Ausgewählte Werke von Selma Lagerlöf. Selma Lagerlöf
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Der Winter war kaum vorüber, und Reineke entsann sich langer Tage und Nächte, wo er sich müßig herumgetrieben hatte, ohne daß ihm ein Stück Wild in den Wurf gekommen wäre, denn die Zugvögel waren fort, die Mäuse versteckten sich unter der gefrorenen Erdrinde und die Hühner waren eingeschlossen. Aber all der Hunger des ganzen Winters war nicht so hart gewesen wie die Enttäuschung dieses Tages.
Reineke war kein junger Fuchs mehr. Er hatte gar manches Mal die Hunde hinter sich drein gehabt und die Kugeln um seine Ohren pfeifen hören. Er hatte tief in seinem Bau verborgen gelegen, während die Dachshunde in den Gängen herumkrochen und kurz davor waren, ihn zu finden. Aber all die Angst, die Reineke bei der heißesten Jagd ausgestanden hatte, war nichts im Vergleich zu der, die er jedesmal empfand, wenn es ihm nicht gelang, eine der wilden Gänse zu erwischen.
Am Morgen, als das Spiel begann, war Reineke so fein gewesen, daß die Gänse staunten, als sie ihn sahen. Reineke liebte die Pracht, und sein Pelz war leuchtend rot, die Brust weiß, die Schnauze schwarz und der Schwanz wallend wie ein Federbusch. Aber als es an diesem Tage Abend wurde, hing Reinekes Pelz in Zotteln herunter, er war in Schweiß gebadet, seine Augen waren glanzlos, die Zunge hing ihm lang aus dem keuchenden Rachen, und aus dem Munde floß Schaum.
Am Nachmittag war Reineke so müde, daß er ganz von Sinn und Verstand war. Er sah nichts weiter vor seinen Augen als fliegende Gänse. Er sprang nach Sonnenflecken, die er am Erdboden sah, und nach einem armseligen Schmetterling, der zu früh aus der Puppe gekrochen war.
Die wilden Gänse flogen und flogen unermüdlich. Sie peinigten Reineke den ganzen Tag. Es bewegte sie nicht zu Mitleid, daß er vernichtet, erregt, wahnsinnig war. Sie fuhren unerbittlich fort, obwohl sie recht gut verstanden, daß er sie kaum sah, daß er nach ihren Schatten sprang.
Erst als Reineke Fuchs ganz kraftlos und matt auf einem Haufen welker Blätter umsank, kurz davor, den Atem aufzugeben, hielten sie inne, ihr Spiel mit ihm zu treiben.
»Jetzt weißt du, Fuchs, wie es dem geht, der es wagt, sich mit Akka von Kebnekajse einzulassen,« riefen sie ihm dann ins Ohr, und damit ließen sie ihn in Ruhe.
III. Wildvogelleben
Im Bauernhofe.
Donnerstag, den 24. März.
Gerade in jenen Tagen trug sich in Schonen eine Begebenheit zu, die sehr viel beredet wurde, ja sogar in die Zeitung kam. Von vielen wurde sie freilich für Erdichtung gehalten, weil sie nicht imstande waren, sie zu erklären.
In einem Nußholz am Ufer des Bombsees war nämlich ein Eichhörnchenweibchen gefangen und nach einem Bauernhof in der Nähe gebracht. Alle im Bauernhöfe, jung wie alt, freuten sich über das schöne kleine Tier mit dem großen Schwanz, den klugen, neugierigen Augen und den niedlichen, kleinen Beinchen. Sie dachten, sie wollten sich den ganzen Sommer an seinen flinken Bewegungen, seiner drolligen Art, Nüsse zu knacken und seinem munteren Spiel ergötzen. Sie setzten sofort einen alten Eichhörnchenkäfig in Ordnung; der bestand aus einem kleinen, grünangemalten Haus und einem Stahldrahtrad. Das kleine Haus, das sowohl eine Tür als auch Fenster hatte, sollte das Eichhörnchen als Eß- und Schlafzimmer haben; deswegen machten sie ein Bett aus welkem Laub für das Tierchen zurecht und setzten eine Schale mit Milch und einige Nüsse dahinein. Aber das Stahldrahtrad sollte es als Spielstube haben, in der es laufen und klettern und die es herumdrehen konnte.
