Ausgewählte Werke von Selma Lagerlöf. Selma Lagerlöf
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Читать онлайн книгу Ausgewählte Werke von Selma Lagerlöf - Selma Lagerlöf страница 143
Wohl ist es wahr, daß das Meer reich ist, aber nicht weniger wahr ist es, daß es seine Schwierigkeit hat, sich mit ihm zu befassen. Wer Ertrag aus dem Meer haben will, muß alle seine Fjorde und Buchten, alle seine Untiefen und Strömungen kennen, er muß so ungefähr mit jedem Stein auf dem Grunde des Meeres Bescheid wissen. Er muß sein Boot in Sturm und Nebel führen und seinen Weg in der schwärzesten Nacht finden können. Er muß es verstehen, die Zeichen in der Luft zu deuten, die böses Wetter verkünden, und er muß Kälte und Nässe vertragen können. Er muß wissen, wo die Fische ihren Zug haben, und wo der Hummer kriecht, und er muß schwere Netze bedienen und sein Garn auch bei unruhiger See auswerfen können. Vor allem aber muß er ein mutiges Herz in der Brust haben, so daß er es für nichts achtet, daß er im Kampf gegen das Meer tagaus, tagein sein Leben aufs Spiel setzt.
An dem Morgen, als die Wildgänse über Bohuslän hinabflogen, war es still zwischen den Schären. Sie sahen mehrere kleine Fischerdörfer, aber es war kein Leben in den engen Gassen, niemand ging in den kleinen, zierlich gestrichenen Häusern ein und aus. Die braunen Fischernetze hingen in guter Ruhe auf dem Trockenplatz, die schweren, grünen oder blauen Fischerboote lagen mit aufgerollten Segeln am Strande entlang. Keine Frauen waren an den langen Tischen beschäftigt, wo man Dorsche und Heilbutten auszunehmen pflegte.
Die Wildgänse flogen auch über mehrere Lotsenstationen hin. Die Wände des Lotsenhauses waren schwarz und weiß gestrichen. Der Signalmast stand daneben, und der Lotsenkutter lag an der Brücke vertäut. Ringsumher war alles still, kein Dampfer war in Sicht, der in dem engen Fahrwasser Hilfe gebrauchte.
Die kleinen Küstenstädte, über die die Wildgänse hinflogen, hatten ihre großen Badehäuser geschlossen, ihre Flaggen eingezogen und Laden vor die Fenster der seinen Sommerhäuser gesetzt. Da war niemand zu sehen außer ein paar alten Schiffskapitänen, die auf den Brücken hin und her gingen und sehnsuchtsvoll auf das Meer hinausstarrten.
Drinnen in den Fjorden auf dem Festlande sowie auf der Ostseite der Inseln sahen die Wildgänse einige Bauernhöfe, und dort lag das zum Hause gehörige Boot still an der Brücke. Der Bauer und seine Knechte nahmen Kartoffeln auf oder sahen nach, ob die Bohnen, die an hohen Holzgestellen hingen, hinreichend getrocknet waren.
In den großen Steinbrüchen und auf den Bootwerften waren viele Arbeiter. Sie handhabten ihre Vorhammer und Äxte flink genug, aber wieder und wieder wandten sie den Kopf dem Meere zu, als hofften sie auf eine Unterbrechung.
Und die Schärenvögel waren ebenso ruhig wie die Menschen. Ein paar Scharben, die an einer steilen Felswand gesessen und geschlafen hatten, verließen eine nach der anderen die schmalen Felsvorsprünge und flogen in langsamem Flug nach ihren Fischplätzen. Die Möwen waren vom Meer hereingekommen und spazierten an Land, ganz wie Krähen.
Plötzlich aber veränderte sich alles. Auf einmal flog ein Schwarm Möwen von einem Acker auf und sauste mit einer solchen Geschwindigkeit südwärts, daß die Wildgänse kaum Zeit hatten zu fragen, wohin sie wollten, und die Möwen sich auch nicht Zeit ließen zu antworten. Die Scharben kamen vom Wasser herauf und folgten den Möwen in schwerfälligem Flug. Delphine schossen gleich langen, schwarzen Spindeln durch das Wasser, und eine Schar Seehunde ließ sich von einer flachen Schäre ins Wasser gleiten und zog gen Süden.
