Die wichtigsten Werke von Jacob Burckhardt. Jacob Burckhardt
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Die bewusste, grosse Gefahr des Reiches rief nun noch einmal den Genius Roms wach. Die zweite Hälfte des dritten Jahrhunderts ist einer von den Zeiträumen, welche in der Wertschätzung gewinnen müssten, wenn wir die Persönlichkeiten und die Beweggründe ihres Handelns besser kennten, als uns die vorhandenen Quellen gestatten. Sind auch die leitenden Männer meist keine Stadtrömer, sondern Illyrier, das heisst aus den Gegenden zwischen dem Adriatischen und dem Schwarzen Meere, so hat doch römische Bildung und Tradition, namentlich in Betreff des Krieges, sie zu nochmaliger Rettung der alten Welt befähigt. Es war jetzt kein Vergnügen mehr, sondern ein verhängnisvolles Amt, römischer Imperator zu sein; ganz Unwürdige nehmen den Purpur meistens gezwungen, und auch die Bessern drängen sich nicht mehr dazu, sondern erkennen darin Pflicht oder Schicksal. Eine gewisse sittliche Erhebung ist nicht zu verkennen.
Mit Philipp war es angesichts jener grossen Gefahren bald vorbei. Er wandte sich ganz erschrocken an den Senat und bot seine Abdikation an; alles schwieg, bis der tapfere Decius sich zur Unterwerfung des Marinus erbot. Er führte sie durch, verlangte aber eilig seine Abberufung, weil er sah, dass bei der allgemeinen Verachtung gegen Philipp das Heer ihn bald würde zum Kaiser erheben wollen. Philipp willfahrte ihm nicht, und so geschah das Unvermeidliche22. In oder nach einer Schlacht gegen Decius kam Philipp in Verona durch Soldaten um. Dass sein Bruder Priscus nachher noch Statthalter in Macedonien sein konnte, zeigt, dass Decius sich wegen des Geschehenen nicht zu schämen hatte. Priscus lohnte ihm in der Folge mit Verrat.
Decius (249–251) ist überhaupt ein Idealist, mit den Illusionen eines solchen. Seine gewaltige kriegerische Kraft im Dienst einer veredelten Senatsregierung23 zu üben, altrömische Sitte und Religion und durch dieselbe die Macht des römischen Namens aufzufrischen und auf ewig festzustellen – das mochten seine Pläne sein. Damit hing allerdings zusammen, dass er die Christen verfolgte; sechzig Jahre später würde er vielleicht mit demselben Eifer versucht haben, die christliche Aufopferungsfähigkeit auf die Rettung des Reiches hinzulenken.
Dies Ziel seines Lebens zu erreichen, war ihm allerdings nicht beschieden; neben dem Einbruch der Barbaren an allen Grenzen wütete eine Hungersnot und eine Pest, welche im ganzen römischen Leben dauernde Veränderungen müssen hervorgebracht haben, weil ein alterndes Volkstum solche Schläge nicht so überdauert wie ein jugendliches. Der Lohn des Decius war ein glorreicher Untergang im Gotenkriege.
Auch jetzt behauptete der Senat sein Recht; neben dem von den Soldaten erhobenen Gallus ernennt er24 (251) seinen eigenen Kaiser, Hostilian, der indes bald an einer Krankheit starb. Als Gallus die Goten mit Tribut abkaufte, fand sich ein Feldherr bei den Donautruppen, der Mauretanier Aemilian, welcher seinen Soldaten von der »römischen Ehre« sprach25 und im Fall eines Sieges ihnen selbst den Tribut verhiess, der jetzt den Goten bezahlt würde; sie siegten wirklich und erhoben ihn dann zum Kaiser (253). Aber so weit wirkte schon die Denkweise des Decius, dass Aemilian nur der Feldherr des Senates heissen, diesem dagegen die Reichsregierung überlassen wollte26.
Eine empfindliche Lücke in der Historia Augusta hindert uns an jeder bündigen Beurteilung der zunächst folgenden Ereignisse. Aemilian rückt nach Italien; Gallus, der gegen ihn ausgezogen, wird nebst seinem Sohne von den eigenen Truppen ermordet; aber einer seiner Generale, Valerian, aus den Alpen heranrückend, gewinnt auf ganz rätselhafte Weise das Heer des siegreichen Aemilian, welches seinen Kaiser tötet, »weil derselbe ein Soldat, aber kein Regent sei, weil Valerian besser zum Kaisertum passe, oder weil man den Römern einen neuen Bürgerkrieg ersparen müsse«27. Das Wahre schimmert durch; es sind offenbar nicht mehr meuterische Soldatenhaufen, welche hier handeln; das Entscheidende war ohne Zweifel eine Transaktion zwischen den höhern Offizieren der drei Heere. So allein war die Erhebung Valerians (253) möglich, vielleicht desjenigen Römers, der in bürgerlichen Ämtern wie im Kriege vor allen gleichmässig ausgezeichnet war; die Soldaten allein hätten entweder auf ihrem Aemilian beharrt oder einen schönen grossen Mann mit den Talenten eines Unteroffiziers auf den Thron erhoben.
