Cäsar Birotteaus Größe und Niedergang. Оноре де Бальзак

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Cäsar Birotteaus Größe und Niedergang - Оноре де Бальзак

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>Table of Contents

       Impressum

       Cäsar auf dem Gipfel seines Ruhms

       Cäsar im Kampf mit dem Unglück

       Impressum - Kontakt

      Honoré de Balzac

       Cäsar Birotteaus Größe und Niedergang

      Impressum

      ISBN: 9783955013325

      2013 andersseitig.de

      Covergestaltung: Erhard Koch

      Digitalisierung: Erhard Koch

      andersseitig Verlag

      Dresden

      www.andersseitig.de

      [email protected]

      (mehr unter Impressum-Kontakt)

      Cäsar auf dem Gipfel seines Ruhms

      In den Winternächten hört der Lärm in der Rue Saint-Honoré nur für einen Augenblick auf; die Gemüsehändler, die in die Markthalle fahren, setzen das Geräusch der Wagen fort, die aus den Theatern oder von den Bällen nach Hause rollen. Gerade in dieser kurzen Ruhepause des Pariser Straßenlärms, die gegen ein Uhr morgens eintritt, fuhr die Frau des Parfümeriehändlers Cäsar Birotteau, der nahe am Vendômeplatz sein Geschäft hatte, jäh aus einem entsetzlichen Traum in die Höhe. Sie hatte sich doppelt gesehen, sie war sich selbst, in Lumpen gehüllt und mit vertrockneter runzliger Hand die Türklinke ihres eigenen Ladens öffnend, erschienen, so dass sie sich gleichzeitig auf ihrer Türschwelle und in ihrem Kontorsessel befand; sie bettelte sich selbst um ein Almosen an, sie hörte sich zugleich an der Tür und im Kontor sprechen. Sie wollte nach ihrem Mann greifen und fasste mit der Hand auf eine kalte Stelle. Da wurde ihre Angst so gewaltig, dass sie ihren steifgewordenen Hals nicht mehr bewegen konnte; die Kehle war ihr wie zugeschnürt, sie konnte keinen Ton herausbringen; die stieren Augen aufgerissen, das Haar schmerzhaft sich sträubend, die Ohren voll von fremdartigen Tönen, das Herz zusammengepresst, aber heftig schlagend, so saß sie starr wie festgebannt da, zugleich in Schweiß gebadet und zu Eis erstarrt, mitten in dem Alkoven, dessen beide Türen offen standen.

      Die Furcht ist ein halb krankhaftes Gefühl, das auf die menschliche Maschinerie so heftig einwirkt, dass ihre Eigenschaften plötzlich sich bis zum höchsten Grade der Möglichkeit steigern oder auch in äußerste Verwirrung geraten. Die Physiologie ist lange Zeit von diesem Phänomen in Erstaunen gesetzt worden, das ihre Systeme über den Haufen wirft und ihre Hypothesen stört, obwohl es ganz einfach nur ein Blitzschlag im Innern ist, aber, wie alle elektrischen Erscheinungen, bizarr und unberechenbar in seiner Art. Diese Erklärung wird von dem Tage an eine Selbstverständlichkeit sein, da die Gelehrten erkannt haben werden, welche überaus wichtige Rolle die Elektrizität bei der Tätigkeit des menschlichen Gehirns spielt.

      Frau Birotteau machte also etliche dieser gewissermaßen hellseherischen Schmerzempfindungen durch, die jene schrecklichen Entladungen des durch einen unbekannten Mechanismus ausgeweiteten oder konzentrierten Willens bewirken. So empfand die arme Frau während eines Zeitraumes, der nach der Uhr gemessen sehr kurz, aber nach der Schnelligkeit der einander folgenden Eindrücke berechnet, unmessbar war, das ungeheuerliche Vermögen, mehr Gedanken zu fassen und mehr Erinnerungen in sich aufsteigen zu lassen, als sie bei normalem Zustande ihrer Fähigkeiten im Verlaufe eines ganzen Tages vermocht hätte. Die anschauliche Wiedergabe dieses Monologes geschieht am besten mit den wenigen ungereimten, widerspruchsvollen und sinnlosen Worten, so wie sie gesprochen wurden:

      »Es gibt gar keinen Grund, warum Birotteau aus dem Bett gestiegen ist! Er hat so viel Kalbsbraten gegessen, vielleicht ist ihm schlecht! Aber wenn er unwohl wäre, würde er mich geweckt haben. Neunzehn Jahre schlafen wir zusammen in diesem Bett, in diesem selben Hause, und niemals ist es passiert, dass er aufgestanden wäre, ohne es mir zu sagen, der arme Kerl! Er war nur weg, wenn er die Nacht auf Wache verbringen musste. Ist er denn heute Abend mit mir zusammen schlafen gegangen? Aber gewiss doch; mein Gott, wie dumm bin ich.«

      Sie richtete ihren Blick auf das Bett und sah dort die Nachtmütze ihres Mannes, die noch die fast kegelartige Form seines Kopfes zeigte.

