Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten. Stefan Zweig
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In eine Nußschale also kann man den eigenpersönlichen Ideengehalt des »Hyperion« eindrängen: aus der lyrischen Erhobenheit des rauschenden Worts löst sich eigentlich nur ein einziger Gedanke, und dieser Gedanke ist – wie immer bei Hölderlin – im wesentlichen ein Gefühl, sein einziges Erlebensgefühl von der Unvereinbarkeit der äußern mit der innern Welt, die dualistische Disharmonie des Lebens. Das Innen und Außen nun zusammenzuschließen in eine höchste Form der Einheit und Reinheit, die »Theokratie des Schönen« auf Erden zu begründen – das wird nun die idealische Aufgabe des einzelnen und der Welt. »Heilige Natur, du bist dieselbe in uns und außer uns. Es muß nicht so schwer sein, was außer mir ist zu vereinen mit dem Göttlichen in uns« – so betet sich der Jüngling, der Schwärmer Hyperion in die erhabene Religion der Vereinung empor. In ihm atmet nicht Schellings kalter Wortwille, sondern – man verzeihe das zufällige Wortspiel – Shelleys brünstiger Wille nach elementarischer Vermischung mit der Natur, oder die Sehnsucht des Novalis, die dünne Membran zwischen Welt und Ich zu sprengen, um wollüstig überzufließen in den warmen Leib der Natur. Neu nun und eigenartig in diesem Urwillen des Dichters nach Alleinheit des Lebens und Allreinheit der Seele erscheint bei Hölderlin einzig der Mythos von einem seligen Lebensalter der Menschheit, da dieser Zustand arkadisch unbewußt war und der religiöse Glaube an ein »zweites Lebensalter der Menschheit«. Was einst die Götter schenkten und die Unwissenden sinnlos verspielten, diesen heiligen Zustand erschafft sich wieder im Fron von Jahrhunderten der ringende Geist. »Von Kinderharmonie sind die Völker ausgegangen, die Harmonie der Geister wird der Anfang einer neuen Weltgeschichte sein. Es wird nur Schönheit sein und Mensch und Natur sich vereinigen in eine allumfassende Gottheit.« Denn – so folgert Hölderlin mit einer überraschenden Eingebung – kein Traum kann dem Menschen zufallen, dem nicht irgendeine Wirklichkeit entspräche. »Ideal ist, was einmal Natur war.« So muß die halkynische Welt einmal gewesen sein, da wir sie ersehnen. Und da wir sie ersehnen, so erschafft sie noch einmal unser Wille. Dem Griechenland der Geschichte müssen wir ein neues zur Seite zeugen, ein Griechenland des Geistes: selbst sein edelster deutscher Ahnherr, bildet Hölderlin diese neue Allheimat im Gedicht.
In allen Sphären sucht nun Hölderlins jugendlicher Bote diese »schönere Welt«. Hyperions erstes Ideal (er ist ja Hölderlins leuchtender Schatten) wird die Natur, die allvereinende; aber auch sie vermag die eingeborne Schwermut des ewig Suchenden nicht zu lösen. So sucht er weiter die Verschmelzung in der Freundschaft: auch sie füllt nicht das Unmaß seines Herzens. Dann scheint die Liebe ihm die selige Bindung zu gewähren: doch Diotima schwindet, und so sinkt dieser kaum begonnene Traum. Nun soll es das Heldentum, der Kampf um die Freiheit sein: aber auch dies Ideal zerschellt an der Wirklichkeit, die Krieg zur Plünderung, Roheit und Mord erniedrigt. Bis in die Urheimat folgt der sehnsüchtige Pilgrim seinen Göttern: aber Griechenland ist nicht Hellas mehr, ein ungläubiges Geschlecht entheiligt die mystische Stätte. Nirgends findet Hyperion, der Schwärmer, mehr Ganzheit, nirgends Einklang, ahnend erkennt er das furchtbare Los, zu früh oder zu spät in diese Welt gekommen zu sein, er ahnt die »Unheilbarkeit des Jahrhunderts«. Die Welt ist ernüchtert und zerstückt.
Aber die Sonne des Geists, die schönere Welt, ist hinunter, Und in frostiger Nacht zanken Orkane sich nur.
Und wie ihn nun, einem urmächtigen Zorne nachgebend, Hölderlin noch nach Deutschland jagt, wo er selbst im einzelnen Menschen noch den Fluch des Zerteiltseins, der Spezialisierung, der Loslösung vom heilig Ganzen des Lebens erfährt, da erhebt Hyperions Stimme sich zu furchtbarster Warnung. Es ist, als sähe der Seher die ganze Gefahr des Abendlandes aufsteigen, den Amerikanismus, die Mechanisierung, die Entseelung des aufsteigenden Jahrhunderts, von dem er so glühend die »Theokratie des Schönen« erhofft.
