Ausgewählte Werke von Selma Lagerlöf. Selma Lagerlöf
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Читать онлайн книгу Ausgewählte Werke von Selma Lagerlöf - Selma Lagerlöf страница 53
Eines Tages, als Jarro und Cäsar auf ihrem gewohnten Platz vor dem Feuer lagen, saß Klorina oben auf dem Herd und belustigte sich damit, den Enterich zu foppen.
»Ich möchte wohl wissen, was ihr Stockenten im nächsten Jahr anfangen wollt, wenn der See trockengelegt und in Ackerland verwandelt wird,« sagte Klorina. – »Was sagst du da, Klorina?« rief Jarro und fuhr ganz entsetzt in die Höhe. – »Ich vergesse immer, Jarro, daß du die Sprache der Menschen nicht so verstehen kannst wie Cäsar und ich,« erwiderte die Katze. »Sonst hättest du ja hören müssen, daß die Männer, die gestern hier in der Stube waren, erzählten, daß alles Wasser aus dem Tåkernsee abgelassen werden soll, so daß der Boden des Sees im nächsten Jahr so trocken daliegt wie der Fußboden in einer Stube. Und nun möchte ich nur wissen, was ihr Grasenten dann anfangen wollt!« – Als Jarro diese Worte hörte, wurde er so wütend, daß er fauchte wie eine Natter: »Du bist gerade so boshaft wie ein Bläßhuhn,« schrie er Klorina an. »Du willst mich nur gegen die Menschen aufreizen. Ich glaube nicht, daß sie so etwas tun werden. Sie wissen sehr wohl, daß der Tåkernsee den Stockenten gehört. Warum sollten sie wohl so viele Vögel heimatlos und unglücklich machen? Das hast du dir nur ausgedacht, um mich bange zu machen. Ich will dir wünschen, daß dich der Adler Gorgo in Stücke zerreißt! Ich will dir wünschen, daß unsere Herrin dir den Schnurrbart abschneidet!«
Jarro vermochte jedoch Klorina nicht zum Schweigen zu bringen. »So, du glaubst also, daß ich lüge,« sagte sie. »Du kannst ja Cäsar einmal fragen! Er war gestern abend auch in der Stube. Cäsar lügt nie.«
»Cäsar,« sagte Jarro, »du verstehst die Sprache der Menschen viel besser als Klorina. Sag’ du, daß sie nicht richtig gehört hat. Bedenke doch, wie es werden würde, wenn die Menschen den Tåkernsee austrockneten und seine Ufer zu Ackerland machten! Dann gäbe es kein Entengrün mehr für die heranwachsenden jungen Enten und keine Fischbrut und keine Kaulquappen und keine Mückenlarven für die jungen Entlein. Dann würden auch die Binsenwälder verschwinden, in denen sich die kleinen Entlein jetzt verstecken können, bis sie flügge sind. Alle Enten müssen von hier fortziehen und sich eine andere Wohnung suchen. Aber wo sollen sie eine Zufluchtsstätte, wie den Tåkernsee, finden? Cäsar, sage du, daß Klorina nicht richtig gehört hat!«
Es war eigentümlich, zu beobachten, wie Cäsar sich bei dieser Unterhaltung aufführte. Er war während der ganzen übrigen Zeit völlig wach gewesen, als sich aber Jarro an ihn wandte, gähnte er, legte seine lange Schnauze auf die Vorderpfoten und verfiel augenblicklich in einen tiefen Schlaf.
Die Katze sah mit einem listigen Lächeln auf Cäsar hinab. »Ich glaube, Cäsar hat keine Lust, dir zu antworten,« sagte sie zu Jarro. »Ihm geht es so wie allen Hunden: Sie wollen niemals zugeben, daß die Menschen unrichtig handeln. Aber du kannst dich trotzdem auf mein Wort verlassen. Ich will dir sagen, warum die Menschen den See gerade jetzt trockenlegen wollen. Solange die Stockenten die Herrschaft über den Täkernsee hatten, wollten sie ihn nicht trockenlegen, denn von euch hatten sie doch einigen Nutzen. Aber nun haben sich ja die Haubentaucher und die Bläßhühner und viele andere Vögel, die nicht eßbar sind, fast aller Binsenwälder bemächtigt, und die Menschen finden es nicht notwendig, um ihretwillen den See zu bewahren.«
Jarro hatte keine Lust, Klorina zu antworten, er erhob nur den Kopf und rief Cäsar ins Ohr: »Cäsar! Du weißt doch, daß da auf dem Tåkernsee so viele Enten sind, daß es aussehen kann wie Wolken am Himmel. Sag’ du doch, daß es nicht wahr ist, daß die Menschen die alle heimatlos machen wollen!«
Da fuhr Cäsar auf und unternahm einen gewaltigen Ausfall gegen Klorina, so daß diese auf ein Wandbrett hinauf flüchten mußte. »Ich will dich lehren zu schwatzen, wenn ich schlafen will!« brüllte Cäsar. »Ich weiß sehr wohl, daß die Rede davon ist, in diesem Jahr den See trockenzulegen. Aber davon ist schon so oft geredet, ohne daß etwas daraus geworden ist. Und dies Trockenlegen ist eine Sache, die ich nicht billige. Denn was sollte wohl aus der Jagd werden, wenn der Tåkernsee trockengelegt würde? Du bist ein Rindvieh, daß du dich über so etwas freuen kannst. Womit sollen du und ich uns belustigen, wenn es keine Vögel mehr auf dem Tåkernsee gibt?«
Der Lockvogel.
