Kehrseite der Geschichte unserer Zeit. Оноре де Бальзак

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Kehrseite der Geschichte unserer Zeit - Оноре де Бальзак страница 9

Kehrseite der Geschichte unserer Zeit - Оноре де Бальзак

Скачать книгу

style="font-size:15px;">      Dieser mütterliche Ausruf, der den Lippen der Frau de la Chanterie entschlüpfte, legte sich wie Balsam auf das Herz des jungen Mannes.

      »Was kann ich an die Stelle so vieler getäuschter Hoffnungen, so vieler verratener Liebe setzen?« fragte er endlich und sah seine Wirtin an, die nachdenklich geworden war.

      »Ich bin hierher gekommen, um nachzudenken und einen Entschluss zu fassen. Ich habe meine Mutter verloren, treten Sie an ihre Stelle ...«

      »Werden Sie auch wie ein Sohn gehorchen?...« sagte sie.

      »Ja, wenn Sie mir die volle Zuneigung entgegenbringen, der man so gern gehorcht.«

      »Also, wir wollen es versuchen«, versetzte sie.

      Gottfried streckte die Hand aus, um die Hand seiner Wirtin zu ergreifen, die sie ihm, seine Absicht ahnend, reichte, und führte sie respektvoll an seine Lippen. Frau de la Chanteries Hände waren von wunderbarer Schönheit, ohne Runzeln, weder fett noch mager, so weiß, dass sie den Neid einer jungen Frau erregen konnten, und von einer Form, dass sie ein Bildhauer hätte abbilden mögen. Gottfried bewunderte die Hand, und fand, dass sie zu dem Reiz der Stimme und der himmlischen Bläue der Augen passte.

      »Bleiben Sie!« sagte Frau de la Chanterie, erhob sich und ging in ihr Zimmer.

      Gottfried empfand eine heftige Erregung und wusste nicht, was er von ihrem Fortgehen denken sollte; aber sein Erstaunen dauerte nicht lange, denn sie kam mit einem Buch in der Hand zurück.

      »Hier, mein liebes Kind , sagte sie, »haben Sie die Vorschriften eines großen Seelenarztes. Wenn die Verhältnisse des alltäglichen Lebens uns das Glück, das wir erwarteten, nicht zuteil werden ließen, dann muss man das Glück in dem höheren Leben suchen, und hier haben Sie den Schlüssel zu dieser neuen Welt. Lesen Sie jeden Abend und jeden Morgen ein Kapitel dieses Buches; aber lesen Sie es mit vollster Aufmerksamkeit, studieren Sie die Worte, als ob es sich um eine fremde Sprache handele ... Nach Verlauf eines Monats werden Sie ein anderer Mensch sein. Seit zwanzig Jahren lese ich täglich ein Kapitel, und meine drei Freunde, die Herren Nikolaus, Alain und Joseph, versäumen das ebensowenig wie das Schlafengehen und Aufstehen; machen Sie es ebenso aus Liebe zu Gott, aus Liebe zu mir«. Sie sprach mit himmlischer Freudigkeit und erhabenem Vertrauen.

      Gottfried wandte das Buch um und las auf dem Rücken in Goldbuchstaben: »Die Nachahmung Christi«. Die Einfachheit dieser Frau, ihre kindliche Reinheit, ihre Überzeugung, dass sie ihm eine Wohltat erwiesen habe, verwirrten den Exdandy. Die Haltung und die Freude der Frau de la Chanterie glich vollständig denen einer Frau, die einem Kaufmann, der im Begriff ist, Konkurs anzumelden, hunderttausend Franken darbietet.

      »Ich habe mich seiner seit zwanzig Jahren bedient. Gebe Gott, dass das Buch ansteckend wirke! Gehen Sie nun, und kaufen Sie mir ein anderes; es ist jetzt die Zeit, wo Leute zu mir kommen, die nicht gesehen werden dürfen.«

      Gottfried empfahl sich der Frau de la Chanterie und ging in sein Zimmer hinauf, wo er das Buch auf den Tisch warf und ausrief: »O die arme gute Frau!...« Das Buch hatte sich wie alle oft gelesenen Bücher an einer Stelle aufgeklappt. Gottfried setzte sich, um sich zu sammeln, denn er hatte an diesem Vormittag mehr Aufregung empfunden als während der bewegtesten Monate seines Lebens, und besonders seine Neugierde war noch niemals so angestachelt worden. Als er seine Blicke planlos herumschweifen ließ, wie es Leute tun, die in Nachdenken versunken sind, betrachtete er mechanisch die beiden aufgeschlagenen Seiten des Buches und las, ohne es zu wollen, die Überschrift:

       »Kapitel XII.

