Gesammelte Werke von Rudyard Kipling. Редьярд Киплинг
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»Die Gläser sind Bilaur (Krystall) und werden niemals schrammig. Mögen sie Dir zu Deinem Flusse helfen, sie sind Dein!«
»Ich will sie nehmen, und die Stifte auch und das weiße Buch, als Zeichen der Freundschaft zwischen Priester und Priester – und nun« – er tappte an seinem Gürtel herum, löste den eisernen Federbehälter von durchbrochener Arbeit los und legte ihn auf des Direktors Tisch. »Das soll ein Zeichen der Erinnerung sein zwischen Dir und mir – mein Federbehälter. Es ist etwas Altes – so wie ich bin.«
Es war eine Arbeit von altem Muster, chinesisch, von einem Eisen, wie es jetzt nicht mehr gegossen wird; und das Sammlerherz in des Direktors Brust hatte sie vom ersten Augenblick an ersehnt. Um keinen Preis wollte der Lama seine Gabe zurücknehmen.
»Wenn ich zurückkehre und den Fluß gefunden habe, will ich Dir ein geschriebenes Bild von der ›Padma Samthora‹ (heilige Lotosblume) bringen – so wie ich es in der Lamaserai auf Seide zu machen pflegte. Ja – und von dem Rad des Lebens,« sprach er mit halb unterdrücktem Lachen, »denn wir beide sind Kunstkenner, Du und ich.«
Der Kurator hätte ihn gern noch zurückgehalten; denn es gibt nur wenige in der Welt, die noch das Geheimnis der althergebrachten buddhistischen Pinselfederdarstellungen besitzen, die halb geschrieben, halb gezeichnet sind. Aber der Lama schritt bereits weitausgreifend und das Haupt hoch in der Luft, hinaus, stand einen Augenblick noch still vor der großen Statue eines Bodhisat in Meditation und schob sich sodann durch das Drehkreuz.
Kim folgte ihm wie sein Schatten. Was er erlauscht, hatte ihn wild erregt. Dieser Mann war ihm, trotz aller Erfahrung, vollständig neu und er wollte ihn weiter ergründen, genau so wie er ein neues Gebäude oder eine unbekannte Festlichkeit in Lahore ausspionierte. Der Lama war sein Fund und er wollte Besitz von ihm ergreifen. Kims Mutter war nicht umsonst eine Irländerin.
Der alte Mann hielt inne bei Zam-Zammah und schaute sich um, bis sein Auge auf Kim fiel. Der Enthusiasmus seiner Pilgerfahrt war für den Augenblick gedämpft; er fühlte sich verlassen, alt und sehr hungrig.
»Nicht unter der Kanone sitzen!« fuhr ihn der Polizist grob an.
»Hu! Du Eule!« war Kims Erwiderung an des Lamas Stelle. »Setze Dich nur unter die Kanone, wenn es Dir so gefällt. Wann hast Du der Milchfrau die Pantoffeln gestohlen, Dunnoo?«
Das war eine ganz grundlose, der Eingebung des Augenblickes entsprungene Beschuldigung; aber sie machte Dunnoo verstummen, der wußte, daß Kims gellende Stimme Legionen von bösen Bazar-Buben herbeirufen Konnte, wenn’s Not tat.
»Und wen hast Du angebetet da drinnen?« frug Kim leutselig, indem er sich im Schalten neben dem Lama niederkauerte.
»Ich betete keinen an, Kind. Ich verneigte mich vor dem Vortrefflichen Gesetz.«
Kim akzeptierte diese neue Gottheit ohne Gemütsbewegung. Er kannte schon eine gehörige Anzahl.
»Und was willst Du nun tun?«
»Ich bettle. Ich entsinne mich nun, es ist lange her, daß ich aß und trank. Wie ist der Brauch in dieser Stadt, wenn man Mildtätigkeit sucht? Tut man es schweigend, wie in Tibet, oder mit Worten?«
»Die mit Schweigen betteln, verhungern im Schweigen,« antwortete Kim, ein landesübliches Sprichwort anführend. Der Lama versuchte sich zu erheben, sank aber zurück und klagte um seinen Schüler, der in weiter Ferne, in Kulu, gestorben war. Den Kopf zur Seite, beobachtete Kim überlegend und interessiert.
»Gib mir die Schale. Ich kenne die Leute in dieser Stadt, alle, die barmherzig sind. Gib mir die Schale, ich bringe sie Dir gefüllt zurück.« Einfach wie ein Kind, reichte der alte Mann ihm die Schale.