Sonntag, den 17. April.
Ein paar Tage später war Jarro so munter, daß er durch die ganze Stube fliegen konnte. Und da verhätschelte ihn die Bäuerin, und der kleine Junge lief auf den Hof hinaus und pflückte ihm die ersten Grashalme, die aufgesproßt waren. Wenn ihn die Bäuerin streichelte, dachte Jarro, daß, obwohl er jetzt gesund genug war, um nach dem Tåkernsee hinabzufliegen, wenn es ihm beliebte, er sich nicht von den Menschen trennen wollte. Er hatte nichts dagegen, sein ganzes Leben bei ihnen zu bleiben.
Aber eines Morgens in aller Frühe legte die Bäuerin eine Schlinge um Jarro, so daß er seine Flügel nicht gebrauchen konnte, und übergab ihn dann dem Knecht, der ihn draußen auf dem Hof gefunden hatte. Der steckte ihn unter den einen Arm und ging mit ihm an den Tåkernsee hinab.
Das Eis war geschmolzen, während Jarro krank war. Die alten, trockenen Binsenhalme vom vergangenen Jahr standen noch am Ufer und rings um die kleinen Inseln herum, aber alle Wasserpflanzen hatten schon begonnen, in der Tiefe frische Schüsse zu treiben, und die grünen Spitzen reichten bis an den Wasserspiegel hinauf. Und nun waren fast alle Zugvögel heimgekehrt. Die krummen Schnäbel der Brachvögel guckten aus dem Röhricht hervor. Die Haubentaucher segelten mit einem neuen Federkragen um den Hals umher. Und die Bekassinen waren damit beschäftigt, Strohhalme für ihre Nester zusammenzutragen.
Der Knecht stieg in einen Kahn, legte Jarro auf den Boden und stängelte auf den See hinaus. Jarro, der sich nun daran gewöhnt hatte, nichts anderes als Gutes von den Menschen zu erwarten, sagte zu Cäsar, der auch mit dabei war, er sei dem Knecht sehr dankbar, daß er ihn mit auf den See hinausgenommen habe. Aber der Knecht brauche ihn nicht so fest gebunden zu halten, denn er habe keineswegs die Absicht, davonzufliegen. Darauf erwiderte Cäsar nichts. Er war sehr wortkarg in dieser Morgenstunde.
Das einzige, was Jarro ein wenig merkwürdig fand, war, daß der Knecht seine Flinte mitgenommen hatte. Er konnte sich nicht denken, daß einer von den guten Menschen im Bauernhöfe Vögel schießen würde. Außerdem hatte ihm Cäsar gesagt, um diese Jahreszeit jagten die Menschen nicht. »Es ist Schonzeit!« sagte Cäsar, »aber das gilt natürlich nicht für mich.«
Währenddessen ruderte der Knecht nach einer der kleinen, schilfumkränzten Schlamminseln hinaus. Dort stieg er aus dem Boot, sammelte altes Röhricht zu einem großen Haufen zusammen und legte sich dahinter. Die Schlinge um die Flügel, und mit einer langen Schnur an das Boot befestigt, durfte Jarro nun draußen auf dem Erdboden umherspazieren.
Plötzlich gewahrte Jarro einige von den jungen Enterichen, in deren Gesellschaft er in alten Zeiten über den See hin und her geflogen war. Sie waren weit weg, aber Jarro rief sie mit einigen lauten Rufen zu sich heran. Sie beantworteten die Rufe, und ein großes, schönes Schof näherte sich. Noch ehe sie ganz herangekommen waren, begann Jarro, ihnen von seiner wunderbaren Rettung durch die Güte der Menschen zu erzählen. Im selben Augenblick knallten zwei Schüsse hinter ihm. Drei Enten sanken tot in das Röhricht und Cäsar plumpste hinaus und fing sie ein.
Da ging Jarro ein Licht auf. Die Menschen hatten ihn gerettet, um ihn als Lockvogel zu gebrauchen! Und es war ihnen gelungen. Er war schuld daran, daß drei Enten tot waren. Er war nahe daran, vor Scham zu vergehen. Selbst sein Freund Cäsar, fand er, sah ihn voller Verachtung an, und als sie nach Hause in die Stube kamen, wagte er nicht, sich zum Schlafen neben den Hund zu legen.