Ans eigene Treiben Sind sie geschmiedet allein, und sich in der tosenden Werkstatt Höret jeglicher nur… doch immer und immer Unfruchtbar wie die Furien bleibt die Mühe der Armen.
Hölderlins Unverbundenheit mit der Gegenwart wird zur Kriegserklärung an die Zeit, an die Heimat, als er sieht, daß in Deutschland noch nicht sein Neugriechenland, sein »Germanien« erscheint, und so erhebt er, der Gläubigste seines Volkes, die Stimme zu fürchterlicher Verfluchung, die härter ist als alle Worte, die je ein Deutscher in verstümmelter, zerstückelter Liebe über sein Volk gesagt. Der als Suchender in die Welt ausgezogen, flüchtet als Enttäuschter in sein Jenseits, in die Ideologie zurück. »Ich habe ihn ausgeträumt, von Menschendingen den Traum.« Aber wohin flüchtet Hyperion? Der Roman hat keine Antwort. Goethe im Wilhelm Meister, im Faust hatte geantwortet: in die Tätigkeit; Novalis: ins Märchen, in den Traum, in die gläubige Magie. Hyperion, der bloß Fragende, nie Schaffende, bleibt ohne Antwort: er »ahnt nur, ohne zu finden«.
Musik einer Ahnung – das ist Hyperion, nicht mehr, kein wahres Gesicht, kein vollkommenes Werk. Auch ohne philologische Perkussion fühlt man deutlich, daß hier verschiedene Schichtungen der Jahre und des Empfindens chaotisch durcheinandergehen, daß die Schwermut eines Enttäuschten im Zustand tiefster Depression mißmutig vollendet, was der Jüngling im Rausch begeisterten Planens freudig begonnen. Herbstmüdigkeit liegt über dem zweiten Teil des Romanes: das klingende Licht der Hölderlinschen Ekstase dämmert nur dunkel hin, und mühsam erkennt man »die Trümmer einst gedachter Gedanken« in der vorbrechenden Düsternis. Ein Torso seiner Jugend ist Hyperion, ein nicht zu Ende geträumter Traum – aber alles Ungetane und Vertane schwindet unmerklich hin in dem herrlichen Rhythmus der Sprache, die in Düsternis wie in Begeisterung gleich rein und selig die Sinne bemeistert. Nichts Reineres hat die deutsche Prosa, nichts Beschwingteres als diese tönende Welle, die nicht einen einzigen Atemzug lang aussetzt: kein deutsches dichterisches Werk hat eine solche Durchgängigkeit des Rhythmus, eine solche Statik der aufgeschwungenen Melodie. Alles erfüllt, durchdringt und hebt diese aufrauschende, auftragende Prosa, sie bauscht die Gewänder der unwahrhaftigen Gestalten, daß sie zu schweben und wahrhaft zu leben scheinen, sie füllt die armen Ideen mit so starkem sprachlichem Schwung, daß sie wie Erkenntnis des Himmels dröhnen, die Landschaften, die ungesehenen, blühen, umschwungen von dieser Musik, wie farbiger Traum. Hölderlins Genius kommt immer vom Unfaßbaren, vom Inkommensurablen: immer hat er eine Schwinge, immer stürzt er von einer obern Welt in das staunend bewältigte Herz. Immer siegt er, der Schwächste der Kunst und des Lebens, durch Reinheit und Musik.
Der Tod des Empedokles
und Klar wie die ruhigen Sterne gehen Aus langem Zweifel reine Gestalten auf
Empedokles ist die heroische Steigerung des Hyperiongefühls, nicht mehr Elegie der Ahnung, sondern Tragik des Schicksalerkennens: was dort lyrisch ausklingt im Schicksalsliede, rauscht hier empor zu dramatischer Rhapsodie. Aus dem Träumer, dem ratlosen Sucher ist der Held, der wissende und furchtlose, geworden: eine Stufe, eine gewaltige, ist Hölderlin, seit ihm »die ganze Seele beleidigt war«, emporgeschritten zur freiwilligen, antikisch frommen Hingabe an das Geschick. Darum ist die geheimnisvolle Trauer, die beide Werke musikalisch überschwebt, eine so durchaus andersfarbene, im Hyperion nur morgendliche Trübe, im Empedokles aber schon finstere, schicksalsträchtige Gewitterwolke. Schicksalsgefühl ist jetzt heroisch gesteigert zum Untergangsgefühl: ging es Hyperion dem Träumer noch um das edle Leben, um Reinheit und Einheit der Existenz, so fordert Empedokles, in dem alle Träume ausgelöscht sind in ein erhabenes Wissen, nicht mehr ein großes Leben, sondern nur großen Tod.
Darum überragt die Gestalt des Empedokles um ein so Sichtliches den schmächtigen, wirren Schwärmer Hyperion: höherer