Mami Bestseller 12 – Familienroman. Gisela Reutling
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Später, als sie Heike zurückgebracht und wieder zu Hause war, sagte Cornelia zu ihrem Vater: »Ich möchte nur wissen, was aus dem Kind mal werden soll, wenn die Mutter nicht mehr ist.«
»Wenn sie noch eine Schwester in Amerika hat, sollte man doch annehmen, dass diese sich um das Kind kümmern wird«, meinte Bruno Meinrad bedächtig.
An diesem Abend, ihrem letzten Nachtdienst für den Monat, sprach Cornelia Frau Berger darauf an. Sie hatten sich vorher über Heike unterhalten, was für ein liebes, verständiges Kind sie doch sei. »Man muss sie einfach gernhaben«, äußerte Cornelia, und, um zum Thema zu kommen: »Kennt Heike ihre Tante in Amerika eigentlich?«
»Ja, aber sie war noch sehr klein, als wir mal dort waren, kaum drei Jahre. Monika hatte mir das Flugticket geschickt. Sie war da gerade ein Jahr verheiratet und wollte mir zeigen, wie sie nun lebte als Luxusfrau …«
»Luxusfrau?«, wiederholte Cornelia fragend.
Renate Berger nickte schwach. »Meine Schwester hat einen sehr reichen Mann geheiratet, der sie auf Händen trägt. Sie hat ihn auf einer Internationalen Messe kennengelernt, wo sie als Hostess arbeitete. Er hat sie dann einfach mitgenommen nach Kalifornien. Es war Liebe auf den ersten Blick, sozusagen.«
»Wenn Ihre Schwester in so guten Verhältnissen lebt, dann müsste es doch leicht für sie sein, hierherzukommen. Geschwister hängen doch im Allgemeinen aneinander, besonders, wenn sie ihre Eltern früh verloren haben.«
»Früher, ja«, sprach die Patientin leise, »aber inzwischen ist das anders geworden. Wir hören nur wenig voneinander. Die Entfernung, wissen Sie, und die ganz verschiedenen Lebensumstände – da wird man sich schon fremd.«
Cornelia vermochte das nicht ganz einzusehen. Sie versuchte, sich ein Bild von dieser Frau in Amerika zu machen. »Hat Ihre Schwester ein Kind?«, erkundigte sie sich.
»Ach nein«, antwortete Renate Berger nur.
»Will sie keine Kinder?«, fragte Cornelia weiter.
»Ich weiß nicht«, zögerte die andere. »Die Monika vielleicht schon … Aber das kann ja noch werden. Sie ist drei Jahre jünger als ich«, fügte sie hinzu.
»Ich kann mir ungefähr denken, worauf Sie hinauswollen, Frau Doktor«, kam es schleppend über ihre Lippen. »Aber meine Heike wäre nicht glücklich dort. Abgesehen davon, dass es sicher auch gar nicht infrage käme. Äußerlich, ja, da ist es ein Paradies, aber drinnen ist es kalt. Wissen Sie …, das ist komisch …, in kleinen Wohnungen kann es wärmer sein als in einer Prunkvilla.«
Sie wandte den Blick ab und starrte gegen die Decke. »Manchmal wünschte ich, ich könnte sie mitnehmen, meine Heike«, flüsterte sie gequält.
Cornelia erschrak.
»Das dürfen Sie nicht denken, Frau Berger. Ein schönes gesundes Kind hat ein Recht auf sein Leben. Es findet sich immer ein Ausweg.«
Worte, dachte sie, als sie das Zimmer verließ, nachdem sie der Schwerkranken ihr Schlafmittel verabreicht hatte. Mehr als Worte konnten es nicht sein, und sie spendeten keinen Trost.
Am Sonntag, nach dem Besuch bei ihrer Mutter am frühen Nachmittag, fuhr Cornelia Heike nicht sofort wieder zu Frau Hoppe, sondern sie nahm sie mit zu sich nach Hause. In der stillen Wohnung bei der betagten Nachbarin war sie noch lange genug.
»Du sollst uns helfen, den Erdbeerkuchen aufzuessen, den unsere Frau Schwendtner heute für uns zum Kaffee gemacht hat«, sagte sie munter.
»Wer ist Frau Schwendtner?«, wollte Heike wissen.
Cornelia erzählte ein bisschen von dem guten Geist im Hause, von ihrem Vater, der Häuser baute und wie sie so lebten.
»Schön ist es hier«, rief Heike aus, als sie ausstiegen, und sie sah sich um, wo es viel Grün gab und hübsche Einfamilienhäuser. »Das ist lieb von dir, dass du mich mitgenommen hast und ich nicht gleich wieder zu Frau Hoppe muss. Oh, Verzeihung!« Sie legte ihr Händchen gegen den Mund, weil sie die Frau Doktor aus Versehen geduzt hatte.
»Bleib ruhig dabei, Heike.« Cornelia lächelte. »Wir kennen uns ja nun schon gut, da brauchst du mich nicht mehr zu siezen. Kannst auch Tante Cornelia zu mir sagen.«
Heike strahlte. »Cornelia, das ist ein schöner Name«, befand sie.
Das Kind wurde freundlich, ja herzlich empfangen, denn nicht nur der Hausherr, auch die Wirtschafterin wusste inzwischen um sein trauriges Schicksal. Zu viert saßen sie um den Tisch und ließen sich den frischen Kuchen munden. Bruno Meinhard fragte die Kleine nach der Schule, Frau Schwendtner erzählte von ihren Enkeln, die sie leider nur selten sah, weil sie weit weg wohnten. So waren sie bemüht, Heike abzulenken und sie Wärme und Zuwendung spüren zu lassen.
»Besuche uns nur einmal wieder«, sagte Cornelias Vater, als er merkte, dass dem Kind nach einer guten Stunde das Fortgehen schwer wurde. Das hübsche Gesichtchen schien förmlich kleiner zu werden. Heike bedankte sich artig und ging an Cornelias Hand davon, um zu Frau Hoppe zurückzukehren. Und die Mami blieb im Krankenhaus, und niemand sagte ihr, wann sie wieder heimkommen würde.
»Du hast ihr erlaubt, dich Tante zu nennen«, sprach Bruno Meinhard später mit ernster Miene zu seiner Tochter. »Wohin soll es führen, wenn sie sich zu sehr an dich anschließt, wie es jetzt schon den Anschein hat?«
Cornelia wusste keine Antwort darauf. »Du hast ja auch gesagt, sie solle wiederkommen«, hielt sie ihm entgegen.
Der Mann nickte gedankenvoll. »Sie ist so ein armes kleines Ding«, murmelte er, als erkläre das alles.
Um neunzehn Uhr war Cornelia mit Markus verabredet. Er hatte einen Tisch in ihrer beider Lieblingsrestaurant reservieren lassen, wo sie essen wollten. Sie hatten sich seit mehr als drei Wochen nicht gesehen, und Cornelia gestand es sich jetzt erst ein, dass sie ihn vermisst hatte. In seiner Gegenwart sah die Welt doch gleich ganz anders aus. Er erzählte von der Norwegenfahrt, bei der er die Reiseleitung hatte. Es war dieselbe Route wie jene, bei der sie sich kennengelernt hatten, und mancher Satz begann mit »Weißt du noch –?« Der Nordfjord, die reißenden Wasserfälle, die in den engen Talkessel stürzten – all das wurde wieder vor Cornelias geistigem Auge lebendig.
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