Ausgewählte Werke von Selma Lagerlöf. Selma Lagerlöf

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Ausgewählte Werke von Selma Lagerlöf - Selma Lagerlöf

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an nichts weiter, als wie er dem armen Gänsemädchen Aase helfen könne, aber als sie dann ihren Vater gefunden hatte und er nichts mehr für sie zu tun brauchte, streifte er am liebsten in dem Felstal umher, und von nun an sehnte er sich nach dem Tage, wo er mit dem Gänserich Martin heimkehren und wieder ein Mensch werden würde. Er wollte doch gern so werden, daß das Gänsemädchen Aase wieder mit ihm zu sprechen wagte und ihm nicht die Tür gerade vor der Nase zuschlug.

      Ja, er war wirklich selig, als es jetzt gen Süden ging. Er schwenkte die Mütze und rief Hurra, als er den ersten Tannenwald sah, und ebenso begrüßte er das erste graue Ansiedlerhaus, die erste Ziege, die erste Katze und die ersten Hühner. Er flog über prachtvolle Wasserfälle hin, und zu seiner Rechten sah er schöne Berge liegen, aber an all dergleichen war er jetzt so gewohnt, daß er sich kaum die Mühe machte, einen Blick darauf zu werfen. Etwas ganz anderes war es, als er gleich im Osten der Berge die Korickjocker Kapelle mit dem kleinen Pfarrhaus und dem kleinen Dorf liegen sah. Er fand das so schön, daß ihm Tränen in die Augen traten.

      Während der ganzen Zeit trafen sie Zugvögel, die jetzt in weit größeren Scharen als im Frühling dahergeflogen kamen. ›Wo wollt ihr hin, Wildgänse?‹ riefen die Zugvögel. ›Wo wollt ihr hin?‹ – ›Wir wollen ins Ausland, ebenso wie ihr,‹ antworteten die Wildgänse. – ›Die Jungen sind ja noch nicht ordentlich flügge,‹ riefen die anderen. ›Die kommen niemals übers Meer mit so kleinen Flügeln!‹

      Auch Lappen und Renntiere zogen nun geschäftig aus dem Gebirge herab. Sie kamen in guter Ordnung daher: ein Lappe ging an der Spitze des Zuges, dann kam die Herde mit den großen Renntieren in der ersten Reihe, darauf eine Reihe Lastrenntiere, die die Zelte und andere Habseligkeiten der Lappen trugen, und schließlich sieben bis acht Menschen. Als die Wildgänse die Renntiere erblickten, ließen sie sich hinabsinken und riefen: ›Schönen Dank für den Sommer! Schönen Dank für den Sommer!‹ – ›Glückliche Reise und auf Wiedersehn im nächsten Jahr!‹ antworteten die Renntiere.

      Aber als die Bären die Wildgänse sahen, zeigten sie mit den Tatzen auf sie, damit die Jungen sie sehen sollten, und brummten: ›Seht euch die an! Sie sind so bange vor ein wenig Kälte, daß sie nicht wagen, den Winter über hierzubleiben!‹ Und die alten Wildgänse blieben ihnen die Antwort nicht schuldig, sondern sie riefen den Gößeln zu: ›Seht euch die an! Sie liegen lieber das halbe Jahr und schlafen, statt sich die Mühe zu machen gen Süden zu ziehen!‹

      Unten in den Tannenwäldern saßen die jungen Auerhähne dicht zusammengekrochen, zerzaust und verfroren und sahen sehnsüchtig allen den großen Vogelscharen nach, die mit Jubel und Freude südwärts zogen. ›Wann kommt die Reihe an uns?‹ fragten sie die Auerhenne. ›Wann kommt die Reihe an uns?‹ – ›Ihr müßt daheim bleiben bei Mutter und Vater,‹ antwortete die Auerhenne. ›Ihr müßt daheim bleiben bei Mutter und Vater.‹

      Auf dem Ostberge.

       Dienstag, 4. Oktober.

      Wer sich in Gebirgsgegenden aufgehalten hat, weiß, wie beschwerlich der Nebel sein kann, der dahergewälzt kommt und die Aussicht verhüllt, so daß man nichts von allen den schönen Bergen zu sehen bekommt, die ringsumher aufragen. Der Nebel kann einen mitten im Sommer überfallen, und im Herbst, kann man wohl sagen, ist es ganz unmöglich, ihm zu entgehen. Niels Holgersen hatte eigentlich immer gutes Wetter gehabt, solange er in Lappland gewesen war, kaum aber hatten die Wildgänse ausgerufen, daß sie jetzt nach Jämtland hineinflögen, als sich die Nebel so dicht um sie zusammenzogen, daß er nicht das geringste von dem Lande sehen konnte. Er reiste einen ganzen Tag darüber hin, ohne zu wissen, ob er in ein Gebirgsland oder in ein Flachland gekommen war.

