihr noch seid, bin ich gewesen.

       Was ich nun bin, das werdet ihr.

       Geht nicht vorüber, betet mir.

       Anna Murmel Benjamin.

      Ja, das stand irgendwo dort, auf der grünen Insel Friedhof.

       Die Woge: Marine-Kriegsgeschichten

       Inhaltsverzeichnis

       Die Blockadebrecher

       Die zur See

       Nordseemorgen 1915

       Totentanz

       Auf der Schaukel des Krieges

       Der Freiwillige

       Aus dem Dunkel

       Flaggenparade

       Nach zwei Jahren

       Lichter im Schnee

       Fahrensleute

       Die Zeit

      Die Blockadebrecher

       Inhaltsverzeichnis

      Ein drittes Mehlfaß rollte der Steward zurück, wodurch in dem Stapel von Proviantkisten ein Hohlraum geöffnet wurde. Dann drängte er flüsternd den langen, bartlosen Mann, der in der Haltung eines hilfsbereiten Ratlosen ihm zugeschaut hatte: »Schnell! Es ist schon einer drin.«

      Der Lange warf sich ungeachtet seiner gediegenen Kleidung stracks zu Boden und kroch kopfan in das Loch. Das mußte eben nicht viel Platz bieten, denn als er sich zur Hälfte darin befand, blieb er stecken. Der Steward hörte, wie im Innern der Höhle eine zweistimmige Begrüßung in deutscher Sprache stattfand; und da er kein Verständnis für dies Idiom, außerdem Eile hatte, deutete er solches mit der Stiefelspitze auf dem noch sichtbaren Hinterteil des Liegenden an. Ruckweis zogen sich nun auch des Langen Beine in die Öffnung hinein, welche der Schiffskellner unter letzten Ermahnungen wieder mit den schweren Fässern verrammelte. Die Ankerlaterne vom Boden aufhebend, leuchtete er noch einmal das Proviantlager und dessen fensterlose Eisenwände und Schotten ab, fand nichts Verräterisches und begab sich schmunzelnd eine Leiter empor, durch eine Luke an Deck des norwegischen Dampfers, der am nächsten Tage Barcelona verlassen sollte, und über dem jetzt die feuchte Abendluft des 24. Januars 1915 taute.

      In der Dunkelheit unter einer doppelten Kistenschicht hockte nun der lange Seemann, die Knie bis ans Kinn eingezogen und Schulter an Schulter mit einem Fremden, der ebenfalls seine Beine nicht auszustrecken vermochte, der sich ebenfalls schlechtweg als deutscher Matrose vorgestellt und auch die Absicht hatte, sich nach Genua zu schmuggeln. Dieser Mann redete anfangs nur auf Befragen, dann knapp sachlich und ziemlich ungemütlich, was sich aber möglicherweise

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