Gesammelte Werke von E. T. A. Hoffmann. E. T. A. Hoffmann
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Ich. Deine Ansichten von der Kunst und von dem Theater, lieber Berganza, möchten manchen Widerspruch finden, wiewohl vorzüglich das, was du von der Kenntnis des Menschen und der Menschen sagst, mir recht gut eingeht, und ich darin den Grund finde, warum die Schau- und Lustspiele eines gewissen Dichters, der zugleich praktischer Schauspieler war, momentan so hochgeachtet und so bald vergessen wurden; das gänzliche Vorübergehen seiner Periode noch während seines Lebens hatte seine Fittiche dermaßen gelähmt, daß er sie nicht mehr zum neuen Fluge zu schwingen vermochte.
Berganza. Der Dichter, von dem du sprichst, trägt auch größtenteils die Schuld der Sünde, welche als unabwendbare Folge den Fall unseres Theaters nach sich zog. – Er war einer der Koryphäen jener langweiligen, weinerlichen, moralisierenden Sekte, die mit ihrem Tränenwasser jeden emporblitzenden Funken der wahren Poesie auszulöschen strebten. – Er bot uns in reichlicher Fülle die verbotenen Apfel dar, deren Genuß uns das Paradies kostete.
Ich. Aber man kann ihm eine gewisse lebensvolle Darstellung nicht absprechen.
Berganza. Die aber mehrenteils in dem geschraubten Dialog sich selbst wieder vernichtet. Mir ist es, als wenn er lebhaft aufgefaßte individuelle Züge einzelner Personen so wie ein fremdes Kleid sich selbst angepaßt, alsdann so lange daran geschnörkelt und geschnitten, bis sie ihm gerecht waren, und in der Art seine Charaktere geschaffen hätte. Wie es da um die innere poetische Wahrheit stehen muß, kannst du leicht selbst ermessen.
Ich. Indessen waren doch seine Intentionen meistenteils gut.
Berganza. Ich hoffe, daß du das Wort Intention nicht in dem höhern Sinn der Kunstsprache nimmst, sondern nur den wenigstens scheinbar moralischen Zweck der Schauspiele jenes Dichters darunter verstehst, und da muß ich dir gestehen, daß vielleicht, abgesehen von aller Kunst, von allem Poetischen, jene Schauspiele in der Absicht und dem Erfolg wirklich den erbaulichen Fastenpredigten an die Seite zu stellen sind, die den Gottlosen mit der Hölle drohen und den Frommen den Himmel versprechen; nur hat der Dichter den Vorteil, als Handhaber und Vollstrecker der poetischen Gerechtigkeit nach Befund gleich mit dem Schwerte selbst dreinschlagen zu können. Belohnung und Strafe, Geldbörsen und Geheimderatstitel, bürgerliche Schande und Festung, alles ist in Bereitschaft, sobald sich der Vorhang vor dem fünften Akte hebt.
Ich. Mich wundert, daß in diesen Dingen noch eine gewisse Varietät stattfinden kann.
Berganza. Warum das nicht! – Wäre es nicht für unsere Dichter eine herrliche fruchtbare Idee gewesen, die zehn Gebote zyklisch in Schauspielen zu behandeln? – Die beiden Gebote: »Du sollst nicht stehlen«, und »du sollst nicht ehebrechen«, sind schon ganz artig theatralisch ausgeführt worden, und es käme nur darauf an, solche Gebote, als z.B. »du sollst nicht begehren etc.«, schicklich einzukleiden.
Ich. Vor einiger Zeit klang der Einfall weniger ironisch als jetzt. Doch wie war es möglich, daß jene weinerliche, moralisierende Periode bis zur höchsten Stufe der unerträglichsten Langeweile sich nicht mit einem allgemeinen Auflehnen dagegen, mit einer plötzlichen Revolution endigen konnte, sondern nach und nach verbleichen und verlöschen mußte?
