Schopenhauer. Kuno Fischer
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In Italien hatte er meist mit reisenden Engländern verkehrt und sich in deren Sprache und Sitten von neuem so eingelebt, dass er auf englischem Fuß fortlebte, englisch sprach und schrieb, am liebsten englische Zeitungen las, englische Gewohnheiten annahm und die englische Nation, wo er nur konnte, als die intelligenteste der Welt pries. Es tat ihm wohl, sich in Deutschland fremd zu fühlen.
2. Lichtblicke
Die einzige Art der Lichtblicke, welche mitten in seiner ungeselligen und verdüsterten Stimmung die Welt ihm gewähren konnte, war die Anerkennung seiner Verdienste und seines Genies. In der jüngsten Zeit waren solche Sonnenscheine auf zwei seiner Werke gefallen.
Die Münchener Akademie der Wissenschaften hatte in ihrem Bericht über die Fortschritte der Physiologie während des gegenwärtigen Jahrhunderts bei der Lehre von den Sinneswerkzeugen seine Schrift »über das Sehn und die Farben« erwähnt und seinen Namen neben Purkinje genannt (1824). In seiner »Kleinen Nachschule zur ästhetischen Vorschule« war Jean Paul mit dem Vorschlag einer »Literaturzeitung ohne Gründe« aufgetreten. Diese sollte von den berühmtesten Männern geschrieben werden, deren Autorität vollkommen hinreichte, alle Gründe zu ersetzen. Ein Mann wie Goethe, der Peterskirche zu Rom vergleichbar, worin es für jede Nation einen besonderen Beichtstuhl gebe, brauche nur den Titel des Buchs zu nennen und zu sagen: »es gefällt mir oder es ist zu elend; es ist trefflich oder langweilig«. Um diese Rezensionsart zu kennzeichnen, gab Jean Paul unter anderen Beispielen auch sein Urteil über Schopenhauers »Welt als Wille und Vorstellung«. Es sei »ein genial philosophisches, kühnes, vielseitiges Werk voll Scharfsinn und Tiefsinn, aber mit einer oft trost- und bodenlosen Tiefe – vergleichbar dem melancholischen See in Norwegen, auf dem man in seinen finsteren Ringmauern von steilen Felsen nie die Sonne, sondern in der Tiefe nur den gestirnten Himmel erblickt, und über welchen kein Vogel und keine Woge zieht. Zum Glück kann ich das Buch nur loben, nicht unterschreiben.«161 Diese Worte nahm der Philosoph als vom Genie dem Genie gespendet, sie haben ihm unsäglich wohlgetan, und er hat sich gern darauf berufen.
3. Der Rückblick
Diese kleinen Erquickungen abgerechnet, vermochten die letzten acht Jahre dem vierzigjährigen Mann, wenn er am 22. Februar 1828 darauf zurückblickte, keine zufriedenen Eindrücke zu bieten. Wo er hinsah, traten ihm Mängel und Verluste, Misserfolge und hoffnungslose Aussichten entgegen. Seine persönlichen Familienverhältnisse, die beiden einzigen, die er auf der Welt hatte, waren gründlich zerrüttet; seine Lehrtätigkeit hatte aufgehört, bevor sie eigentlich erst angefangen; die Hälfte jenes wiedererkämpften Vermögens war durch schlechte Anlagen, die ihm ein guter Freund geraten, verloren gegangen (1827); die Absichten auf ein akademisches Lehramt, die sich erst nach Würzburg, dann nach Heidelberg gerichtet hatten, waren vergeblich gewesen, die letztere wurde durch die Antwort, die ihm Creuzer im März 1828 erteilte, völlig niedergeschlagen.162
Alle seine Hoffnungen ruhten auf seinem Hauptwerk. Als er sich jetzt nach dem Erfolg desselben erkundigte, musste er zehn Jahre nach der Herausgabe erfahren, dass eine »bedeutende Anzahl« Exemplare makuliert worden, der Absatz stets »sehr unbedeutend« gewesen und noch 150 Exemplare vorrätig seien (29. November 1828). Von diesem geringen Vorrat wurden im Jahre 1830 noch 97 Exemplare eingestampft, und von den 53 übriggebliebenen waren dreizehn Jahre später (1843) »noch genug für die Nachfrage vorhanden«.163 So stand es mit dem Erfolg seines Hauptwerks nach einem Vierteljahrhundert!
