Ausgewählte Werke von Selma Lagerlöf. Selma Lagerlöf

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Ausgewählte Werke von Selma Lagerlöf - Selma Lagerlöf

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und Schutz. Da drinnen zwischen den Binsen gibt es unzählige kleine Teiche und Kanäle mit stillstehendem, grünem Wasser, wo Entengrün und andere Pflanzen in Hülle und Fülle wachsen, und wo Mückenlarven, Kaulquappen und Fischbrut in zahllosen Mengen ausgebrütet wird. Und an den Ufern dieser kleinen Teiche und Kanäle gibt es Massen von guten Schlupfwinkeln, wo die Seevögel ihre Eier legen und ihre Jungen großziehen, ohne von Feinden oder von Nahrungssorgen gestört zu werden.

      In dem Röhricht am Tåkernsee wohnen auch eine Menge Vögel, und Jahr für Jahr kommen mehr hinzu, je bekannter es wird, was für ein herrlicher Aufenthaltsort es ist. Die ersten, die sich dort ansiedelten, waren die Stockenten, und die wohnen dort noch zu Tausenden. Ihnen gehört jedoch nicht mehr der ganze See, sie haben sich gezwungen gesehen, den Platz mit Schwänen, Haubentauchern, Bläßhühnern, Lummen, Löffelenten und einer Menge anderer Vögel zu teilen.

      Der Tåkernsee ist sicher der größte und beste Vogelsee im ganzen Lande, und die Vögel können sich glücklich preisen, so lange sie eine solche Zufluchtsstätte haben. Aber niemand weiß, wie lange sie die Herrschaft über die Binsenwälder und Schlammufer behalten dürfen, denn die Menschen können nicht vergessen, daß der See eine Menge guten und fruchtbaren Bodens bedeckt, und einmal über das andere tauchen Pläne unter ihnen auf, ihn trocken zu legen. Und wenn diese Pläne zur Ausführung gelangten, würden alle diese vielen Taufende von Wasservögeln gezwungen sein, dort aus der Gegend fortzuziehen.

      Zu der Zeit, als Niels Holgersen mit den wilden Gänsen reiste, lebte am Tåkernsee ein Stockenterich, der Jarro hieß. Er war ein junger Vogel und hatte nicht mehr als einen Sommer, einen Herbst und einen Winter gelebt. Es war nun sein erster Frühling. Er war kürzlich aus Nordafrika heimgekehrt und hatte den Tåkernsee so rechtzeitig erreicht, daß da noch Eis auf dem Wasser war.

      Eines Abends, als er und die anderen Enteriche sich damit ergötzten, über dem See hin und her zu fliegen, schoß ein Jäger ein paar Schüsse auf sie ab, und Jarro wurde in die Brust getroffen. Er glaubte, er müsse sterben, um aber dem, der ihn geschossen hatte, nicht in die Hände zu fallen, fuhr er fort zu fliegen, so lange er konnte. Er dachte nicht daran, wohin er seinen Kurs nahm, sondern strengte sich an, so weit wie möglich zu kommen. Als ihn die Kräfte verließen, so daß er nicht mehr fliegen konnte, befand er sich nicht mehr über dem See. Er war eine Strecke landeinwärts geflogen und sank jetzt vor einem der großen Bauerngehöfte nieder, die am Ufer des Tåkernsees liegen.

      Bald darauf ging ein junger Knecht über den Hof. Er erblickte Jarro und ging hin und nahm ihn auf. Aber Jarro, der nichts weiter wünschte, als in Frieden zu sterben, sammelte seine letzten Kräfte und biß den Knecht scharf in den Finger, damit der ihn loslassen sollte.

      Es gelang Jarro nicht, sich zu befreien, aber der Angriff hatte doch das Gute, daß der Knecht merkte, es war noch Leben in dem Vogel. Er trug ihn vorsichtig in die Stube und zeigte ihn seiner Herrin, einer jungen Frau mit einem sanften Gesicht. Sie nahm dem Knecht gleich Jarro aus der Hand, strich ihm über den Rücken, und trocknete das Blut ab, das zwischen den Halsfedern hervorsickerte. Sie betrachtete ihn genau, und als sie sah, wie schön er war mit seinem dunkelgrünen, metallschimmernden Kopf, seinem weißen Halsband, seinem rotbraunen Rücken und dem blauen Spiegel auf den Flügeln, fand sie wohl, es sei ein Jammer, daß er sterben sollte. Sie machte schnell einen Korb zurecht, und da hinein legte sie den Vogel.

      Jarro hatte fortwährend mit den Flügeln geschlagen und gekämpft, um loszukommen, als er nun aber begriff, daß die Menschen nicht die Absicht hatten, ihn zu töten, legte er sich mit einem Gefühl des Wohlbehagens im Korbe zurecht. Erst jetzt merkte er, wie ermattet er war infolge des Schmerzes und des Blutverlustes. Die Bäuerin trug den Korb in das andere Ende der Stube und stellte ihn in die Ofenecke, aber noch ehe sie ihn niedergesetzt, hatte Jarro schon die Augen geschlossen und war eingeschlafen.

