Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten. Stefan Zweig

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Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten - Stefan Zweig

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seinem letzten Wort, mit seinem letzten Atem ist Hölderlin noch Lobkünder des Schicksals, unerschütterlich frommer Diener der heiligen Notwendigkeit.

      Niemals war der Dichter bei Hölderlin, der hohe Gestalter so nahe der griechischen Welt wie in dieser Tragödie, die mit ihrem Zwiesinn von Opferhandlung und festlicher Erhebung stärker und reiner als irgendeine andere deutsche die heroische Höhe der Antike erreicht. Was Goethe im Tasso mißlungen, weil er des Dichters Qual nur in bürgerlichen Nöten faßte, im Ressentiment der Eitelkeit, des Klassendünkels und überheblichen Liebeswahns, das wird hier durch Reinheit des tragischen Elements mythisch wahr: Empedokles ist als Genius vollkommen entpersönlicht und seine Tragödie die Tragödie der Dichtung, des Schaffens schlechthin. Nicht ein Staubkorn eitler Episode, nicht ein Fleckchen theatralischen Füllsels beschmutzen den rauschenden Faltenwurf dieses dramatischen Schreitens, keine Frauen hemmen mit erotischer Verstrickung den Aufstieg, nicht Diener und Knechte mengen sich ein in den furchtbaren Konflikt des Einsamen mit den geliebten Göttern: wie bei der Frommheit Dantes, Calderons und der Antike ist ungeheurer Raum gläubig aufgeschlagen über dem einzelnen Geschick, und so steht es zwischen dem offenen Himmel der Zeiten. Keine Tragödie der Deutschen hat so viel Himmel über sich wie diese, keine wächst so naturhaft aus bretternem Hause der Agora, dem offenen Markte, dem Fest, der Opferhandlung entgegen: in diesem Fragment (und jenem andern noch, dem Guiskard) ist die antike Welt noch einmal wahr geworden durch leidenschaftlichen Willen der Seele.

      Das Hölderlinsche Gedicht

       Inhaltsverzeichnis

       Ein Rätsel ist Reinentsprungenes. Auch Der Gesang kaum darf es enthüllen. Denn Wie du anfingst, wirst du bleiben.

      Von der griechischen Vierzahl der Elemente – Feuer, Wasser, Luft und Erde – hat das Hölderlinsche Gedicht nur drei: die Erde fehlt darin, die trübe und haftende, die bindende und bildende, Sinnbild der Plastik und Härte. Sein Gedicht ist aus dem Feuer gestaltet, das flackernd nach oben fährt, Sinnbild des Aufschwungs, der ewigen Himmelfahrt, es ist leicht wie die Luft, ewige Schwebe, Wolkenwanderung und tönender Wind, und es ist rein wie das Wasser, diaphan. Alle Farben glüht es durch, immer ist es bewegt, ein unablässiges Hinauf und Hinab, ewiges Atmen des schöpferischen Geistes. Sie haben keine Wurzeln nach unten, seine Verse, keine Haft im Erlebnis, sie heben sich immer feindlich ab von der schweren fruchthaften Erde: etwas Heimatloses, Ruheloses ist ihnen allen zuteil, etwas von himmelhin wandernden Wolken, die bald das Frührot der Begeisterung anglüht, bald der Schatten er Schwermut dunkel macht, und oft fährt aus ihrer düster geballten Dichte der zündende Blitz und der Donner der Wahrsagung. Aber immer wandern sie oben, in der höheren, der ätherischen Sphäre, immer abgelöst von der Erde, unerreichbar der sinnlichen Belastung, fühlbar nur dem Gefühl. »Im Liede wehet ihr Geist«, sagt Hölderlin einmal von den Dichtern, und in diesem Wehen und Schweben löst sich Erlebnis in Musik so vollkommen auf wie Feuer im Rauch. Alles ist aufwärts gerichtet: »Durch Wärme treibt sich der Geist empor« – durch Verbrennung, Verdunstung, Verklärung des Stofflichen sublimiert sich das Gefühl. Dichtung ist im Hölderlinschen Sinn immer also Auflösung der festen, der erdhaften Materie in Geist, Sublimierung der Welt in den Weltgeist, niemals aber Verdichtung, Ballung und Verirdischung. Goethes Gedicht, selbst das geistigste, hat immer noch Substanz, es fühlt sich fruchthaft an, man kann es rund mit allen Sinnen umfassen (indes jenes Hölderlins entschwebt). Mag es noch so sublimiert sein, so fehlt ihm nie jener Rest warmer Körperlichkeit, ein Aroma von Zeit, von Lebensalter, ein salziger Schmack von Erde und Schicksal: immer ist ein Teil des Individuums Johann Wolfgang Goethes darin, und ein Stück seiner Welt. Hölderlins Gedicht entindividualisiert bewußt – »das Individuelle widerstreitet dem Reinen, welcher es begreift«, sagt er dunkel und doch offenbar. Durch diesen Mangel an Materie hat nun sein Gedicht eine besondere Statik, es ruht nicht kreishaft in sich selbst, sondern hält sich wie ein Flugzeug nur durch den Schwung: immer überkommt einen die Empfindung des Engelhaften – dies Reine, Weiße, Geschlechtlose, Schwebende, dies nur wie Traum Über-die-Welt-Hinfahren, dies selig Gewichtlose und Erlöste in seiner eigenen Melodie. Goethe dichtet von der Erde aus, Hölderlin über die Erde hinweg: Poesie ist ihm (wie Novalis, wie Keats, wie all den Genien, den frühgestorbenen) Überwindung der Schwerkraft, Zergehen des Ausdrucks in Klang, Heimkehr ins flutende Element.

