Th. M. Dostojewsky: Eine biographische Studie. Nina Hoffmann

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Th. M. Dostojewsky: Eine biographische Studie - Nina Hoffmann

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und habe zum ersten Male diese Handschrift gesehen, deren Inhalt ich ausser einem Satze durchaus nicht kenne. Und so vermag ich nichts darüber zu sagen, ob er irgend etwas gethan, ob er Massnahmen getroffen habe. Allein man möge mir erlauben, einige meiner eigenen Gedanken darzulegen, welche meine tiefsten Überzeugungen ausmachen, über welche ich lange nachgesonnen habe, welche mir früher ebenso erschienen sind wie jetzt, und infolge welcher endlich ich bei der ersten Frage über die Strafbarkeit Petraschewskys keine endgiltige Antwort geben konnte. Ich begriff, wie wichtig in den Augen der Richter Petraschewskys solche Beweise sein müssen, wie Bücher, Handschriften und Reden, welche abrissweise niedergeschrieben worden sind. Da man mich aber über ihn befragt, so möge man mir erlauben, meine Ansichten über seine ganze Angelegenheit hier auszusprechen.

      Petraschewsky glaubt an Fourier. Das System Fouriers ist ein friedliches; es bezaubert die Seele durch seine Schönheit, es bestrickt das Herz durch jene Menschenliebe, welche Fourier beseelte, als er sein System schuf, versetzt den Geist in Erstaunen durch seine Harmonie und zieht nicht durch bittere Ausfälle an sich, sondern beseelt jeden mit der Liebe zur Menschheit. In diesem System gibt es keinen Hass. Politische Reformen setzt sich Fourier nicht vor. Seine Reform ist eine ökonomische. Sie greift weder die Obrigkeit noch den Besitz an, und in einer der letzten Sitzungen der Kammer hat Victor Considérant, der Repräsentant der Fourieristen, feierlich jeden Angriff auf die Familie abgelehnt. Endlich ist dieses System ein theoretisches und wird niemals populär werden.

      Die Fourieristen sind während der ganzen Zeit der Februar-Revolution nicht ein einziges Mal auf die Gasse herabgestiegen, sie sind in der Redaktion ihres Journals geblieben, wo sie ihre Zeit schon mehr als 20 Jahre mit Träumen von der zukünftigen Schönheit der Phalanstère zubringen. Allein dieses System ist zweifellos schädlich, erstens schon darum allein, weil es ein System ist; zweitens, wie schön es auch sei, bleibt es immer eine wesenlose Utopie, aber der Schaden, den diese Utopie anrichtet, ist, wenn man mir erlaubt, mich so auszudrücken, eher komisch als schreckenerregend. Es gibt kein sociales System, das in einem so hohen Grade unpopulär, das so belacht und ausgepfiffen worden wäre, wie das System Fouriers im Westen. Es ist schon lange tot, und seine Führer bemerken selbst nicht, dass sie nichts mehr sind als lebendig Tote. Im Westen, in Frankreich, ist in diesem Augenblicke jedes System, jede Theorie der Gesellschaft schädlich, denn die hungrigen Proletarier ergreifen in der Verzweiflung jedes Mittel, und aus jedem Mittel sind sie imstande, sich ein Panier zu machen. Man ist in diesem Augenblick dort beim Äussersten angelangt; dort treibt der Hunger die Leute auf die Gasse, den Fourierismus aber hat man aus Geringschätzung vergessen. Und sogar der Cabetismus, der das Unsinnigste auf der Welt ist, erweckt bedeutend mehr Sympathien. Was aber uns anbelangt, Russland, Petersburg, so braucht man nur zwanzig Schritte auf der Strasse zu machen, um sich zu überzeugen, dass der Fourierismus auf unserem Boden nur bestehen könnte: entweder in den unaufgeschnittenen Blättern eines Buches, oder in einer weichen, sanftmütigen, träumerischen Seele, aber nicht anders als in der Form einer Idylle, oder wie etwa ein Poem in vierundzwanzig Gesängen. Der Fourierismus kann keinen ernstlichen Schaden bringen. Erstens, wenn er auch ein ernstlicher Schaden wäre, so wäre seine Ausbreitung allein schon eine Utopie, denn sie würde sich bis zur Unglaublichkeit langsam vollziehen. Um das System Fouriers vollkommen zu begreifen, muss man es studieren; das aber ist eine ganze Wissenschaft: man muss etwa ein Dutzend Bände durchlesen. Kann denn ein solches System populär werden? Vom Katheder herunter durch die Lehrer? Das aber ist physisch unmöglich, schon wegen des Umfanges der Fourierschen Lehre. Aber ich wiederhole, ein ernstlicher Schaden kann nach meiner Meinung durch das System Fouriers nicht entstehen, und wenn ein Fourierist Schaden bringt, so thut er es höchstens sich selbst, in der öffentlichen Meinung, bei denen, welche gesunden Menschenverstand besitzen; denn für mich ist die höchste Komik — eine niemandem nützliche Thätigkeit. Der Fourierismus aber und mit ihm jedes System des Westens sind für unseren Boden so unbrauchbar, unseren Umständen so entgegen, dem Charakter unserer Nation so fremd, andererseits aber so sehr eine Geburt des Westens, so sehr ein Produkt des dortigen abendländischen Standes der Dinge, in welchem die proletarische Frage um jeden Preis entschieden wird, dass der Fourierismus mit seiner eindringlichen Unvermeidlichkeit jetzt bei uns, wo es kein Proletariat gibt, höchst lächerlich, seine Thätigkeit die allerunnützeste, in ihren Folgen die allerkomischeste wäre. Dies ist es, warum ich nach meiner Mutmassung Petraschewsky für gescheiter halte und ihm niemals ernstlich zugetraut hätte, weiter als bis zu einer theoretischen Schätzung des Fourierschen Systems gegangen zu sein. Alles übrige war ich thatsächlich bereit, für einen Scherz zu halten. Der Fourierist ist ein unglücklicher, kein strafbarer Mensch — das ist meine Meinung. Endlich hat meiner Ansicht nach auch nicht ein Paradoxon, so viele ihrer auch gewesen seien, sich von selbst, aus eigenen Kräften halten können; so lehrt uns die Geschichte. Ein Beweis davon ist, dass in Frankreich im Verlaufe eines Jahres fast alle Systeme fielen, und zwar durch sich selbst fielen, sowie die Sache nur an die geringste Bekräftigung herankam. Alles dieses zusammenfassend, muss ich sagen, dass ich, wenn ich auch wüsste (was ich nicht weiss, ich wiederhole es noch einmal), dass Petraschewsky, vor keinerlei Spott zurückschreckend, sich noch immer um die Verbreitung des Fourierschen Systems bemühe, mich dennoch davon zurückhalten würde, ihn für schädlich, der Gesellschaft Schrecken bringend, zu bezeichnen. Erstens, in welcher Weise könnte Petraschewsky als Verbreiter des Fourierismus schädlich sein? Das geht über meine Begriffe; lächerlich, aber nicht schädlich. Dies ist meine Meinung. Und dies ist, was ich nach meinem Gewissen auf die mir gestellte Frage antworten kann. Endlich ist in mir noch eine Erwägung aufgetaucht, die ich nicht verschweigen kann, eine Erwägung rein menschlicher Natur, wie sie das Leben mit sich bringt. Ich habe lange die Überzeugung in mir getragen, dass Petraschewsky von einer gewissen Art von Eigenliebe ergriffen sei. Es war Eigenliebe, die ihn veranlasste, die Freitagsabende einzurichten, es war auch Eigenliebe, dass ihm die Freitage nicht überdrüssig wurden. Aus Eigenliebe schaffte er viele Bücher an und gefiel es ihm offenbar, dass man wisse, er besitze seltene Bücher. Übrigens ist das nicht mehr als eine persönliche Beobachtung von mir, eine Mutmassung, denn, ich wiederhole es, alles, was ich über Petraschewsky weiss, weiss ich unvollständig, nicht vollkommen, sondern nur nach Vermutungen über das, was ich gesehen und gehört habe.

