Tante Lisbeth. Оноре де Бальзак
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Tante Lisbeth - Оноре де Бальзак страница 17
»Sterben?« rief das alte Fräulein. »Aber ich lasse dich einfach nicht sterben! Ich habe Lebenskraft für zwei, und ich gäbe mein Blut für dich, wenn es nötig wäre.«
Bei diesem stürmischen und so naiven Ausruf füllten sich Steinbocks Augen mit Tränen.
»Nicht Trübsal blasen, Stanislauschen!« tröstete Lisbeth gerührt. »Hör mich einmal an! Ich glaube, dein Petschaft hat meiner Nichte Hortense sehr gefallen. Pass auf, ich bring es auch noch dahin, dass du deine Bronzegruppe verkaufst! Dann bist du deiner Schuld gegen mich ledig und kannst tun und lassen, was du willst. Dann bist du frei! Aber nun sei vergnügt!«
»Ich werde stets in deiner Schuld bleiben«, entgegnete der arme Verbannte.
»Wieso?« fragte die Tochter der Vogesen. Zugunsten des jungen Polen ergriff sie gegen sich selbst Partei.
»Weil ich dir nicht nur Kost, Wohnung und Pflege im Elend verdanke, sondern weil du mir zu alledem auch noch Kraft geschenkt hast! Du hast mich zu dem gemacht, was ich jetzt bin. Zwar warst du oft hart zu mir, du hast mir oft weh getan ...«
»Ich?« sagte sie. »Nun fangen deine Phantastereien von Poesie und Kunst wohl wieder an? Du verrenkst dir die Finger auf der Suche nach deinem Schönheitsideal und anderem nordischen Blödsinn! Schönheit ist nicht so viel wert wie die Wirklichkeit, und die Wirklichkeit bin ich! Du hast den Kopf voller Ideen? Das ist was Rechtes! Ich habe auch welche. Wozu nützt denn das, was man in sich hat, wenn man es nicht verwerten kann? Diejenigen, die Ideen haben, bringen es in der Welt nicht so weit wie die, die keine haben. Man muss sich nur ordentlich rühren. Arbeiten solltest du, statt dich in Träumereien zu verlieren! Was hast du zum Beispiel heute fertiggebracht, während ich fort war?«
»Was hat deine hübsche Nichte gesagt?« lenkte er ab.
»Wer hat dir gesagt, dass sie hübsch ist?« fuhr Lisbeth auf, in einem Tone, in dem die Eifersucht einer Tigerin grollte.
»Du selber!«
»Dann habe ich das nur gesagt, um zu sehen, was für ein Gesicht du dazu machst! Willst du denn ein Schürzenjäger werden? Du liebst die Frauen: gut, schaffe dir welche! Lass deine Sehnsucht in Bronze erstehen! Du wirst dich wohl noch eine Weile ohne Liebschaften behelfen müssen und besonders ohne meine Nichte, mein lieber Freund. Die ist nichts für dich. Die braucht einen Mann mit sechzigtausend Francs Jahreseinkommen – und so einer hat sich auch bereits gefunden ... Donnerwetter, dein Bett ist noch gar nicht gemacht, armer Junge! Das hab ich ganz vergessen.«
Sogleich legte das kräftige Mädchen Handschuhe, Mantel und Hut ab und richtete wie eine Magd geschickt und rasch das kleine Bett her, in dem der Künstler schlief. Die Mischung von Derbheit, ja Härte, und von Güte in ihr erklärt die Macht, die Lisbeth über den jungen Mann gewonnen hatte, den sie gewissermaßen als ihr Eigentum betrachtete. Das Leben fesselt uns nun einmal durch seinen Wechsel von Gut und Böse. Wäre dem jungen Polen an Lisbeths Stelle eine Frau Marneffe begegnet, so hätte er in dieser Beschützerin nur eine Führerin in Schmutz und Schande gefunden. Er wäre endlich verdorben. Gearbeitet hätte er dann gewiss nicht, und niemals wäre der Künstler in ihm erwacht. Obwohl er zuweilen unter der herrischen Zuneigung des alten Mädchens geradezu litt, so sagte ihm doch sein Verstand, dass er diese eiserne Zucht dem faulen und verderblichen Leben vorziehen müsse, das so mancher der polnischen Flüchtlinge in Paris führte.
Das merkwürdige Zusammenleben dieser energischen Frau mit diesem männlichen Schwächling war folgendermaßen entstanden:
Man schrieb das Jahr 1833. Fräulein Fischer arbeitete zuweilen, wenn sie gerade sehr viel zu tun hatte, bis tief in die Nacht hinein. Einmal gegen ein Uhr nachts nahm sie einen starken Kohlengasgeruch wahr und hörte Stöhnen wie von einem Sterbenden. Der Geruch und das Röcheln kamen aus der Dachwohnung über ihren beiden Zimmern. Blitzschnell erstand ihr der Gedanke, dass der junge Mann da oben, der kürzlich in die seit drei Jahren leerstehende Mansarde gezogen war, offenbar einen Selbstmordversuch begangen habe. Rasch eilte sie hinauf, drückte die Tür mit der ganzen Kraft einer stämmigen Lothringerin ein und erblickte den jungen Mann, der auf einem Gurtbett im Todeskampf lag. Sie erstickte die Kohlenglut, stieß das Fenster auf, so dass frische Luft hereinströmte – und der Verbannte war gerettet.