»Ruhe Du. Ich kenne meine Leute.«
Er trottete fort zu der offenen Bude einer Kunjri-Gemüsehändlerin niederer Kaste, die gegenüber der Straßenbahnlinie am Motti-Bazar stand. Die Frau kannte Kim lange genug.
»Oho« rief sie, »bist Du ein Pogi geworden, mit Deiner Bettlerschale?«
»Nein,« sagte Kim stolz. »Es ist ein fremder Priester in der Stadt – ein Mann, wie ich noch nie einen sah.«
»Alter Priester – junger Tiger,« sprach das Weib ärgerlich. »Ich hab’ die fremden Priester satt! Die fallen wie Fliegen über unsere Ware her. Ist der Vater meines Sohnes ein Brunnen der Barmherzigkeit, um allen zu geben, die betteln?«
»Nein,« antwortete Kim: »Dein Mann ist mehr ein Pagi (Brummbär) als ein Pogi (heiliger Mann). Aber dieser Priester ist neu. Der Sahib in dem Wunderhaus sprach zu ihm wie ein Bruder. O, meine Mutter, fülle mir die Schale! Er wartet!«
»Diese Schale? Meinst Du? Die hat ja einen Bauch wie eine Kuh. Du bist nicht besser als der heilige Stier des Shiwa; der hat mir heute früh schon das Beste von einem Korb voll Zwiebeln aufgefressen, und dann soll ich noch Deine Schale füllen? Da kommt er schon wieder.«
Der ungeheure, mausgraue Brahmini-Stier schob sich mit auf-und niederschaukelnden Schultern durch die vielfarbige Menge, ein gestohlenes Bananenbüschel im Maule. Er hielt gerade auf die Bude zu, sich seiner Privilegien als geheiligtes Tier wohl bewußt, senkte den Kopf und schnüffelte heftig an der Reihe von Körben herum, ehe er seine Wahl traf. Da flog Kims holzbeschuhter kleiner Fuß in die Luft und traf ihn auf die feuchte blaue Schnauze. Er grunzte ärgerlich und stapfte über die Bahnschienen zurück; sein Widerrist zitterte vor Wut.
»Sieh, ich habe Dir mehr gespart, als es kostet, wenn Du die Schale dreimal füllst. Nun, Mutter, ein wenig Reis und getrockneter Fisch obenauf – ja, und etwas Curry-Gemüse.«
Ein Knurren kam aus dem Hintergrund der Bude, wo der Mann lag.
»Er hat den Stier vertrieben,« sagte die Frau halblaut. »Es ist gut, den Armen zu geben.« Sie nahm die Schale und gab sie, mit heißem Reiß gefüllt, zurück.
»Aber mein Pogi ist keine Kuh,« sagte Kim ernsthaft, mit seinen Fingern ein Loch in den Reisberg machend. »Ein wenig Curry ist gut, und ein gebackener Kuchen und etwas eingemachte Frucht würden ihm behagen.«
»Das Loch ist so groß wie Dein Kopf,« sprach murrend das Weib. Aber sie füllte es trotzdem mit gutem, heißem Currygemüse, klappte einen getrockneten Kuchen oben darauf mit einem Stückchen geklärter Butter, legte ein Häufchen Tamarinden-Konserve an die Seite – und Kim betrachtete wohlgefällig die Ladung.
»So ist’s gut, wenn ich im Bazar bin, soll der Ochs nicht wieder an diese Bude kommen. Er ist ein frecher Bettelmann.«
»Und Du?« lachte die Frau. »Aber sprich nicht schlecht von Ochsen. Hast Du mir nicht gesagt, daß eines Tages ein Roter Ochse aus einem Felde kommen wird, um Dir zu helfen? Nun halte alles gerade und fordere des heiligen Mannes Segen für mich. Vielleicht weiß er auch ein Mittel, die kranken Augen meiner Tochter zu heilen? Fordere auch dies, Du kleiner Allerweltsfreund.«
Doch Kim war fortgetanzt vor dem Ende dieser Rede, herrenlosen Hunden und hungrigen Bekanntschaften aus dem Wege gehend.
»So betteln wir, die wir die Sache verstehen, sprach er stolz zu dem Lama, der die gefüllte Schale erstaunt betrachtete. »Iß nun und – ich will mit Dir essen. Heda! Bhisti!« er rief dem Wasserträger, der die Erotons (Krebsblumen) bei dem Museum begoß, »bring’ Wasser. Wir Männer