Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten. Stefan Zweig
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten - Stefan Zweig страница 164
So gibt es in der Pathologie Hölderlins keinen deutlich markierten Zusammenbruch, keine scharfe Grenzlinie von geistig gesund und geistig erkrankt. Hölderlin brennt ganz allmählich innen aus, die dämonische Macht verzehrt seine wache Vernunft nicht plötzlich wie ein Waldbrand, sondern wie ersticktes kohlendes Feuer. Nur ein Teil, eben der göttliche seines Wesens und der dem Dichterischen am meisten verbundene, widersteht wie Asbest: sein dichterischer Tiefsinn überlebt den Wahnsinn, die Melodie die Logik, der Rhythmus das Wort: so ist Hölderlin vielleicht der einzige klinische Fall, wo die Dichtung die Vernunft überdauert und absolut Vollendetes im Zustand der Zerstörung entsteht – wie manchmal (ganz selten) auch in der Natur ein vom Blitz getroffener und bis in die Wurzeln verkohlter Baum von dem höchsten unberührten Aste aus noch lange weiterblüht. Hölderlins Übergang ins Pathologische ist vollkommen stufenhaft, nicht wie bei Nietzsche der plötzliche Einsturz eines ungeheuren, bis in die Himmel des Geistes erhobenen Baues, sondern gleichsam ein Abbröckeln, Stein um Stein, ein Lösen des Fundaments, ein allmähliches Ins-Bodenlose-, Ins-Unbewußte-Sinken. Es akzentuieren sich nur in seinem äußeren Gehaben gewisse Erscheinungen der Unruhe, und diese Krisen werden immer vehementer und folgen einander in immer kürzeren Ausbrüchen: während er in seinen früheren Stellungen Monate, selbst Jahre verweilen konnte, werden die Entladungen jetzt rascher. Indes in Waltershausen und Frankfurt noch Jahre, vermag sich Hölderlin in Hauptwyl und Bordeaux nur wenige Wochen zu halten, seine Lebensuntüchtigkeit wird immer hemmungsloser und aggressiver: wieder wirft das Leben ihn wie ein Wrack in das Haus der Mutter, seinen ewigen Strand nach allen Fahrten. Da reckt in letzter Verzweiflung der Schiffbrüchige die Hand nach dem Schicksalsformer seiner Jugend, noch einmal schreibt er an Schiller. Aber Schiller antwortet nicht mehr, er läßt ihn fallen, und wie ein Stein stürzt der Verlassene in die Tiefe seines Geschicks. Noch einmal wandert er, der Unerziehbare, in die Ferne hinaus, Kinder zu erziehen, aber freudlos, ein Todgeweihter, nimmt er den letzten Abschied voraus.
Und nun sinkt ein Schleier über sein Leben: Geschichte wird hier zur Mythe und sein Schicksal Legende. Noch weiß man, daß er durch Frankreich »in schönem Frühling gewandert«, und »auf den gefürchteten überschneiten Höhen der Auvergne, in Sturm und Wildnis, in eiskalter Nacht und die geladene Pistole neben mir im rauhen Bette« (wie er schreibt) genächtigt, man weiß, daß er nach Bordeaux zu jener Familie des deutschen Konsuls gelangt und plötzlich jenes Haus verlassen hat. Aber dann sinkt die Wolke nieder und verschattet seinen Untergang. Ist er jener Fremdling gewesen, von dem Jahrzehnte später eine Frau in Paris erzählte, daß sie ihn eintreten sah in ihren Park und in freudigster Begeisterung mit den marmorkalten Göttergestalten Zwiesprache halten? Ist es wahr, daß bei der Rückwanderung ein Sonnenstich ihm die Sinne geraubt und »das Feuer, das gewaltige Element ihn ergriffen«, daß also, wie er von sich in wissendstem Symbole sagte, »Apoll ihn geschlagen«? Haben wirklich Räuber am Wege ihm Kleider und das letzte Geld genommen? Auf alle diese Fragen wird niemals Antwort sein, eine Wolke hängt über seiner Heimfahrt, seinem Untergang. Nur dies weiß man, daß eines Tages bei Matthisson in Stuttgart einer eintritt, »leichenblaß, abgemagert, mit hohlem, wildem Blick, langem Haar und Bart und gekleidet wie ein Bettler«, und, wie Matthisson scheu vor dem Gespenstischen zurückweicht, mit dumpfer Stimme seinen Namen murmelt: »Hölderlin«. Nun ist das Wrack zerschellt. Noch einmal treiben die Trümmer seines Lebens zurück bis ins mütterliche Haus, aber die Masten der Zuversicht, das Steuer der Vernunft sind für immer zerbrochen, und von nun an lebt Hölderlins Geist in einer nie mehr geklärten und nur manchmal vom geheimnisvollen orphischen Blitzen erhellten Nacht. Im Gespräch kann er den offenen Sinn nicht immer erfassen, im Brief verschränkt sich einfachste Absicht zu barockem Geknäul, immer mehr