Berganza. Ich glaube nicht, daß ihr Deutsche, selbst bei dem schwersten Druck, zum Aufstande dagegen durch einen plötzlichen Blitz aufzuregen seid. Indessen würde die Sache doch anders und zwar eindringender, schneller gegangen sein, wenn ein herrlicher Dichter, der euch noch manchmal bis in das Innerste hinein erfreuen wird, damals seinen gerechten Abscheu gegen die armseligen Bretter überwunden und uns ein Märchen, wie Gozzi das Märchen von den drei Pomeranzen, von der Bühne herab erzählt hätte. – Wie es nur an ihm lag, mit der ihm zu Gebote stehenden unendlichen poetischen Kraft das jämmerliche Kartenhaus einzuschießen, zeigt die Wirkung, ja die gänzliche Revolution in allen dem Theater befreundeten poetischen Gemütern, die sein polemisches, in Form des Lustspiels abgefaßtes Märchen hervorbrachte, das, wenn alle Beziehungen längst fremd geworden sind, als ein für sich bestehendes ergötzliches Produkt nicht ohne das innigste Behagen gelesen werden wird.
Ich. Ich merke, daß du den »Gestiefelten Kater« meinst, ein Buch, was mich schon damals, als ich noch von den unglückseligen Erscheinungen jener Periode befangen, mit dem reinsten Vergnügen erfüllte. – Warum springst du so, Berganza?
Berganza. Ach! – es ist der Aufheiterung wegen! – Ich will mir all die verfluchten Erinnerungen an das Theater aus dem Sinne schlagen und ein Gelübde tun, mich nie mehr darauf einzulassen. – Am liebsten ginge ich zu meinem Kapellmeister.
Ich. So nimmst du also das Anerbieten, bei mir zu bleiben, nicht an?
Berganza. Schon deshalb nicht, weil ich mit dir gesprochen. Es ist überhaupt nicht ratsam, jemanden alle Talente, die man besitzt, zu enthüllen, weil dieser dann das wohlerworbene Recht zu haben glaubt, sie in Anspruch zu nehmen, wie er nur mag. So könntest du nun oft von mir verlangen, daß ich mit dir sprechen sollte.
Ich. Weiß ich denn aber nicht, daß es nicht von dir abhängt, zu sprechen, wann du willst?
Berganza. Wenn auch! – Du könntest es oft für Eigensinn halten, wenn ich hartnäckig schwiege, unerachtet es mir in dem Augenblick unmöglich sein dürfte, menschlich zu schwatzen. Verlangt man nicht oft von dem Musiker, er solle spielen, – von dem Dichter, er solle Verse machen, sind auch Zeit und Umstände so ungünstig, daß es unmöglich ist, dem Zudringlichen zu genügen? Und doch schilt man dann jede Weigerung Eigensinn. – Kurz! – ich bin dir mit meinen besondern Gaben und Eigenheiten zu bekannt geworden, als daß auf ein näheres Verhältnis zwischen uns zu rechnen wäre. Überdem habe ich mein Unterkommen schon gefunden, laß uns also davon abbrechen.
Ich. Es ist mir unlieb, daß du so wenig Zutrauen zu mir hast.
Berganza. Du bist also auch neben deinem Musiktreiben Schriftsteller – Dichter?
Ich. Ich schmeichle mir bisweilen –
Berganza. Schon genug – ihr taugt alle nicht viel, denn der reine, einfarbige Charakter ist selten.
Ich. Was willst du damit sagen?
Berganza. Nächst denen, die nur im äußern Prunkstaat der Poesie erscheinen, nächst euern geleckten Männlein, euern gebildeten gemüt- und herzlosen Weibern, gibt es noch welche, die von innen und außen gesprenkelt sind und in mehreren Farben schillern, ja bisweilen wie das Chamäleon die Farben wechseln können.
Ich. Noch immer verstehe ich dich nicht –
Berganza. Sie haben Kopf – Gemüt – aber nur dem Geheiligten entfaltet die blaue Blume willig ihren Kelch!
Ich. Was willst du mit der blauen Blume?
Berganza. Eine Erinnerung an einen verstorbenen Dichter, der zu den reinsten gehörte, die jemals gelebt. Wie Johannes sagte, leuchteten in seinem kindlichen Gemüte die reinsten Strahlen der Poesie, und sein frommes Leben war ein Hymnus, den er dem höchsten Wesen und den heiligen Wundern der Natur in herrlichen Tönen sang. Sein Dichtername war: Novalis!
Ich. Viele hielten