»Was ist denn los? Was ist denn los?« fragten die Wildgänse und bekamen schließlich Antwort von einer Eisente. »Der Hering ist nach Marstrand gekommen! Der Hering ist nach Marstrand gekommen!«
Aber nicht nur die Vögel und Seetiere gerieten in Bewegung, auch die Menschen hatten jetzt offenbar Nachricht erhalten, daß sich die ersten großen Heringschwärme zwischen den Schären gezeigt hatten. Die Leute liefen auf den glatten Steinen der Fischerdörfer geschäftig durcheinander. Die Fischerboote wurden bereit gemacht. Vorsichtig brachte man die langen Heringnetze an Bord. Die Frauen verstauten den Proviant und die Ölkleider in die Boote. Die Männer kamen in einer solchen Hast aus den Häusern, daß sie erst auf der Straße den Rock anzogen. Bald waren alle Sunde voll brauner und grauer Segel, und muntere Zurufe und Fragen flogen zwischen den Booten hin und her. Junge Mädchen waren auf die Klippen hinter den Häusern geklettert und winkten den Davonziehenden zu. Die Lotsen standen da und hielten Ausguck und waren so fest überzeugt, daß man bald nach ihnen schicken werde, daß sie schon die langen Seestiefel angezogen und den Kutter klar gemacht hatten. Aus den Fjorden heraus kamen kleine Dampfer mit leeren Tonnen und Kisten beladen. Die Bauern warfen die Kartoffelhacke hin, und die Bootbauer verließen die Werft. Die alten Schiffskapitäne mit den wettergebräunten Gesichtern konnten nicht daheimbleiben, sie fuhren mit den Dampfern südwärts, um den Heringfang wenigstens mit anzusehen. Es währte nicht lange, bis die Wildgänse Marstrand erreichten. Die Heringschwärme kamen von Westen und gingen, am Leuchtturm auf der Hafenschäre vorbei, dem Lande zu. In dem breiten Fjord zwischen der Insel Marstrand und den Pater-Noster-Schären kamen die Fischerboote immer zu dreien dahergesegelt. Wo die See dunkel war und sich in kleinen, kurzen Wellen kräuselte, da war der Hering. Das wußten die Fischer, und da legten sie vorsichtig die langen Netze aus, sammelten sie zu einem Rundkreis, schnürten sie unten am Boden zusammen, so daß der Hering wie in einem ungeheuren Sack lag; dann zogen und schnürten sie die Netze noch mehr zusammen, so daß der Raum enger und enger wurde und das Netz schließlich, mit glitzernden Fischen gefüllt, herausgezogen werden konnte.
Einige Bootbesatzungen waren schon so weit mit dem Fischfang gediehen, daß sie ihre Boote bis an die Reeling voller Heringe hatten. Die Fischer standen bis an die Knie in Heringen und glitzerten von Heringschuppen vom Südwester bis an den unteren Rand ihres gelben Ölrockes.
Und dann waren da neuangekommene Fischergruppen, die umherfuhren und loteten und nach Heringen suchten, und andere, die mit großer Mühe das Netz ausgelegt hatten, es aber leer wieder herauszogen. Wenn die Boote voll waren, fuhren einige von den Fischern nach den großen Dampfern hinaus, die auf dem Fjord lagen, und verkauften ihren Fang, andere segelten nach Marstrand hinein und löschten den Fang am Kai. Dort waren die Heringweiber schon in voller Arbeit an den langen Tischen; die Heringe wurden in Tonnen und Kisten gepackt, und die ganze Straße war voll von Heringschuppen.
Ja, hier herrschte Leben und Bewegung. Die Menschen waren ganz aus dem Häuschen vor Freude über all dies Silber, das sie aus den Wellen des Meeres schöpften, und die Wildgänse flogen viele Male rund herum um die Insel Marstrand, damit der Junge alles recht genau sehen sollte.
Bald aber bat er sie, weiterzufliegen. Er sagte nicht, warum er dort weg wollte, aber es war vielleicht nicht so schwer zu erraten. Da waren viele schöne und stolze Leute unter den Fischern, Mehrere von ihnen waren stattliche Männer mit kühnen Gesichtern unter dem Südwester, und sie sahen so verwegen und keck aus, wie jeder frische Junge wünscht, selbst auszusehen, wenn er einmal erwachsen ist. Es war wohl nicht gerade erfreulich für jemand, der nie viel größer werden konnte wie ein Hering, dazusitzen und solche Prachtkerle zu betrachten.
LI. Ein großer Herrenhof
Der alte Herr und der junge Herr.
Vor einigen Jahren lebte in einem Kirchspiel in Westgötland eine prächtige,