      Gegen Abend ließen sich die Wildgänse auf einem grünen Platz nieder, der nach allen Seiten sanft abfiel, da war es ihm denn klar, daß er sich auf dem Gipfel eines Hügels befand, aber ob dieser groß oder klein war, konnte er nicht erkennen. Er dachte, daß sie sich in einer bewohnten Gegend befinden müßten, denn es war ihm, als könne er sowohl Menschenstimmen als auch das Rasseln von Wagen unterscheiden, die auf einem Wege dahinrollten, aber ganz sicher war er seiner Sache nicht.

      Er hätte schrecklich gern versucht, einen Hof zu finden, aber er fürchtete, sich im Nebel zu verirren, und so wagte er denn nicht, die Wildgänse zu verlassen. Alles tropfte von Nässe und Feuchtigkeit. An jedem Grashalm und an jedem kleinsten Kraut hingen kleine Tropfen, so daß er eine Regendusche bekam, sobald er sich nur rührte. »Dies ist ja nicht viel besser als da oben im Felstal,« dachte er.

      Aber ein Paar Schritte wagte er denn doch zu gehen, und nun konnte er dicht vor sich ein Gebäude unterscheiden. Es war nicht gerade groß, wohl aber viele Stockwerke hoch, das Dach konnte er nicht sehen. Die Tür war verschlossen und das ganze Haus schien unbewohnt zu sein. Er begriff, daß es nur ein Aussichtsturm war, und daß es dort weder Essen noch Wärme für ihn gab. Er eilte aber trotzdem, so schnell er konnte, zu den Wildgänsen zurück. »Lieber Gänserich Martin,« sagte er, »nimm mich auf den Rücken und trage mich auf die Spitze des Turmes da drüben hinauf! Hier ist es so naß, daß ich nicht schlafen kann, aber da könnte ich vielleicht ein trockenes Plätzchen finden, wo ich schlafen könnte.«

      Der Gänserich Martin war sogleich bereit, ihm zu helfen; er setzte ihn auf der Turmgalerie ab, und dort schlief der Junge in guter Ruhe, bis die Morgensonne ihn weckte.

      Als er nun aber seine Augen aufschlug und sich umsah, konnte er anfangs nicht begreifen, was er sah und wo er sich befand. Er war einmal auf einem Jahrmarkt in einem Zelt gewesen und hatte ein großes Panorama gesehen, und nun war es ihm, als stünde er wieder mitten in so einem großen, runden Zelt, das eine seine, rote Decke hatte, während an den Wänden und am Fußboden eine ausgedehnte Landschaft gemalt war, mit großen Dörfern und Kirchen, Marktplätzen und Landstraßen, ja sogar mit einer Stadt. Es ward ihm ja bald klar, daß es sich nicht wirklich so verhielt, sondern daß er oben auf einem Aussichtsturm stand, den roten Morgenhimmel über sich und ein wirkliches Land ringsumher. Aber es war nun so lange her, seit er etwas anderes als öde Gegenden gesehen hatte, und da war es denn nicht zu verwundern, daß er das, was er jetzt sah, und was eine dicht bebaute Gegend war, für ein Gemälde hielt.

      Auch noch etwas anderes bewirkte, daß der Junge alles, was er sah, für ein Gemälde hielt: es hatte nämlich nichts seine richtige Farbe. Der Aussichtsturm, auf dem er stand, war auf einem Berg erbaut, der Berg lag auf einer Insel und die Insel lag dicht an dem östlichen Ufer eines großen Sees. Aber dieser See war nicht grau, wie es Binnenseen sonst zu sein pflegen, sondern ein großer Teil seiner Fläche war ebenso rot wie der Morgenhimmel, und in den vielen, tiefen Buchten schimmerte das Wasser fast schwarz. Und dann war das Land rings um den See nicht grün, sondern es schimmerte hellgelb mit allen den Stoppelfeldern und dem gelben Birkenwald an den Ufern. Rings um das Gelbe aber zog sich ein breiter Gürtel aus schwarzem Nadelwald. Vielleicht weil der Laubwald innerhalb des dunklen Fichtenwaldes so hell erschien, meinte der Jung, noch nie einen so schwarzen Wald gesehen zu haben wie an diesem Morgen. Jenseits dieses Schwarzen sah man im Osten licht blauende Höhen, aber am ganzen westlichen Horizont entlang erstreckte sich ein langer, glänzender Bogen aus zackigen, verschieden gestalteten Bergen, die eine so feine und sanfte und strahlende Farbe hatten, daß er sie nicht rot und auch nicht weiß und auch nicht blau nennen konnte. Es gab gar keine Bezeichnung dafür.

      Aber der Junge wandte den Blick ab von den Bergen und Nadelwäldern, um die nähere Umgebung besser in Augenschein zu nehmen. Rings um den See herum, in dem gelben Gürtel, konnte er allmählich ein rotes Dorf erkennen und eine weiße Kirche nach der anderen, und ganz im Osten, jenseits des schmalen Sundes, der die Insel von dem Festlande trennte, lag eine Stadt. Die streckte sich am Seeufer aus, dahinter stand ein Berg und beschützte sie, und ringsumher lag eine reiche und bevölkerte Gegend. »Die Stadt hat es wirklich verstanden, sich eine gute Lage zu schaffen,« dachte der Junge. »Ich möchte wohl wissen, wie sie heißt.«

      Im

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