Es nimmt aber die Kaiserwahl fortan überhaupt eine neue Form an. In den fortdauernden Barbarenkriegen seit Alexander Severus muss sich eine ausgezeichnete Generalität gebildet haben, in welcher man sich dem wahren Werte nach kannte und taxierte; Valerian aber erscheint, wenigstens als Kaiser, wie die Seele derselben28. Sein militärischer Briefwechsel, der mit Absicht in der Historia Augusta teilweise gerettet ist, beweist seine genaue Kenntnis der Personen und ihrer Talente und gibt uns eine hohe Idee von dem Manne, der einen Postumus, Claudius Gothicus, Aurelian und Probus erkannte und erhob. Wäre an den Grenzen Friede eingetreten, so hätte der Senat vielleicht im Sinne eines Decius und Aemilian einen regelmässigen Anteil an der Herrschaft ausgeübt; da aber die Einfälle der Barbaren auf allen Grenzen zugleich das Imperium gänzlich zu überwältigen drohten, da das wahre Rom für längere Zeit nicht mehr auf den sieben Hügeln an der Tiber, sondern in den tapfern Lagern römischer Feldherrn war, so musste auch die Staatsmacht mehr und mehr an die Generale kommen. Diese bilden fortan einen geharnischten Senat, der in alle Grenzprovinzen zerstreut ist. Eine kurze Zeit über geht freilich das Reich ganz aus den Fugen, und planlose Soldatenwillkür und provinziale Verzweiflung bekleidet bald da, bald dort den ersten besten mit dem Purpur; sobald aber der erste Stoss vorüber ist, besetzen die Generale den Thron mit einem aus ihrer Mitte. Wie sich da Berechnung und Überlegung mit Ehrgeiz und Gewaltsamkeit im einzelnen Falle abfinden mochten, was für geheime Schwüre den Verein enger verknüpften, lässt sich nur ahnen. Gegen den Senat zeigt man keine Feindschaft, im ganzen sogar Hochachtung, und es tritt später ein Augenblick ein, da der Senat sich der vollständigen Täuschung hingeben konnte, noch einmal der wahre Herr des Reiches geworden zu sein.
Doch es lohnt die Mühe, diese merkwürdigen Übergänge auch im einzelnen zu verfolgen.
Schon unter Valerian hatte der Abfall einzelner Gegenden begonnen, und als er vollends durch völkerrechtswidrige Treulosigkeit in die Gefangenschaft des Sassanidenkönigs Sapor geriet29 (260), indes sein Sohn Gallienus mit dem Kriege gegen die Germanen beschäftigt war, trat die totale Verwirrung ein. Während Rom selbst durch einen Einfall sonst unbekannter Horden bedroht wurde, und der Senat eilends eine Bürgergarde aufstellen musste, fielen allmählich die östlichen Reichslande ab. Zunächst liess sich der Taugenichts und Vatermörder Cyriades von Sapor als römischer Thronprätendent vorschieben, bis sich als Retter des römischen Orientes zuerst Macrian (260) mit seinen Söhnen und mit seinem tapfern Präfekten Ballista erhob. Sapor musste fliehen, sein Harem wurde gefangen; die herrliche Verteidigung von Caesarea in Kappadocien dürfen wir hier nur mit einem Wort erwähnen30. Aber die Zersetzung des Reiches war noch im Wachsen; Feldherrn und höhere Beamte mussten sich fortwährend zu Kaisern erheben, nur um gegen andere Usurpatoren ihr Leben zu retten, welches sie dann doch bald einbüssten. So in Griechenland Valens mit dem Beinamen Thessalonicus und der von Macrian gegen ihn entsandte Piso; so nach einiger Zeit (261) Macrian selbst, als er gegen den damals noch gallienischen Feldherrn der Donaulande, Aureolus, zu Felde zog, welcher als Sieger ebenfalls von Gallienus abgefallen sein muss. An Macrians und seines Hauses Stelle trat im Osten (262) Odenathus, ein reicher Provinziale, dergleichen mehrere in dieser Zeit als Kaiser aufkommen, aber keiner mit so viel Talent und Erfolg wie dieser Patrizier von Palmyra, der von hier aus mit seiner heldenmütigen Gemahlin Zenobia ein grosses orientalisches Reich zu gründen vermochte31. Zenobia, die Enkelin der ägyptischen Ptolemäer, auch der berühmten