      Die Erde aber, die schwere, harte, dies vierte Element des Alls, sie hat – ich sagte es schon – nicht teil an dem beflügelten Gebilde des Hölderlinschen Gedichtes: sie ist für ihn immer nur das Untere, das Gemeine, das Feindselige, dem er sich entringt, die Schwerkraft, die ihn ewig an seine Irdischkeit gemahnt. Aber auch die Erde enthält heilige Kunstkraft für den Bildner, sie bringt Festigkeit, Umriß, Wärme und Wucht, göttlichen Überfluß für den, der ihn zu nützen weiß. Baudelaire, der ganz aus der Gegenständlichkeit irdischen Materials mit gleicher geistiger Leidenschaft bildet, ist vielleicht da der vollkommene lyrische Gegenpol Hölderlins. Seine Gedichte, die ganz aus Komprimierung geschaffen sind (indes jene aus Auflösung), sind als Plastiken des Geistes ebenso standhaft vor dem Unendlichen wie Hölderlins Musik, ihre Kristallhaftigkeit von Wucht nicht minder rein als Hölderlins weiße Durchsichtigkeit und Schwebe – sie stehen einander Stirn an Stirn gegenüber wie Erde und Himmel, Marmor und Wolke. In beiden aber ist die Steigerung und Verwandlung des Lebens in Form, in plastische oder musikalische, eine vollkommene: was zwischen ihnen in unendlichen Varianten der Gebundenheit und Lösung flutet, ist herrlicher Übergang. Sie aber sind die Grenzen, das Äußerste der Ballung, das Äußerste der Auflösung. In Hölderlins Gedicht ist dies Zergangensein des Konkreten – oder wie er schillerisch sagt: »die Verleugnung des Akzidentiellen« – so vollkommen, das Gegenständliche so restlos vernichtet, daß die Titel oft gänzlich leer und zufällig über den Versen haften; man lese einmal zur Probe die drei Oden an den Rhein, an den Main und an den Neckar, um zu fühlen, wie sehr die Entpersönlichung auch der Landschaft in ihm fortschreitet: der Neckar rollt ins attische Meer seines Traums, und Griechentempel blinken an den Ufern des Mains. Sein eigenes Leben löst sich auf zum Symbol, Susanne Gontard entsinnlicht sich zu Diotimas ungewissem Bildnis, die deutsche Heimat zu einem mystischen Germanien: keine Spur Irdischkeit, keine Schlacke eigenen Schicksals bleibt zurück von dem lyrischen Verbrennungsprozeß. Bei Hölderlin verwandelt sich nicht (wie bei Goethe) Erlebnis ins Gedicht, sondern es entschwindet, es verdunstet im Gedicht, es löst sich vollkommen, ja spurlos auf in Wolke und Melodie. Hölderlin verwandelt nicht Leben zur Poesie, sondern er entflieht dem Leben ins Gedicht, als in die höhere, die wahrere Wirklichkeit seiner Existenz.

      Dieser Mangel an Erdkraft, an sinnlicher Bestimmtheit, an plastischen Formen entkörpert aber nicht nur das Objektive, das Gegenständliche des Hölderlinschen Gedichts: auch das Medium, auch die Sprache selbst ist nicht mehr erdhafte, fruchthafte, schmackhafte, mit Farbe und Gewicht durchsättigte Substanz, sondern eine bloß durchscheinende wolkige weiche Materie. »Die Sprache ist ein großer Überfluß«, läßt er einmal seinen Hyperion sagen, aber sehnsüchtigen Erkennens nur; denn Hölderlins Vokabular ist durchaus nicht reich, weil er sich weigert, aus dem vollen Strom zu schöpfen: nur aus den reinen Quellen, sparsam und nüchtern hebt er die erlesenen Worte. Sein lyrisches Sprachgut stellt vielleicht kaum ein Zehntel von Schillers, kaum ein Hundertstel von Goethes etymologischem Wortschatz dar, der mit fester und niemals prüder Hand in den Mund des Volkes und des Marktes griff, ihm seine Formung wegzufassen und bildnerisch sich zu erneuern. Hölderlins Wortquell, so unsagbar rein und gesiebt er ist, hat durchaus nichts Strömendes und vor allem keine Vielfalt, keine Nuancen.

      Er selbst ist sich dieser eigenwilligen Einschränkung und der Gefahr dieses Verzichts auf das Sinnliche vollkommen klar bewußt. »Es fehlt mir weniger an Kraft wie an der Leichtigkeit, weniger an Ideen wie an Nuancen, weniger an einem Hauptton als an mannigfach geordneten Tönen, weniger an Licht wie an Schatten, und das alles aus einem Grunde: ich scheue das Gemeine und Gewöhnliche im wirklichen Leben zu sehr.« Eher bleibt er arm, eher läßt er die Sprache in gebanntem Kreise, als von der Fülle der gemengten Welt ein Quentchen in seine heilige Sphäre hinüberzunehmen. Ihm ist es wesentlicher, »ohne

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