In die Mitte aller dieser Widerwärtigkeiten war noch ein höchst unwürdiger, ärgerlicher und nachteiliger Rechtshandel gefallen. Eine bejahrte Näherin, die im Vorraum seiner Wohnung sich unbefugterweise aufgehalten und auf sein Verbot nicht gewichen war, hatte er unter gröblichen Schimpfreden hinausgeworfen, wobei die Frau zu Boden gefallen war und einigen Schaden erlitten hatte. Ihre Klage war in erster Instanz abgewiesen worden. Dann aber durchlief der Prozess, in welchem von beiden Seiten appelliert wurde, alle Instanzen und endete damit, dass Schopenhauer zur Alimentation der Klägerin verurteilt und dieses Urteil endgültig bestätigt wurde. Er musste der Klägerin 15 Taler vierteljährlich zahlen, und da dieselbe noch zwanzig Jahre fortlebte, so hat ihm dieser Akt einer heftigen und rohen Selbsthilfe 1200 Taler gekostet! Als er endlich die offizielle Todesnachricht empfangen hatte, schrieb er auf den Brief: »obit anus, abit onus!«164
Hätte er sich in wohlgeordneten häuslichen Verhältnissen befunden, so würde eine solche Szene, wie die mit der Näherin, unmöglich gewesen sein; aber er wollte, gleich den Philosophen, die bei ihm hoch in Ansehen standen, wie Hobbes und Locke, Descartes und Kant, Hagestolz bleiben und pflegte weniger treffend als witzig zu sagen, dass die Ehemänner umgekehrte Papagenos wären; während dem Papageno in der Zauberflöte sich ein altes Weib blitzschnell in ein junges verwandle, ginge es in der Wirklichkeit den Ehemännern gerade umgekehrt. Das Gleichnis zeigt, wie er von der Ehe dachte. Er hat die Heirat, nicht die Weiber vermieden, die nach seinen eigenen Worten ihm viel zu schaffen gemacht haben: er hat sich seiner Hamburger Jugendsünden geschämt, in Dresden einen natürlichen Sohn gehabt, der früh gestorben ist, in Venedig eine Geliebte im Stich gelassen und in Berlin »in zarten Beziehungen zu einer dem Theater angehörenden Dame gestanden«, die er noch in seinem Testamente bedacht hat.165 In seinen späteren Schriften erscheint er, wie es dem Pessimisten ziemt, als der ausgemachteste Misogyn.
III. Literarische Pläne und Arbeiten
1. Übersetzungspläne
So sah sich unser Philosoph auf ein einsames, der Meditation und den literarischen Beschäftigungen gewidmetes Leben angewiesen. Auch in dieser Hinsicht war die Berliner Periode bisher steril geblieben. Während seines letzten Aufenthaltes in Dresden hatte er den Plan gehabt, einige Schriften des englischen Philosophen David Hume und des italienischen Philosophen Giordano Bruno ins Deutsche zu übersetzen; bei diesem hatte er die Schrift »Della causa, principio ed uno«, bei jenem »The natural history of religion« und »Dialogues on natural religion« ins Auge gefasst, da man aus einer Seite von Hume mehr lernen könne als aus sämtlichen Werken von Schleiermacher, Hegel und Herbart (1824).
Angemessener aber und seiner würdiger war es, wenn er, der deutsche Philosoph, dem die englische Sprache beinahe zur zweiten Muttersprache geworden, den größten aller deutschen Philosophen ins Englische übersetzte. Er war daher lebhaft überrascht und erfreut, als er in der »Foreign Review« einem Artikel über Damirons Geschichte der Philosophie in Frankreich begegnete (Juli 1829), worin der Wunsch nach einer englischen Übersetzung der Hauptwerke Kants ausgesprochen wurde. Der ungenannte Verfasser des Artikels war Francis Haywood in Liverpool. An diesen schrieb Schopenhauer und legte ihm, einleuchtend und wohlgeordnet, alle Gründe dar, aus denen er bereit sei, das gewünschte Werk auszuführen: Deutschland habe während des letzten Jahrhunderts zwei Genies wahrhaft ersten Ranges hervorgebracht: Kant und Goethe; die vielgenannten Nachfolger Kants seien mit diesen nicht zu vergleichen, und der gegenwärtige Philosoph, der von sich reden mache, Hegel, »a mere swaggerer and charlatan«. Die Deutschen seien unfähig, Kant zu verstehen und zu würdigen; die Engländer dagegen wären es imstande, denn sie seien die intelligenteste Nation in Europa; freilich sei das Verständnis Kants sehr schwierig, denn seine Meditationen wären die tiefsinnigsten, die je in eines Menschen Kopf gekommen. Nun habe er sein Leben metaphysischen Betrachtungen gewidmet und seit zehn Jahren als Lehrer der Logik und Metaphysik der Berliner Universität angehört, wie deren Lektionsverzeichnisse ausweisen; der geniale Jean Paul habe sein Werk ein genial philosophisches, kühnes, vielseitiges Werk voll Scharfsinn und Tiefsinn genannt; und von allen Schriften über Kants Lehre, die sich auf tausend belaufen, habe der Theologe Baumgarten-Crusius in seiner christlichen Sittenlehre nur zwei hervorgehoben: Reinholds Briefe über die kantische Philosophie und die Kritik der letzteren von Schopenhauer.166