      »Er ist also tot! Sollte er sich getötet haben? Aber weshalb denn?« fing sie wieder an. »Seit zwei Jahren, seitdem sie ihn zum Beigeordneten ernannt haben, ist er ganz wie ausgetauscht. Ihm ein Amt aufzuladen, ist das nicht, so wahr ich eine anständige Frau bin, zum Erbarmen? Sein Geschäft geht gut, er hat mir einen Schal geschenkt. Sollte es doch nicht gut gehen? Ach, das würde ich doch wissen. Aber kann man jemals wissen, was ein Mann hinter sich hat? Oder eine Frau? Aber das ist auch kein Unglück. Aber wir haben doch heute für fünftausend Franken verkauft! Übrigens kann ein Beigeordneter nicht Selbstmord verüben, dazu kennt er die Gesetze zu gut. Aber wo steckt er denn?«

      Sie vermochte weder den Kopf zu drehen, noch die Hand auszustrecken, um die Klingel zu ziehen, die die Köchin, drei Kommis und den Hausdiener in Bewegung gesetzt hätte. Unter dem Alpdruck, der sich auch in ihrem wachen Zustande fortsetzte, vergaß sie, dass ihre Tochter friedlich im Nebenzimmer schlief, dessen Tür sich am Fußende ihres Bettes befand. Endlich schrie sie: »Birotteau!« Es erfolgte keinerlei Antwort. Sie glaubte, den Namen, gerufen zu haben und hatte ihn nur in Gedanken ausgesprochen.

      »Sollte er eine Geliebte haben? Dazu ist er zu einfältig«, fuhr sie fort, »und dazu hat er mich auch viel zu lieb. Hat er nicht zu Frau Roguin gesagt, dass er mir niemals untreu gewesen ist, nicht einmal in Gedanken? Er ist doch die Ehrenhaftigkeit selber, dieser Mann. Wenn Einer ins Paradies zu kommen verdient, dann ist er es. Was hat er seinem Beichtvater zu bekennen? Lappalien. Für einen Royalisten zum Beispiel, der er ist, ohne recht zu wissen warum, trägt er seine Religion nicht gerade sehr zur Schau. Der gute Kerl geht um acht Uhr morgens heimlich zur Messe, als ob er in ein zweifelhaftes Haus schliche. Er fürchtet Gott, aber um Gottes, nicht um der Hölle willen; die geht ihn nichts an. Wie sollte er auch eine Geliebte haben? Er hängt mir so am Rock, dass er mich schon damit langweilt. Er liebt mich wie seinen Augapfel, er würde sich seine Augen für mich ausreißen lassen. Neunzehn Jahre lang hat er nie ein Wort lauter als das andere betont, wenn er zu mir sprach. Selbst seine Tochter kommt für ihn erst in zweiter Reihe. Aber Cäsarine ist ja dort... (Cäsarine! Cäsarine!) Niemals hat Birotteau einen Gedanken gehabt, den er mir nicht mitgeteilt hätte. Damals, als er noch in den Petit-Matelot kam, da hat er mit Recht behauptet, dass ich ihn erst richtig erkennen würde, wenn ich ihn erprobt hätte. Und nun kommt's so! ... Das ist doch merkwürdig.«

      Mühsam drehte sie jetzt den Kopf und sah verstohlen durch das Zimmer, noch ganz erfüllt von den phantastischen Nachtgesichten, an deren Wiedergabe die Feder verzweifelt und die allein dem Pinsel des Genremalers vorbehalten zu sein scheinen. Wie soll man mit Worten das schreckliche Hin und Her schildern, das die tiefen Schatten, die phantastischen Formen der vom Zugwind aufgeblähten Vorhänge, das Spiel des undeutlichen Lichtes der Nachtlampe auf den Falten des roten Kalikos, die Strahlen, die ein Gardinenhalter wirft, deren schimmernde Mitte dem Auge eines Diebes gleicht, die Erscheinung eines am Boden liegenden Rockes, kurz alle jene bizarren Dinge hervorbringen, die die Vorstellungskraft in dem Moment in Schrecken versetzen, wo sie nur fähig ist, Schmerzen zu empfinden und sie noch zu vergrößern? Frau Birotteau glaubte jetzt einen hellen Lichtschein in dem benachbarten Zimmer zu sehen und dachte

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