      Dieses meine Antwort, ich habe die Wahrheit gesprochen.

      Theodor Dostojewsky.

      Als endlich das Todesurteil, welches am 19. Dezember vom Kaiser unterschrieben worden war, verlesen wurde, war keiner unter ihnen, der Reue empfunden hätte. Sein persönliches Verhalten in dieser „längst vergangenen Geschichte“, sagt er in seinem „Tagebuche“, änderte sich erst viel später.

      Die Zeit im Gefängnisse während der achtmonatlichen Untersuchungshaft verlief verhältnismässig günstig, was die äusseren Umstände betrifft. Er war im Alexejschen Ravelin der Festung eingeschlossen, durfte täglich auf eine Viertelstunde im kleinen Hofe allein, aber unter Bedeckung, spazieren gehen, in den letzten Monaten schreiben und lesen. Seine Gesundheit wurde merkwürdigerweise gerade in dieser Zeit fester. Sein ganzes Wesen war durch das Ereignis so erschüttert und nach innen gekehrt, dass er, der in der vorhergegangenen Zeit eine fast bis zum Wahnsinn gehende Ängstlichkeit und Hypochondrie bekundete, — derart, dass nach den Aussagen seines Bruders Andreas fast jede Nacht auf seinem Tischchen ein Zettel lag, worauf geschrieben stand: „heute kann ich in lethargischen Schlaf verfallen; nicht vor so und so viel Tagen begraben!“ — jede Angst und Sorge um sein Leben und seine Gesundheit verlor und schon dadurch widerstandsfähiger wurde. Seine innere Stimmung war zwar wechselnd, doch siegte über alles sein aus der unerschöpflichen Arbeitskraft quellender Lebensmut. So schreibt er an den Bruder am 18. Juli: „Ich bin durchaus nicht herabgestimmt .... manchmal fühlst du sogar, als seist du an dieses Leben schon gewöhnt und es sei alles eins ... aber ... ein anderes Mal stürmt das frühere Leben mit allen seinen Eindrücken förmlich in die Seele ein ... jetzt sind helle Tage, und es ist etwas freundlicher geworden ... auch habe ich Beschäftigung. Ich habe die Zeit nicht vergeudet, habe drei Erzählungen und zwei Romane ausgedacht; an einem derselben schreibe ich jetzt.“

      Dieser „Roman“ war nach Dostojewskys späteren Aufzeichnungen die Erzählung „Ein kleiner Held“, welche in den „Vaterländischen Annalen“ anonym erschien, und zwar erst im Jahre 1857,

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