      Nach einer Weile erwachte Jarro dadurch, daß jemand ihn leise stieß. Als er die Augen aufschlug, erschrak er so, daß er fast seinen Verstand verloren hatte. Jetzt war es also aus mit ihm, denn da stand einer, der schlimmer war als Menschen und Raubvögel. Es war kein geringerer als Cäsar, der langhaarige Jagdhund, der ihn beschnüffelte.

      Wie jammervoll bange war Jarro nicht im vorigen Sommer gewesen, als er noch ein kleines, gelbes Entlein war, sobald es über den Binsenwald hinschallte: »Da ist Cäsar! Da ist Cäsar!« Wenn er den braun und weiß gefleckten Hund mit dem Maul voll scharfer Zähne durch das Röhricht heranwaten sah, war es ihm, als sähe er den Tod selber.

      Er hatte immer gehofft, daß er nie die Stunde erleben würde, wo er Cäsar von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand.

      Aber er hatte offenbar das Unglück gehabt, gerade auf das Gehöft zu kommen, wo Cäsar beheimatet war, denn nun stand der da über ihn gebeugt. »Was für einer bist denn du?« brummte er. »Wie bist du hierher in die Stube gekommen? Gehörst du nicht in den Binsenwald?«

      Jarro hatte kaum den Mut zu antworten. »Du mußt nicht böse auf mich sein, Cäsar, weil ich hierher in die Stube gekommen bin!« sagte er. »Es ist nicht meine Schuld. Ich bin angeschossen. Die Menschen haben mich selbst in den Korb hier gelegt.«

      »Ach so, die Menschen haben dich selbst hier hineingelegt,« sagte Cäsar. »Dann wollen sie dich wohl wieder gesund machen. Ich für mein Teil finde ja freilich, es würde vernünftiger sein, dich zu verzehren, jetzt, wo du in ihrer Gewalt bist. Aber hier in der Stube bist du gefeit. Du brauchst nicht so erschreckt auszusehen. Wir sind jetzt nicht auf dem Tåkernsee.«

      Damit ging Cäsar und legte sich vor dem flammenden Herdfeuer schlafen. Sobald Jarro sich klar darüber war, daß diese fürchterliche Gefahr überstanden war, befiel ihn die große Mattigkeit von neuem, und er schlief wieder ein.

      Als er das nächstemal erwachte, sah er, daß eine Schüssel mit Grütze und Wasser vor ihm stand. Er fühlte sich zwar noch sehr elend, aber er war doch hungrig und begann zu fressen. Als die Bäuerin sah, daß er fraß, ging sie hin und streichelte ihn und sah erfreut aus. Und dann schlief Jarro wieder ein. Mehrere Tage lang tat er nichts weiter, als fressen und schlafen.

      Eines Morgens fühlte Jarro sich so wohl, daß er aus seinem Korb aufstand und durch die Stube ging. Aber er war noch nicht weit gekommen, als er umfiel und liegen blieb. Da kam Cäsar, öffnete sein großes Maul und packte ihn. Jarro glaubte natürlich, daß der Hund ihn totbeißen wollte, Cäsar aber trug ihn wieder nach dem Korb zurück, ohne ihm ein Leid zu tun. Dadurch gewann Jarro so großes Vertrauen zu Cäsar, daß er bei seinem nächsten Ausflug ins Zimmer hinaus zu dem Hund hinging und sich neben ihn legte. Und infolgedessen wurden Cäsar und er gute Freunde, und Jarro lag jetzt jeden Tag mehrere Stunden zwischen Cäsars Pfoten und schlief.

      Aber noch größere Liebe als für Cäsar empfand Jarro für die Bäuerin. Vor der war er gar nicht bange, er strich seinen Kopf gegen ihre Hand, wenn sie kam und ihm Fressen brachte. Ging sie aus der Stube, so seufzte er vor Kummer, und kam sie wieder herein, so rief er ihr auf seine eigene Sprache Willkommen entgegen.

      Jarro vergaß ganz, wie bange er früher vor Menschen und Hunden gewesen war. Er fand, sie waren sanft und gut, und er liebte sie. Er hatte nur den einen Wunsch, wieder gesund zu sein, dann wollte er nach dem Tåkernsee hinabfliegen und den Stockenten erzählen, daß ihre alten Feinde nicht gefährlich seien, und daß sie gar nicht vor ihnen bange zu sein brauchten.

      Er hatte beobachtet, daß sowohl die Menschen als auch Cäsar ruhige Augen hatten, in die hineinzusehen gut tat. Die einzige in der Stube, deren Blick er nicht gern begegnete, war Klorina, die Hauskatze. Sie tat ihm nichts zuleide, aber er konnte nicht recht Vertrauen zu ihr fassen. Außerdem foppte sie ihn immer damit, daß er die Menschen liebte. »Du glaubst wohl, daß sie dich pflegen, weil sie dich gern haben,« sagte Klorina. »Warte du nur, bis du hinreichend fett bist! Dann drehen sie dir den Hals um. Ich kenne sie, das kannst du mir glauben!«

      Jarro

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