Die Leute meinten, daß sie es sehr schön für das Eichhörnchen eingerichtet hätten und wunderten sich, daß es nicht gedeihen wollte. Es saß im Gegenteil niedergeschlagen und unwirsch in einer Ecke seiner Stube, und von Zeit zu Zeit stieß es einen lauten Klageschrei aus. Es rührte das Essen nicht an und drehte das Rad nicht ein einziges Mal herum. »Es ist gewiß bange,« sagten die Leute auf dem Bauernhof. »Morgen, wenn es sich erst heimischer fühlt, wird es schon essen und spielen.«
Nun traf es sich so, daß die Frauen im Bauernhof Anstalten zu einem Festschmaus trafen, und gerade an dem Tage, als das Eichhörnchen gefangen wurde, fand großes Backen statt. Und entweder hatten sie Unglück mit dem Teig gehabt, so daß er nicht aufgehen wollte, oder auch sie waren langsam bei der Arbeit gewesen, denn sie waren noch lange nach Hereinbruch der Dunkelheit damit beschäftigt.
Es herrschte natürlich großer Eifer und Geschäftigkeit in der Küche, und niemand ließ sich Zeit, daran zu denken, wie es dem Eichhörnchen ergehen mochte. In dem Hause war aber eine alte Frau, die war zu alt, um noch an dem Backen teilzunehmen. Das begriff sie selbst sehr wohl, aber sie mochte doch nicht gern so außerhalb des Ganzen stehen. Sie war betrübt, und deswegen ging sie nicht zu Bett, sondern setzte sich an das Fenster in der Stube und sah hinaus. In der Küche hatten sie der Hitze halber die Tür aufgemacht, so daß der klare Lichtschein auf den Hof hinausströmte. Es war ein Hofplatz mit Gebäuden nach allen Seiten, und es wurde so hell dort, daß die alte Frau die Risse und Löcher im Kalkputz an der Mauer gegenüber erkennen konnte. Sie sah auch den Eichhörnchenkäfig, der gerade an der Stelle hing, auf die der Lichtschein am allerstärksten fiel, und sie beobachtete, wie das Eichhörnchen die ganze Nacht aus seiner Stube in das Rad hinein und aus dem Rad wieder in die Stube sprang, ohne auch nur einen Augenblick zu ruhen. Sie fand, daß das Tier von einer wunderlichen Rastlosigkeit befallen sei, aber sie glaubte natürlich, daß der grelle Lichtschein es wach halte.
Zwischen dem Kuhstall und dem Pferdestall befand sich auf dem Hofe eine große Einfahrt, und die lag so, daß sie ebenfalls beleuchtet wurde. Und als die Nacht bereits ein wenig vorgeschritten war, sah die alte Frau einen kleinen Knirps, der nicht größer war als eine Handbreit, aber Holzschuhe und Lederhosen trug wie ein Arbeitsmann, leise und vorsichtig aus der Einfahrt auf den Hof schleichen. Die alte Frau begriff sofort, daß es der Kobold sei, und sie wurde nicht im geringsten bange. Sie hatte immer gehört, daß er sich dort auf dem Hofe aufhielt, obgleich sie ihn noch nie gesehen hatte, und ein Kobold hatte ja Glück im Gefolge, wo er sich zeigte.
Sobald der Kobold auf den gepflasterten Hof gekommen war, lief er geradeswegs auf den Eichhörnchenkäfig zu, und da der so hoch hing, daß er ihn nicht erreichen konnte, holte er sich eine Stange aus dem Gerätschaftsschuppen, stellte sie an den Käfig und kletterte daran in die Höhe, wie ein Seemann ein Tau entert. Als er an den Käfig hinaufkam, rüttelte er an der Tür des kleinen grünen Hauses, als wolle er sie öffnen, aber die alte Frau war ganz ruhig, denn sie wußte, daß die Kinder ein Hängeschloß vor die Tür gehängt hatten, aus Furcht, daß die Nachbarjungen versuchen könnten, das Eichhörnchen zu stehlen. Die alte Frau sah, daß, als der Kobold die Tür nicht aufbekommen konnte, das Eichhörnchen in das Stahldrahtrad hinausging. Dort hielt es eine lange Beratung mit dem Kobold ab. Und als der Kobold alles gehört hatte, was das gefangene Tierchen zu erzählen hatte, rutschte er an der Stange herunter und lief zum Tore hinaus.
Die alte Frau dachte, sie würde in dieser Nacht nichts mehr von dem Kobold sehen, aber sie blieb trotzdem am Fenster sitzen. Als eine kleine Weile vergangen war, kam er zurück. Er lief so schnell, daß sie kaum sehen konnte, wie seine Füße den Erdboden berührten, und er eilte auf den Käfig zu. Die alte Frau mit ihren weitsichtigen Augen konnte ihn deutlich sehen, und sie konnte auch sehen, daß er etwas in den Händen trug, aber was es war, konnte sie nicht begreifen. Das, was er in der linken Hand hatte, legte