Gesammelte Erzählungen (Über 110 Titel in einem Band). Joachim Ringelnatz
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Читать онлайн книгу Gesammelte Erzählungen (Über 110 Titel in einem Band) - Joachim Ringelnatz страница 65
Plötzlich, wohlwissend, daß er ein kleines militärisches Verbrechen beging, schleuderte er den Besen mit einem ungelenken, doch kräftigen Stoß über Bord und schloß dann lächelnd die Augen, während er zu sich selber sprach: »Aber auch der Ruhm steht nicht fest; es gehören wenigstens zwei Menschen dazu, ihn zu halten.« Und nach etwa einer halben Stunde sprach er abermals Worte laut aus. Er sagte: »Nun kommt wieder der Mai mit Käferchen und Krokus.«
»Liegt hier Hilderling?« Eine dienstliche Stimme warf abends diese Frage in die Kasematte 14 hinein. Dort saßen noch drei Leute beim Skat; die gaben zunächst keine Antwort. Culassa starrte mit gelassener Siegesgewißheit auf seine unentschlossenen Gegner. Endlich stellte er ohne aufzublicken die Gegenfrage: »Was soll er denn?«
»Morgen früh auf ein Unterseeboot.«
Culassa gewann das Spiel. Er strich die Karten ein und sagte, so auf seine Art langsam in Einem weg: »Gott verdamme Amerika! Mit eins, aus der Hand zwei, Schneider drei. Hilderling ist tot. Den haben sie heute Nachmittag tot auf der Hulk gefunden. Sonnenstich oder Herzschlag oder Gott weiß was. Armer Bengel! Wenn du mit Karo-Aß gestochen hättest, wär alles anders gekommen.«
Aus dem Dunkel
»Die Weiber sind billig hier, jetzt während des Krieges.«
»Ja, – unter pari, Herr Aufsichtsrat.«
»Sie machen sich wohl gern über mich lustig, Herr – Kunstmaler?«
»Nein, ungern. – Übrigens betrachten Sie einmal diese Fülle von Seegras. Liegt es nicht da wie nasses Frauenhaar?«
»Frauenhaar?«
»Nun ja, abgeschnittenes, beträntes Witwenhaar, vom Meere mit dem Rufe ›Wohlfeil‹ ans Ufer geworfen.«
»Sauerkraut sieht auch so aus. Das sind Künstlermeinungen. Besteht die Hauptaufgabe der Kunst darin, alle Dinge zu verwechseln? Eine Träne für eine Perle, eine Perle für eine Träne anzusehen, ein Orgelspiel für Meeresbrausen – – ahh! In gelber Seide! Die Dame mit dem Echo!«
»Sie geht zu Jantzen, – soupieren.«
»Steigen wir ihr nach. Wollen wir ein wenig schlemmen, Herr Künstler?«
»Gut, um uns in vertauschten Rollen zu präsentieren. Auf denn! Es dunkelt schon. Aber auf die Gelbe zählen Sie nicht. Ihr Herz klopft lediglich für die Marine.«
»Weiß wohl; sie leidet am Blauen-Tuch-Koller. Heute ein Kapitän, morgen ein ganz gemeiner Matrose und als neuestes sogar eine Strandpromenade mit dem Herrn Admiraaal.«
»Warum lassen Sie sich nicht ebenfalls blaue Knöpfeaufnähen?«
»Um später als Krüppel vollständig außer Konkurrenz gestellt zu sein, danke.«
»Ich habe einen Verdacht auf die Echodame – übrigens: warum nennt man sie so?«
»Weil ihre Stimme ...«
Damit hatte sich das Gespräch hörweit von dem leergewordenen Strandkorb entfernt. In dessen unmittelbarer Nähe hinter einem der von Kindern gebauten Sandkrater, die dem Strande das Aussehen einer Mondlandschaft leihen, richtete sich nun mit einem schwachen Seufzen oder Räuspern ein Matrose vom abendfeuchten Boden auf. Unbeholfen erhob er sich, trat in der Dämmerung vorsichtig drei Schritte vorwärts und blieb, die hohe Brust und das Gesicht nach der See gerichtet, etwa eine halbe Stunde unbeweglich stehen.
Er wandte sich auch dann nicht, als zwei späte Spaziergänger, junge, aus gelangweiltem Frohsinn kichernde und tuschelnde Damen, im Gleichschritt heranmarschierten, die, umschlungen, sich auf den Laufplanken von Seite zu Seite drängten und schließlich hinter dem Seemann einen Korb besetzten.
»Friedel, schau mal den!«
»Hui, ein schneidiger Kerl. Welche Heldenbrust.«
»Und der Wuchs; wie eine Statue. Das ist das echte Prototyp eines Matrosen. Deutschland zur See, übers Meer Ausschau haltend. – Gelt, die Marineuniform ist doch schön? – Ich könnte solche Idealgestalt ...«
»Willst du dich etwa verlieben, Mirzl?«
»Hab schon – – o Gott! ...«
»Pfui. Deine Idealgestalt kratzt sich. Und schau nur! Schau nur! Wie steif er sich niederläßt ...«
»Lach doch nicht so – das hängt vielleicht – ha ha – mit dem Kratzen zusammen.«
»Pst! er hört alles. Komm, wollen ihn mal fragen, was das dort für ein Schiff sei.« –
»Verzeihen Sie. Können Sie uns wohl sagen, was das dort für ein rotes Licht ist?«
Er stand nicht auf vor den Damen. Die begeisterte Meinung der zum Lachen geneigten Freundinnen sank ein wenig und gleich darauf bedeutend, als der deutsche Seemann gutmütig bieder zurückfragte: »Das Lichd? Uff'n Wasser dord? Das rode Lichd?«
»Ja.«
»Das is' ä Dorbedopoot.«
»So, ein Torpedoboot.« Mirzl stieß heimlich Friedin an. »Ich glaubte, es sei die Fähre.«
»Nee, ä Dorbedopoot.«
»Sie sind gewiß auch auf einem Dorbedo ...« Mirzls Frage blieb in einem Lachausbruch stecken.
»Ich war. Jetz bin ich zor Erholunk hier.«
»Aber Mirzl, nu meckere doch nicht in einem fort über die alte Geschichte. – Meine Freundin hat nämlich so was Komisches erlebt. – Also zur Erholung? Dann haben Sie wohl schon Seegefechte mitgemacht?« –
»Eens, ä kleenes.«
»Das muß furchtbar sein. Erzählen Sie uns doch davon. Auf welchem Schiff waren Sie denn? – – Sie erlauben wohl, daß wir uns auf einen Moment hierhin gießen? ...«
»Nu nadierlich. Aber 's ist feichd. Wolln Se sich nich uff meene Jagge setzen?«
»Nein, danke bestens.«
Mirzl zögerte noch. Es schien ihr doch ein bedenklich kühnes Abenteuer, sich im Finstern neben einem fremden Matrosen zu lagern. Jedoch im Grunde fühlte sie sich über seinen Charakter im Klaren.
»D'n Namen von dem Schiff darf ich nich verraden. Das Gefächd war ooch egendlich gee Gefächd. Ä Greizer dauchde bletzlich uff un warf ä baar Granaden an Bord ...«
»Nein, ist so was möglich?«
»Ja. Gerade middags in d'n Hammelgohl.«
»Sie speisten also zu der Zeit? Haben Sie denn die Schüsse erwidert?«
»Ja, wir