       Von dem erhabenen Wege des heiligen Kreuzes.«

      Er nahm das Buch auf. Und wie eine Flammenschrift fesselte ein Satz dieses herrlichen Kapitels seinen Blick:

      »Er ist vor euch gewandelt mit seinem Kreuz beladen, und er ist für euch gestorben, damit auch ihr euer Kreuz traget und verlanget, an ihm zu sterben. Gehet, wohin ihr wollt, suchet, soviel ihr möget, ihr werdet keinen erhabeneren und keinen sichereren Weg finden, als ›den Weg des heiligen Kreuzes‹.

      Machet und ordnet alles, wie es eurem Verlangen und eurer Einsicht entspricht, und ihr werdet stets aufgerufen werden, Mühsal zu erleiden, ob ihr nun wollet oder nicht, und immer werdet ihr auf das Kreuz stoßen; denn ihr werdet die Schmerzen des Körpers fühlen und die Qualen der Seele erdulden. Wenn ihr von Gott verlassen seid, werden euch die Menschen zu schaffen machen. Und noch mehr: ihr werdet euch oft selbst zur Last sein, und keine Hilfe wird euch gebracht, kein Trost euch zuteil werden; bis es Gott gefallen wird, dem ein Ende zu machen, werdet ihr leiden müssen, denn Gott will, dass ihr leiden lernet ohne Trost, damit ihr euch rückhaltlos seinem Willen unterwerfet, und damit ihr unter der Last der Drangsale demütiger werdet.

      »Was für ein Buch!« sagte er und blätterte weiter in dem Kapitel.

      Und sein Auge fiel auf die Worte:

      »Wenn ihr soweit gekommen seid, die Trübsal als süß zu empfinden und sie zu begehren aus Liebe zu Jesus Christus, dann werdet ihr euch glücklich fühlen, denn dann habt ihr das Paradies in dieser Welt gefunden.«

      Betroffen über diese einfachen Worte, die darum gerade so stark wirkten, und ärgerlich, dass er sich von diesem Buche geschlagen fühlte, schloss er es; aber noch auf dem grünen Maroquinleder des Einbands las er in Goldbuchstaben die Mahnung:

       »Trachtet nur nach dem, was ewig ist!«

      »Und haben sie das hier gefunden?...« fragte er sich. Er brach auf, um ein schönes Exemplar der »Nachahmung Christi« zu besorgen, da er daran dachte, dass Frau de la Chanterie abends ein Kapitel daraus zu lesen pflegte, ging hinunter und trat auf die Straße hinaus. Einige Augenblicke blieb er wenige Schritte vor der Tür stehen, unschlüssig, welchen Weg er nehmen, und überlegend, wo und in welcher Buchhandlung er das Buch kaufen solle; da vernahm er das dumpfe Geräusch des schweren Haustors, das geschlossen wurde.

      Wenn man den Charakter dieses alten Hauses recht begriffen hat, wird man verstehen, worin sich die alten Häuser von andern unterscheiden. Als Manon Gottfried am Morgen herunterholen kam, hatte sie ihn, deutlich lächelnd, gefragt, wie er die erste Nacht im Hause de la Chanterie geschlafen habe. Zwei Männer verließen das Haus de la Chanterie. Gottfried folgte, ohne irgendwie spionieren zu wollen, den beiden Männern, die ihn für einen Passanten hielten und in dieser stillen Gegend so laut sprachen, dass er ihrer Unterhaltung folgen konnte. Die beiden Unbekannten gingen die Rue Massillon entlang, an Notre-Dame vorbei und quer über den Platz.

      »Na, mein Alter, du siehst, dass es ziemlich leicht war, Geld von ihnen herauszuholen... man muss ihnen zum Munde reden... das ist alles.«

      »Aber wir schulden es doch.«

      »Wem?«

      »Nun, der Dame.«

      »Das möchte ich sehen, ob mich die alte Schachtel verklagen würde, ich würde ihr...«

      »Du würdest ihr... du würdest ihr zurückzahlen...«

      »Du hast recht, denn wenn ich es ihr zurückzahle, würde ich später mehr als heute bekommen...«

      »Wäre es nicht besser, wenn wir ihren Rat befolgten und ein Geschäft anfingen?«

      »Ach, Unsinn!«

      »Sie würde uns doch stille Teilhaber verschaffen, hat sie gesagt.«

      »Dann

Скачать книгу