Nachdem Lisbeth den jungen Mann wie einen Kranken gebettet hatte und er eingeschlafen war, schaute sie sich in der Stube um. Also Armut war die Ursache zum Selbstmord gewesen! Das sah sie an der völligen Kahlheit der Dachkammer, in der nichts stand als ein elender Tisch, das Gurtbett und zwei Stühle.
Auf dem Tisch lag ein Blatt Papier. Sie las:
»Man soll bei niemandem die Schuld an meinem Tode suchen; die Erklärung für meinen Selbstmord liegt in Kosciuszkos Ausruf: Finis Poloniae! Als Großneffe eines ruhmvollen Generals Karls XII. wollte ich nicht betteln gehen. Meine schwache Gesundheit verbietet mir den Dienst in der Armee. Gestern sind die hundert Taler, mit denen ich von Dresden nach Paris gekommen bin, zu Ende gegangen. Fünfundzwanzig Francs liegen im Tischkasten für die Miete, die ich dem Wirt schulde. Da ich keine Eltern mehr habe, gibt es niemanden, der an meinem Tode Anteil nehmen könnte. Ich bitte meine Landsleute, der französischen Regierung keine Vorwürfe zu machen. Ich habe mich nicht als Verbannter zu erkennen gegeben. Ich habe um nichts gebeten und habe mit keinem andern Verbannten verkehrt. Niemand in Paris weiß von meiner Existenz. Mit mir stirbt der Letzte derer von Steinbock. Ich bin geboren zu Preli in Livland.
Stanislaus Graf Steinbock.«
Lisbeth war tiefgerührt von der Ehrlichkeit des Lebensmüden, der noch daran gedacht hatte, seine Miete zu bezahlen. Sie öffnete den Tischkasten; drin lagen wirklich fünf Fünffrancsstücke.
»Armer junger Mensch!« rief sie aus. »Niemand ist auf der Welt, der sich seiner annähme!«
Sie stieg in ihre Wohnung hinunter und kam gleich darauf wieder mit ihrer Arbeit zurück, die sie in der Dachkammer fortsetzte, wobei sie beständig ein wachsames Auge auf den schlafenden livländischen Edelmann hatte.
Man kann sich leicht vorstellen, wie erstaunt dieser war, als er beim Erwachen eine Frau an seinem Bette sitzen sah. Er glaubte zu träumen. Während die alte Jungfer so dasaß und an einer goldenen Achselschnur für eine Uniform arbeitete, hatte sie sich fest vorgenommen, sich dieses schlafenden jungen Mannes, der ihr gefiel, anzunehmen. Als der junge Graf wach geworden war, sprach ihm Lisbeth Mut zu und fragte ihn aus, um dadurch zu erfahren, womit er wohl seinen Lebensunterhalt verdienen könne. Stanislaus erzählte seinen Lebenslauf und fügte hinzu, er habe ehedem seine Anstellung seinen anerkannten künstlerischen Fähigkeiten zu verdanken gehabt. Zur Bildhauerkunst hätte er von jeher eine Neigung, aber die Studienzeit wäre für einen mittellosen Menschen allzulang. Auch sei er augenblicklich viel zu schwach zur Ausübung eines Handwerks oder gar der Bildhauerkunst im großen Stile. Das alles war unverständlich für Lisbeth Fischer. Sie erwiderte dem Unglücklichen, Paris habe so viel Hilfsquellen, dass sich ein Mensch mit einigem guten Willen hier unbedingt durchschlagen müsse. Tatkräftige Menschen gingen hier nie unter, wenn sie nur einen gewissen Grundstock von Ausdauer mitbrächten.
»Ich bin nur ein armes Mädel vom Lande«, sagte sie zum Schluss, »aber trotzdem habe ich mir hier eine gewisse Unabhängigkeit geschaffen. Hören Sie mich an! Wenn Sie ernstlich arbeiten wollen: ich habe einige Ersparnisse und will Ihnen jeden Monat das zum Leben nötige Geld borgen, aber zu einem geregelten Leben, nicht zum Bummeln und Liederlichsein. Man kann in Paris für einen Franc zu Mittag essen, und Ihr Frühstück bereite ich Ihnen jeden Morgen mit dem meinen zusammen. Auch will ich Ihr Zimmer einrichten und Ihnen die Studiengelder bezahlen, soweit Sie es für nötig erachten. Sie geben mir