verschließt sich sein Wesen der Welt. Schicht um Schicht zerbröckelt sein waches Wesen, die Entpersönlichung vollendet sich, der großartig Unbewußte wird nun ganz Sprachrohr pythischen Worts, »Mundstück jenseitiger Imperative« im Sinne Nietzsches, Deuter und Sager erhabener Dinge, die der Dämon ihm zuflüstert und die sein eigener Sinn wach nicht mehr weiß. Die Menschen weichen ihm vorsichtig aus (denn oft bricht aus ihm wie ein gefesseltes Tier die Überreiztheit der Nerven), oder sie spotten seiner: nur die Bettina, die wie bei Beethoven und Goethe die Gegenwart des Genius atmosphärisch ahnend fühlte, und Sinclair, der sagenhaft herrliche Freund, erkennen eines Gottes Gegenwart in der fast tierischen Dumpfheit des »in himmlische Gefangenschaft Verkauften«. »Gewiß ist mir doch bei diesem Hölderlin«, schreibt die herrliche Ahnerin, »als müsse eine göttliche Gewalt wie mit Fluten ihn überströmt haben, und zwar die Sprache, in übergewaltigem raschem Sturz seine Sinne überflutend und diese darin ertränkend; und als die Strömungen sich verlaufen hatten, da waren die Sinne geschwächt und ertötet.« Edler, wissender hat keiner sein Geschick ausgesagt und keiner den Widerhall jener dämonischen Gespräche (uns verloren wie die Improvisationen Beethovens) großartiger der Seele bewußt gemacht, als wenn sie der Günderode berichtet: »ihm zuhören sei gerade, als wenn man es dem Tosen des Windes vergleiche, denn er brause immer in Hymnen dahin, die abbrechen, wie wenn der Wind sich dreht – dann ergreife es ihn wie ein tieferes Wissen, wobei einem die Idee, daß er wahnsinnig sei, ganz verschwinde; und daß sich anhöre, was er über die Verse und über die Sprache sage, wie wenn er nah dran sei, das göttliche Geheimnis der Sprache zu erleuchten. Und dann verschwinde ihm wieder alles im Dunkel, und dann ermatte er in der Verwirrung und meine, es werde ihm nicht gelingen«. Sein ganzes Wesen verliert sich in Musik: stundenlang sitzt er (wie Nietzsche in jenen letzten Turiner Tagen) am Klavier und greift mit klappernden Fingernägeln Akkorde in unaufhörlicher Bemühung, als wollte er die Melodien über ihm, die unendlichen, fassen, die seinen schmerzenden Kopf durchbrausen, oder er rezitiert, immer im Rhythmus, Worte und Gesänge monologisch vor sich hin. Der erst Hingerissene des Gedichts, der selige Enthusiast wird nun allmählich der Hinabgerissene, der Hinweggerissene von der klingenden Flut: singend wie jene Indianer im Hiawathagedicht seines Schicksalsbruders Lenau stürzt er den brausenden Katarakt hinab.
Im Tiefsten erschreckt und doch »vom unverstandenen Wunder ehrfürchtig berührt«, läßt ihn die Mutter, lassen ihn die Freunde vorerst im elterlichen, im bürgerlichen Haus. Aber immer wütiger bricht der Dämon aus dem Kranken: das Absterben der Vernunft ist mit tobsüchtigen Ausbrüchen begleitet, die Flamme, ehe sie ganz erlischt, schlägt noch gefährlich auf. So müssen sie ihn in die Klinik bringen, dann zu Freunden und schließlich in eines braven Tischlermeisters Haus. Mit den Jahren brennt das wilde Feuer in ihm aus, der Krampf lockert sich, Hölderlin wird wieder kindlich-kindisch und sanft, die Gewitter seiner Nerven verrauschen in eine schwere Dämmerung. Noch weiß er sich mancher Einzelheit zu entsinnen, aber sich selbst hat er vergessen. Wie durch einen traumhaften Schleier fühlt sein entgeisterter Leib die sanfte Wohltat der Natur im Frühling und atmet süß die durchwürzte Luft der Felder; noch schlägt vierzig Jahre lang im ausgebrannten Gehäuse das vereinsamte Herz, aber nur ein Schatten seines Wesens geistert hin durch die Zeit. Hölderlin, der heilige Jüngling, ist längst entrückt von den Göttern in die Wolken, wie Iphigenia auf Aulis. Er lebt in anderen Gefilden mit seinem gesteigerten Leben.
Was aber auf den trüben Wassern der Zeit noch vierzig Jahre lang unbewußt hinschwimmt, ist seine geistige Leiche nur, jenes entstaltete gespenstige Schattenbild, das sich, unkund seiner selbst, manchmal »der Herr Bibliothekarius« nennt und manchmal »Scardanelli«.
Purpurne Finsternis
Zwar Es leuchten auch im Dunkel blühende Bilder.
Die großen orphischen Gedichte, die der geistig Geblendete in jenen Jahren der Dämmerung und der Dunkelheit schafft, seine »Nachtgesänge«, gehören zu den unerhörtesten Gebilden der Weltliteratur,